Eine*r trage des*der anderen Last!

Eine kurze Frage: Wie haben Sie sich am 4. Mai gefühlt? Ein bisschen ausgepowert? Oder waren Sie an diesem Tag gar überlastet? Das ist nicht verwunderlich und Sie waren in guter Gesellschaft: Für Deutschland war dies der „Erdüberlastungstag 2023“.1 Mal ohne die in der „Realpolitik“ üblichen Euphemismen: Ab diesem Tag leben wir in Deutschland zu Lasten der Anderen: anderer Menschen, anderer Länder, anderer Lebewesen, vor allem aber auf Kosten der verbleibenden ökologischen Ressourcen unseres Planeten.

Während Indonesien, Ecuador und Jamaica unserer Erde erst ab Dezember zu viel abverlangen, haben es andere Länder eiliger: Kanada und die Vereinigten Staaten von Amerika gönnten sich schon am 13. März einen weiteren Planeten – und bitte nicht mit dem Finger zeigen: Dank des globalen Handels und unserer Reiselust haben auch wir daran Anteil. In der ERNÄHRUNGS UMSCHAU haben wir schon oft darüber berichtet, dass das weltweite Ernährungssystem ein starker Hebel ist, diesen rücksichtslosen Ressourcenverbrauch zu verringern.
Eine ganz andere Art der Überlastung im Zusammenhang mit Ernährung steht in diesem Heft im Mittelpunkt der Rubrik „Im Fokus“: Für rund 3 Mio. Menschen in Deutschland reichen die finanziellen Mittel nicht aus, um sich gesund zu ernähren.2 Zugleich werden diese Menschen von vielen ernährungsbezogenen Aspekten des sozialen Lebens ausgeschlossen. Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) hat aus diesem Grund bereits im März seine neue Stellungnahme „Ernährungsarmut unter Pandemiebedingungen“ an den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, übergeben. Der Beirat hofft, dass diese Stellungnahme „dieses wichtige Thema stärker auf die Agenda der Nationalen Ernährungsstrategie der Bundesregierung setzt“. Angesichts der gerade innerhalb der Ampel-Koalition aufflammenden Spardebatten sind wir doch alle gespannt, welche Prioritäten dann gesetzt werden: Angemessenes Bürgergeld oder Erweiterung des Kanzleramts? Eine Kurzfassung der Stellungnahme und ein Interview zu den Hintergründen finden Sie ab Seite M304.
Die Beispiele zeigen, dass viele Ernährungsthemen oft politische und gesellschaftliche Brisanz haben: Es geht um den fairen Zugang zu Chancen, um die mitmenschliche Verteilung von Herausforderungen/Lasten (wie im Überschriftszitat aus dem Galater-Brief3) – und es wird zunehmend auch um den nötigen Diskurs über Verzicht gehen: Verzicht auf zu viel Fleisch, auf Autobahn-Höchstgeschwindigkeit, auf Prestige-Produkte ebenso wie Fast Fashion oder andere Formen erdüberlastenden Lebensstils. Und dass Verzicht sich durchaus positiv auf Gesundheit und Lebensqualität auswirken kann, hierzu gibt es mittlerweile durchaus belastbare Daten.4 Einfach mal ausprobieren!

Ihr Udo Maid-Kohnert

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1 www.overshootday.org/newsroom/country-overshoot-days/ 
Wer sein Lieblings-Reiseland sucht, findet hier eine detaillierte Grafik.
2 Vgl. den Beitrag: Lebensmittelkosten bei vegetarischer, veganer und omnivorer Kinderernährung: Ist eine nachhaltige Ernährung mit Hartz IV realisierbar? In Ernährungs Umschau 9/2022: DOI: 10.4455/eu.2022.027
3 Bibelvers Galater 6, Vers 2
4 Creutzig F et al.: Demand-side solutions to climate change mitigation consistent with high levels of well-being. Nat Clim Chang 2022; 12: 36–46. https://doi.org/10.1038/s41558-021-01219-y.



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 5/2023 auf Seite M265.

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