Editorial 02/2016: Geld macht keine Kinder

Inzwischen dämmert es nicht nur der (Familien)Politik, dass sich durch eine wahltagnahe Erhöhung des Kindergeldes und durch weitere familienbezogene Leistungen zwar Wahlen gewinnen, aber Familien nicht für ein erstes, zweites oder gar drittes Kind motivieren lassen. Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern zeigen, dass andere Aspekte für eine höhere Geburtenrate zielführender und erfolgreicher sind: Familien entscheiden sich viel eher für Kinder, wenn es neben geeigneten finanziellen Beihilfen verlässliche Betreuungsangebote gibt, und zwar vom Kleinkind- bis ins Jugendalter. Frankreich und einige skandinavische Länder gehen seit Jahren mit gutem Beispiel voran. So haben in Frankreich immerhin knapp ein Viertel der Babys einen Platz in privaten oder staatlichen Betreuungseinrichtungen. Hinzu kommt, dass der Schulunterricht ganztägig ist. In Deutschland dominieren dagegen noch immer tradierte gesellschaftliche Strukturen und Auffassungen und hemmen – im Westen mehr als im Osten – die Akzeptanz von Kitas und Ganztagsschulen nach dem Motto „Mutter kocht am besten“.

Einige der bestehenden Vorbehalte lassen sich am besten durch eine flächendeckende weitere Qualitätsverbesserung der Kita-Verpflegung entkräften. Dass es hier noch einiges an Verbesserungspotenzial gibt, zeigt die von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) durchgeführte bundesweite VeKiTa-Studie1, die in diesem Heft als gekürzte Vorabversion eines entsprechenden Kapitels im Ernährungsbericht 2016 veröffentlicht wird (=> S. M106–M113).

Der vollständig überarbeitete Ordner „Essen und Trinken in Tageseinrichtungen für Kinder“ von DGE und aid mit zahlreichen Hilfestellungen stellt einen wichtigen Baustein für eine bestmögliche Kita-Verpflegung dar. Im diesem Heft wird über die wesentlichen Neuerungen informiert (=> S. S5–S8).

Zertifizierungen von Verpflegungsangeboten stellen Anreize für eine besonders gute und nach außen demonstrierbare Verpflegungsqualität dar. In Baden-Württemberg wurde hierzu das BeKi-Zertifikat2 entwickelt, dass die vier Bausteine Ernährungsbildung, Erziehungspartnerschaft, Qualitätsstandards und Außenbeziehungen umfasst und zu nachverfolgbaren Qualitätsverbesserungen in Kitas führt (=> S. M116–M118).

Die Einführung einer guten Kita-Verpflegung steht und fällt auch mit der Ernährungsqualifikation der Kita-Leitungen, die ja – im Gegensatz zu Schulleitungen – viel direkter Einfluss nehmen auf das, was auf die Kleinkindteller und in die hungrigen Münder kommt. Eine tiefergehende Analyse der Ernährungskenntnisse des Kita-Personals wäre sicherlich lohnenswert.

Die jährliche Zunahme an Plätzen für die Ganztagsbetreuung von unter 3-Jährigen zeigt, dass es quantitativ vorangeht. Damit der jüngste, stolz verkündete Anstieg der Geburtenrate in Deutschland (=> S. M72) zu einem nachhaltigen Trend wird, sind weitere Anstrengungen und qualifizierte Verbesserungen verlässlicher Betreuungs- und Verpflegungsangebote zwingend erforderlich.

Ihr Helmut Heseker

1 Verpflegung in Kindertageseinrichtungen: Ernährungssituation, Bekanntheitsgrad und Implementierung des DGE-Qualitätsstandards
2 Landesinitiative Bewusste Kinderernährung



Das Editorial finden Sie auch in Ernährungs Umschau 02/16 auf Seite M65.

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