Nachschlag: Schöne lukrative Influencer-Scheinwelt

(Offene) Werbung ist ein legitimes, im Wirtschaftsleben wichtiges Marketinginstrument, das darauf abzielt, eine Zielgruppe über ein Produkt oder eine Dienstleistung zu informieren, mit dem klar erkennbaren Ziel, den Absatz zu fördern und ein positives Image einer Marke aufzubauen. Mit dem flächendeckenden Einzug audiovisueller Medien hat sich eine gewaltige Werbeindustrie breitgemacht.

Mit der Digitalisierung entwickelte sich auch die Werbung rasant weiter und zählt heute u. a. zu den primären Einnahmequellen von Suchmaschinen. Inzwischen heißt das Zauberwort dort Retargeting oder Remarketing: Sucht ein/e NutzerIn online nach einem Produkt, wird er/sie in den nächsten Tagen auf fast allen besuchten Webseiten mit personalisierten Anzeigen für genau diese Produkte verfolgt, um nicht zu sagen „bombardiert“.
Im Social-Media-Zeitalter ist den Werbetreibenden die unter Jugendlichen stark zugenommene Bekanntheit und Beliebtheit junger InfluencerInnen, deren Werbepotenzial und die jugendliche Kaufkraft nicht verborgen geblieben. Heute lächeln durchgestylte, meist junge InfluencerInnen auf Kanälen wie Instagram, Pinterest, TikTok, YouTube oder in diversen Blogs mit ihren oft riesigen Fangemeinden mitleidsvoll über die herkömmliche TV-Werbung oder über traditionelle und mühsame Direktansprache mit Verkostung, z. B. am Point of Sale im Lebensmittelhandel. Nicht allen scheint dabei die Gratwanderung zwischen gerade noch zulässiger Produktplatzierung und Schleichwerbung zu gelingen.
Ganz ungeniert und wenig sensibel für ethisch-moralische Aspekte nutzen einschlägig bekannte Social-Media-Stars die grenzenlose Vertrauenswürdigkeit ihrer nicht selten millionenschweren Fangemeinde aus und machen fleißig Werbung aus ihrer vorgegaukelten Lebenswelt, u. a. für süße und fettige Snacks, Limonaden oder Vitaminpillen. Fast könnte man meinen, dass die Starnahrung nur aus Junkfood besteht. Zumindest für die jüngeren Follower dürften die Grenzen zwischen virtueller Scheinwelt und Realität sowie die Werbebotschaften als solche nicht immer eindeutig zu erkennen sein.
Kritik von Verbraucherverbänden mit dem Hinweis der Förderung von Fehlernährung wird gern mit dem Hinweis auf die Pflicht der Eltern zum Schutz ihrer Schützlinge und der Notwendigkeit einer verbesserten Verbraucherbildung gekontert. Staatlicherseits verweist man gern auf die zugesagte freiwillige Selbstbeschränkung der Lebensmittel- und Kontrollmechanismen der Werbeindustrie.
Man sollte die Hardwarekompetenz von 5-Jährigen, sich Zugang zu Laptop, Smartphone oder Tablets zu verschaffen, nicht unterschätzen und deren Medienkompetenz nicht überschätzen. Bei so viel medial-digitaler Raffinesse dürfte ein restriktiverer Blick auf die Influencerszene seitens der Ernährungspolitik durchaus angebracht sein – oder?

Ihr Helmut Heseker



Den Nachschlag finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 6/2022 auf Seite M344.

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