Journalisten-Workshop: Schadstoffe im Essen! – Bedrohung oder Panikmache?“

Ob Acrylamid in Kartoffeln, Salmonellen in Hühnereiern oder Pestizide in Obst und Gemüse – wenn es um die Sicherheit von Lebensmitteln geht, hört beim Verbraucher der Spaß auf. Wie Toxikologen das Risiko von Rückständen, Kontaminanten und anderen Stoffen mit potenziell schädlicher Wirkung bewerten und welche Substanzen sie zurzeit für problematisch halten, war Thema des zweitägigen Kongresses „Schadstoffe im Essen!“ – Bedrohung oder Panikmache?“, der am 14./15. Mai 2009 vom Institut Danone Ernährung für Gesundheit e.V. in Kooperation mit dem Institut für Lebensmitteltoxikologie und Chemische Analytik der Tierärztlichen Hochschule Hannover veranstaltet wurde. 12 Vorträge haben wir für Sie im Folgenden zusammengestellt.

1. Die Sicherheit von Lebensmitteln aus Verbrauchersicht – Grundlagen und wissenschaftliche Methoden der Toxikologie

Die Toxikologie untersucht und beschreibt Wechselwirkungen von gesundheitsschädlichen Fremdstoffen auf den Organismus. Aufgabe der Toxikologie ist es weiterhin, das Risiko einzuschätzen, das mit der Aufnahme toxischer Stoffe in Lebensmitteln einhergeht – nicht nur qualitativ, sonder auch quantitativ: Schließlich will der Verbraucher wissen, wie hoch das Risiko ist, durch eine toxische Substanz geschädigt zu werden. Zu den potenziell toxischen Stoffen in Lebensmitteln gehören Kontaminanten, Rückstände, Zusatzstoffe sowie natürliche toxische Inhaltsstoffe. „Letztendlich geht es in der Toxikologie darum, Grenzwerte festzulegen, mit deren Hilfe man auf der sicheren Seite ist“, sagte Prof. Dr. Pablo STEINBERG.

Grenzwerte werden aufgrund einer Dosis-Wirkungsbeziehungskurve definiert. Wichtig für deren Bestimmung ist ein eindeutiger nicht-toxischer Bereich. Dieser Bereich existiert für viele, nicht aber für alle Substanzen: In der Gruppe der erbgutschädigenden oder krebserregenden Substanzen gibt es keine Konzentration ohne toxische Wirkung. Ein Beispiel ist Acrylamid, das sich im Tierversuch als krebserregend erwiesen hat. Für diese Substanz kann kein Grenzwert definiert werden, denn man geht davon aus, dass auch minimale Konzentrationen krebserregend wirken können.

Lebensmittelzusatzstoffe werden eingehend auf ihre Sicherheit geprüft, bevor sie in Lebensmittel eingebracht werden. Gemäß dem „Kerndatensatz der Prüfanforderungen an Lebensmittelzusatzstoffe“ der EFSA werden sie hinsichtlich ihrer langfristigen, erbgutschädigenden, krebserregenden Wirkung sowie der Reproduktionstoxizität geprüft. Anschließend wird die duldbare tägliche Aufnahmemenge definiert (DTA- oder ADI-Wert), d.h. die Menge einer Substanz, die ein Mensch ohne Gesundheitsrisiko täglich und lebenslang aufnehmen kann. Basis dieses Wertes sind Toxizitätsprüfungen, aus denen zunächst der NOEL-Wert (No Observed Effect Level) errechnet wird. Dieser Wert benennt die höchste Dosis einer Substanz, die noch zu keiner Toxizität führt. Der NOEL wird zunächst durch den Faktor 10 geteilt, um Unterschiede im Grundumsatz zwischen Nagern und Menschen auszugleichen und anschließend noch einmal durch den Faktor 10.

Ebenfalls auf Toxizitätsprüfungen beruhen die Grenzwerte für Kontaminanten, z. B. Blei, Cadmium, Methylquecksilber oder PCBs. Da diese Substanzen grundsätzlich unerwünscht sind, werden die Grenzwerte als tolerierbare Aufnahmemengen bezeichnet. Oft haben sie den Zusatz „vorläufig“, weil in der Regel Datenlücken bestehen. Für krebserregende Kontaminaten gibt es keinen toxikologisch begründeten Grenzwert. In diesen Fällen sollte dafür gesorgt werden, dass die Exposition möglichst niedrig ist.

Auch für Rückstände können Grenzwerte definiert werden, wobei die Sicherheitsspanne bei sehr toxischen Substanzen erhöht werden kann: „ Der NOEL wird dann nicht durch 100, sondern zum Beispiel durch 1000 oder 2000 geteilt,“ sagte Prof. Steinberg. Ein Beispiel sind die extrem toxischen Organophosphate, die in Brötchen oder anderen Mehlerzeugnissen, wenn überhaupt, dann nur in minimalen Mengen enthalten sein dürfen. Gerade bei Pflanzenschutzmitteln kann schon eine einmalige Aufnahme gesundheitsschädlich sein, deshalb wurde neben dem DTA-Wert zusätzlich die akute Referenzdosis (ARfD) eingeführt. Darunter versteht man die Substanzkonzentration, die bei einer Mahlzeit aufgenommen werden kann, ohne toxisch zu wirken.

2. Probleme und Strategien der Risikokommunikation

(Vortrag PD Dr. Gaby-Fleur BÖL, Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin

Risiken werden in der Öffentlichkeit oft anders wahrgenommen als von der Wissenschaft bewertet. Da über 90 % der Informationen aus normalen Medien stammen, spielen diese eine große Rolle bei der Risikokommunikation. Die Sorge in Bezug auf Lebensmittel wird mit rund 30 % sehr hoch eingeschätzt, während das Rauchen und Alkohol nur mit je 18 % als gesundheitliches Risiko eingestuft wird. Bei der Risikowahrnehmung existiert eine Art intuitive Toxikologie: Begriffe, die sich natürlich anhören, werden als ungefährlich erachtet, chemische Begriffe mit Risiken verbunden.

Das objektive Risiko beruht auf naturwissenschaftlich messbaren Kriterien. Dazu gehören die Eintrittswahrscheinlichkeit und der Umfang eines Schadens, was vor allem vom Gefährdungspotenzial und der Exposition abhängt.

Für die subjektive Risikowahrnehmung ist es wichtig, ob man eine Wahlmöglichkeit hat und ob man eine Situation für kontrollierbar hält. Auch das Risiko-Nutzen-Verhältnis spielt eine Rolle: So rauchen viele Menschen, wohl wissend, dass es schädlich ist. Aber der Wohlfühleffekt ist so hoch, dass sie das Risiko bewusst eingehen. Wichtig sind auch die persönliche Betroffenheit, die Schrecklichkeit des Schadens und das Vertrauen zu den Quellen, die Informationen vermitteln. Als besonders vertrauenswürdig werden Verbraucherorganisationen wie Stiftung Warentest und Verbraucherzentralen eingeschätzt, gefolgt von Wissenschaftlern, Ärzten und Umweltorganisationen wie Greenpeace.

Gefühlte Risiken können das Verhalten verändern, wie das Beispiel aus den USA zeigt, wo als Folge des Terroranschlages am 11. September 2001 der Autoverkehr zunahm, weil die Menschen nicht mehr in ein Flugzeug steigen wollten. Dieses Risikokompensationsverhalten führte zu geschätzten 1500 zusätzlichen Verkehrstoten.

Ein typisches Beispiel für ein gefühltes Risiko zur Osterzeit 2006 war die Warnung vor Nikotin in Eiern. Es wurde festgestellt, dass es sich dabei lediglich um ein Grundrauschen handelte, und das BfR erklärte, dass damit keine gesundheitliche Gefährdung für den Verbraucher verbunden ist. Solche Informationen müssen gut transportiert werden, um Verbraucherängste abzubauen.

Die Kenntnis von Verbraucherreaktionen kann von Nutzen sein, um zu überlegen, wie man welche Gruppe erreichen kann. Als das Thema Acrylamid aktuell war, wurden Verbrauchertypen eingeteilt:

  • 6 % leugneten das Risiko einfach.
  • 10% reagierten naiv; sie überlassen das Thema den Fachleuten.
  • 22 % gehörten zu den Schuldzuweisern, die Medien, Wissenschaftlern oder Politikern die Verantwortung in die Schuhe schoben.
  • 19% waren resignative Relativierer, die sagen: Sterben muss man sowieso, man kann sich höchstens aussuchen woran.
  • 26% gehörten zu den rechtfertigenden Bilanzierern, die sagen – wir essen fettarm und so gut wie keine Chips.
  • 7% reagierten pragmatisch; sie haben zu 30% ihr Verhalten geändert. „Sie wissen auch Jahre später noch, dass sie ihre Pommes nur auf 140 Grad erhitzen sollen. Diese Gruppe ist empfänglich für Tipps“, sagte Dr. BÖL.

Durch Dialog kann eine Partizipation im Wissenschaftsbereich erreicht werden, damit Informationen bereiter und zielgruppengerechter gestreut werden. Dabei sollen nicht nur Verbraucher, sondern auch Multiplikatoren, Wissenschaftler und Ärzte eingebunden werden. Vorhandene Formate sind etwa das BfR-Forum Verbraucherschutz, Expertengespräche und Statuskonferenzen, Stakeholder-Konferenzen, wissenschaftliche Symposien oder Verbraucherkonferenzen.

3. Strategien zur Minimierung oder Vermeidung schädlicher Inhaltsstoffe bei der Produktion von Lebensmitteln

(Vortrag Prof. Dr. Karin SCHWARZ, Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde, Christian-Albrechts-Universität, Kiel)

Der Gesetzgeber verlangt von Lebensmittel produzierenden Betrieben ein Risikomanagement (HACCP): Der Betrieb muss kritische Punkte im Herstellungsprozess aufspüren, diese kontrollieren und bei Abweichungen mit geeigneten Maßnahmen begegnen. Zudem ist per Gesetz verordnet worden, dass eine systematische Rückverfolgung entlang der Wertschöpfungskette stattfinden muss. Das bedeutet: „Der Produzent muss wissen, wo seine Rohstoffe herkommen, und wenn er sie abgibt, muss er wissen, wohin sie gehen“ sagte Prof. SCHWARZ.

Das betrifft beispielsweise die Allergene: Sie müssen im Lebensmittel deklariert oder im Zutatenverzeichnis gelistet werden. Um diese Angaben machen zu können, muss der Hersteller aber wissen, dass sie überhaupt vorhanden sind – und das geht nur, wenn er die Herkunft der Rohstoffe kennt. Auch kann es während der Produktion zur Vermischung von allergenhaltigen mit anderen Rohstoffen kommen, unbeabsichtigte Kontaminationen sind die Folge. In solchen Fällen wären bauliche Maßnahmen notwendig, um die Rohstoffe getrennt lagern zu können.

Es gibt auch eine Reihe innovativer Lösungen zur Reduktion unerwünschter Stoffe in Lebensmitteln, zum Beispiel die Prozessoptimierung. Dass die Umsetzung solcher Lösungen praxisrelevant ist, zeigt das Beispiel der heterozyklischen aromatischen Amine (HAA), die mit der vermehrten Inzidenz an Dickdarmkrebs in Zusammenhang gebracht werden. Die geschätzte tägliche Aufnahme liegt zwar im Nanogrammbereich, doch gibt es Menschen mit einem genetisch bedingten sehr aktiven Enzymsystem für HAA.

Ein weiteres Beispiel für den Einsatz innovativer Verfahren sind die bei der Fetthärtung entstehenden Transfettsäuren. Anfang der 90er Jahre wurde entdeckt, dass sie das Risiko für Herz-Kreislaufkrankheiten erhöhen. Infolge dessen kam ein neues Verfahren zum Einsatz, bei dem durchgehärtete Fette umgeestert und mit ungehärteten Fetten gemischt werden. Dabei entstehen feste und streichfähige Fette mit einem angenehmen Schmelzverhalten und einem Transfettsäurengehalt von unter einem Prozent.

Die Suche nach neuen Rohstoffen wird spätestens 2010 im Bereich der Azofarbstoffe relevant werden. Eine Studie hat ergeben, dass Azofarbstoffgemische bei Kindern zu Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen führen können. Infolgedessen müssen Lebensmittel mit Azofarbstoffen ab 2010 entsprechend gekennzeichnet sein. „Da kein Lebensmittelhersteller eine solche Deklaration machen möchte, wird bereits jetzt nach Alternativen, also natürlichen Farbstoffen gesucht“, so Prof. Schwarz.

4. Die Sicherheit von Lebensmitteln aus Verbrauchersicht

(Vortrag Dr. Johannes SIMONS, Lehrstuhl für Marktforschung der Agrar- und Ernährungswirtschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn)

Beim Thema Lebensmittelsicherheit folgen Verbraucher einer eigenen Logik, die durch verschiedene Faktoren bestimmt wird. Emotionen spielen dabei eine große Rolle: Verbraucher haben ein starkes Bedürfnis nach unreflektiertem Genuss; sie wollen gut essen, ohne sich Gedanken machen zu müssen, ob Lebensmittel sicher sind, dick oder krank machen. Zudem kennen sie sich mit der Erzeugung, Verarbeitung oder Wirkung von Lebensmitteln nicht gut aus und werden oft mit unterschiedlichen Aussagen von Wissenschaftlern zu einem Thema konfrontiert. Problematisch sind auch die Informationsüberflutung und fehlende Möglichkeiten, absolute Lebensmittelsicherheit zu garantieren. Vor diesem Hintergrund bringt der Verbraucher der Lebensmittelindustrie ein gewisses Misstrauen entgegen und sucht nach einfachen Beurteilungsschemata, um Informationen verstehen und einordnen zu können.

Verbraucher funktionieren nach einer Logik, die der Alltagssituation angepasst ist, die von der Wissenschaft aber abweicht. Die Risikowahrnehmung ist zwar nicht ganz störungsfrei, aber Skandale offenbaren die hohe Emotionalität des Themas. Trotz der Diskussionen um sichere Lebensmittel geht es den meisten Verbrauchern gut. Insgesamt zeichnet sich ihr Verhalten eher durch gesunde Skepsis als durch blinde Angst aus.

5. Bedeutung der Lebensmittelhygiene bei der industriellen Produktion und im privaten Haushalt

(Vortrag Prof. Dr. Johannes KRÄMER, Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn)

Die Ängste der Verbraucher konzentrieren sich im Bereich der Lebensmittelvergiftungen nach wie vor auf Salmonellen, obwohl Keime wie Listerien wesentlich wichtiger sind. Die Zahl der beim RKI gemeldeten Salmonellosen geht seit 2001 konstant zurück und hat sich 2008 bei knapp 43000 auf eher niedrigem Niveau stabilisiert. Da nicht jeder Mensch mit Durchfall zum Arzt geht, muss man jedoch von einer hohen Dunkelziffer ausgehen: „Die Zahlen müssen mit dem Faktor 10 oder 20 multipliziert werden“, sagte Prof. KRÄMER. Die häufigste Ursache für Salmonellosen ist nicht das Huhn, sondern das Ei.

Vor rund zehn Jahren breitete sich weltweit ein Salmonellenklon aus, der das Huhn befällt; diese Erreger werden transovariell übertragen und gelangen ins Eidotter. Da es keine Schutzsubstanzen besitzt, können sich die Salmonellen sofort ungestört vermehren. Gefährlicher als Salmonellen sind die ubiquitär vorhandenen Listerien; sie finden sich vor allem im Betriebsumfeld, etwa in Dichtungen. Für die meisten Menschen stelle sie keine Gefahr dar, weil sie Antikörper besitzen. Nimmt aber eine Schwangere ohne Antikörper erhöhte Konzentrationen auf, kann das Ungeborene stark geschädigt werden. In Deutschland wurden 2008 zwar „nur“ 356 Listeriosefälle gemeldet, diese wären jedoch durch eine gute Betriebshygiene vermeidbar gewesen. In den letzten Jahren extrem gestiegen ist die Zahl der Norovirus-Infektionen. 2008 wurden dem RKI über 211000 Fälle gemeldet. Die Viren verursachen heftige Durchfälle und sind für geschwächte Personen riskant. Da herkömmliche Desinfektionsmittel kaum wirken, sind bei einem Ausbruch spezielle Mittel erforderlich.

Beim Aufspüren von Gefahren in der Kette von der Landwirtschaft zum Verbraucher hat die europäische Gesetzgebung Veränderungen bewirkt. So schließt die europäische Verordnung seit 2004 die Landwirtschaft mit ein – ein nötiger Schritt: „Kein Qualitätsmanagementsystem nützt etwas, wenn mit Mykotoxinen belastetes Getreide oder angeschimmelte Äpfel in einen Betrieb kommen“, erklärte Prof. KRÄMER. Wichtig ist auch der empfindliche Verbraucher: Firmen wenden im Rahmen des HACCP-Konzeptes erstmals ein striktes Management für Zutaten und Rohstoffe an und können auf der Basis der Stoffbewertung überlegen, ob etwas ausgetauscht werden sollte.

Da unter anderem der Immunstatus über die Manifestation einer mikrobiellen Erkrankung entscheidet, sollten resistenzgeminderte Personen in Produktüberlegungen einbezogen werden. Der Anteil dieser Personen in Deutschland liegt immerhin bei rund 30 % – dazu gehören Kinder unter sechs Jahren, Erwachsene über 60, Schwangere und Immunkomprimierte.

Der Geltungsbereich des HACCP-Konzeptes umfasst heute nicht mehr nur die Produktion, sondern auch die Rohstoffe, Zutaten und Zusatzstoffe sowie die Verpackung, die Lagerung und den Transport. Die Verpackung spielt eine große Rolle. PET-Flaschen beispielsweise werden mit Druck aufgeblasen, bevor die Flüssigkeit eingefüllt wird. Nach Geschmacksbeanstandungen in einigen stillen Wässern forderten der Handel und der Gesetzgeber Migrationsbescheinigungen zum Nachweis, ob und welche Stoffe aus der Verpackung ins Lebensmittel übergehen. Im Einzelhandel und bestimmten Restaurants treten teilweise massive Hygienemängel auf, und ein Großteil der mikrobiellen Infektionen sind „hausgemacht“: Der Verbraucher selbst macht viele Hygienefehler, sei es mangelnde Kühlung beim Transport, falsche Lagerung, Fehler beim Auftauen oder der Zubereitung.

6. Perfluorierte Tenside als Kontaminanten von Lebensmitteln

(Vortrag Prof. Dr. Dr. Alfonso LAMPEN, Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin)

Perfluorierte Tenside (PFT) sind sehr stabile Verbindungen, die bei der Herstellung vieler Alltagsutensilien eingesetzt werden.– vom antihaftbeschichteten Kochgeschirr über fettabweisende Lebensmittelverpackungen bis zu Wandfarbe und Haushaltsreiniger. Ein weiteres Anwendungsgebiet sind Feuerlöschschäume, und die Industrie braucht diese Substanzen als Hilfsstoffe bei der Herstellung von Fluorpolymeren.

Wichtige Vertreter sind die Perfluorcarbonsäuren (PFOA) und die Perfluorsulfonsäuren. (PFOS). PFT sind problematisch, weil sie lange in der Umwelt persistieren, im Organismus eine lange Halbwertszeit haben und eine gewisse Toxizität aufweisen. Sie sind wasserlöslich und binden an Proteine; deshalb finden sich im Blut und in der Leber höhere Konzentrationen als im Fettgewebe. Zudem können sie durch die Plazenta und in die Muttermilch übergehen. Bereits 2001 verkündeten die größten Produzenten den freiwilligen Ausstieg aus der weltweiten Produktion von PFOS und PFOS-basierten Produkten.

Sie weisen eine moderate akute Toxizität auf und schädigen das Erbgut nicht, doch haben sie reproduktionstoxische Eigenschaften, können also den Fetus schädigen. Deshalb wurden im letzten Jahr sowohl vom BfR als auch von der Food Safety Agency Grenzwerte definiert, so genannte TDI-Werte, also vorläufige Werte für die duldbare tägliche Aufnahme. PFT finden sich im Blut von Kindern, Männern und Frauen sowie in der Muttermilch: Sie sind in den unterschiedlichsten Organismen ubiquitär nachweisbar. PFT können oral über Lebensmittel oder Trinkwasser aufgenommen werden, aber auch über Hausstaub und Bodenpartikel sowie über den Kontakt mit Produkten, die mit PFT-haltigen Chemikalien behandelt wurden.

Zudem können sie inhalativ oder über Hautkontakt in den Organismus gelangen. Im europäischen Vergleich nehmen die Briten am meisten PFT auf: Dort schwankt die tägliche Aufnahme zwischen 10 und 200 Nanogramm /kg Körpergewicht. In Deutschland ist die Aufnahme viel geringer, sie liegt bei 0,6 bis 4,4 Nanogramm /kg Körpergewicht. Relevante PFOS-Werte finden sich in Hühnereiern, Wildschweinleber sowie in See- und Süßwasserfischen: Fisch ist in Deutschland eine Hauptaufnahmequelle von PFT. Da der TDI-Wert noch lange nicht ausgeschöpft wird, besteht zurzeit kein akutes Problem. Mittlerweile wurde nachgewiesen, dass Nutzpflanzen PFT aus dem Boden aufnehmen; von einer Anreicherung über den Pfad Boden – Futtermittel – Nutztier in tierischen Lebensmitteln ist auszugehen.

7. Toxikologische Bewertung von Acrylamid und 3-Monochlorpropandiolen

(Vortrag Prof. Dr. Gerhard EISENBRAND, Fachrichtung Lebensmittelchemie und Toxikologie, TU Kaiserslautern)

Das Garen über Feuer hat die menschliche Entwicklung stark beeinflusst, es führte zu besser verwertbarer Nahrung, die besser schmeckte und länger haltbar war. Die Maillardreaktion läuft bei der Erhitzung von Lebensmitteln ab, beim Brotbacken, Kaffeerösten oder Schnitzelbraten. Dabei bilden sich Farbstoffe, Aroma- und Geschmacksstoffe, Antioxidantien, modifizierte Proteine – und auch food borne toxicants. Zu diesen gehören Acrylamid und 3-Monochlorpropandiol.

Da Acrylamid als genotoxisches Kanzerogen eingestuft wird, greift das Minimierungskonzept. Das heißt, es wird kein Schwellenwert angegeben. Neuerdings hat sich für diese Stoffgruppe ein anderer Wert etabliert, der Margin Of Exposure. Darunter versteht man den Abstand zwischen der kanzerogenen Dosis, die im Tierversuch noch eine erkennbare Wirkung auslöst und der abgeschätzten Exposition des Menschen. Wenn der MOE bei 10000 oder höher liegt, besteht ein sehr geringes Gesundheitsrisiko. Für Acrylamid liegt der MOE unter 1000, während aromatische Amine oder Nitrosamine jenseits der 10000-Marke liegen. „Das ist unbefriedigend“, konstatierte Prof. Eisenbrand.

Vorläufer von Acrylamid ist Asparagin, das Amid der Aminosäure Asparaginsäure. Die Minimierung von Asparagin im Lebensmittel müsste theoretisch zu einer Reduktion der Acrylamidbildung führen – ein Ansatz, der zurzeit erforscht wird: Das Enzym Asparaginase bewirkt die Umwandlung von Asparagin in Asparaginsäure und müsste folglich mit einer verminderten Bildung von Acrylamid einhergehen.

Acrylamid unterliegt im Organismus vielen Reaktionen. Toxikologisch bedeutsam ist die Epoxidbildung zum Glycinamid. Es kann mit dem Erbmaterial unter Schädigung der DNA reagieren. Gleichzeitig finden Entgiftungsreaktionen statt, etwa indem Acrylamid an Glutathion gekoppelt wird. Das Reaktionsprodukt wird anschließend als Mercaptursäure im Urin ausgeschieden. „Mit unseren Methoden ist es zur zeit nicht möglich, einen Dosis-Wirkungseffekt zu erkennen“, sagte Prof. EISENBRAND.

Eine weitere problematische Substanz, die beim Erhitzen von Lebensmitteln entstehen kann, ist das 3-Monochlorpropandiol (3-MCPD). Es hat sich in vivo nicht als genotoxisch erwiesen und gilt als Schwellenwertkanzerogen. 3-MCPD kommt in verarbeiteten Lebensmitteln, inklusive Cerealien, Kaffee, Fisch, Fleischprodukten, Milchprodukten und Würzsoßen vor. Die Exposition liegt in der Größenordnung von Acrylamid. Neue Daten zeigen, dass auch 3-MCPD-Fettsäureester auftreten können – und zwar in höheren Konzentrationen als das MCPD selbst. Toxikologisch sind diese Verbindungen unbekannt. „Geht man jedoch davon aus, dass das MCPD aus den Estern im Gastrointestinaltrakt quantitativ freigesetzt wird, ergeben sich beachtliche Expositionsbereiche“, so Prof. EISENBRAND. Auf diesem Gebiet besteht noch viel Forschungsbedarf.

8. Bewertung von Mehrfachrückständen in Lebensmitteln

(Vortrag Dr. Rudolf PFEIL, Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin)

Pestizide sind in der öffentlichen Wahrnehmung negativ besetzt. Das gefühlte Risiko der Verbraucher rangiert ganz oben, im gleichen Bereich wie Kernenergie oder Gentechnik. Besonders Mehrfachrückstände, also mehrere Pestizide gleichzeitig in einem Lebensmittel, bringen das Fass zum Überlaufen: „Sie erwecken den Eindruck, dass Pestizide unsachgemäß angewandt werden“, sagte Dr. PFEIL. Ursachen für den zunehmenden Nachweis von Mehrfachrückständen sind zum einen die höheren Anforderungen der modernen Landwirtschaft. Um Äpfel in der geforderten Qualität zu produzieren, werden im Apfelbau heute beispielsweise 20 verschiedene Pflanzenschutzmittel, 12 Fungizide und 8 Insektizide eingesetzt; 1983 kam der Obstbau mit deutlicher weniger Wirkstoffen aus.

Allerdings kamen damals Pestizide zum Einsatz, die „gegen Freund und Feind wirkten“. Heute sind selektiv wirkende Pestizide gefragt, die auch unter Umweltaspekten akzeptabel sind. Deshalb sind viele alte Wirkstoffe nicht mehr im Einsatz. Landwirte, die keine Pflanzenschutzmittel anwenden, haben heute in der industriell betriebenen Landwirtschaft keinen Erfolg mehr.

Zum anderen spielen die empfindlicheren Analysenmethoden eine große Rolle, dass heute mehr Mehrfachrückstände gefunden werden: Vor 15 Jahren konnten etwa 100 Pestizide erfasst werden, heute sind es 350. Sie sind im unteren Mikrogramm und Nanogrammbereich nachweisbar. Vor allem Tafeltrauben, Erdbeeren, Johannisbeeren und Zitrusfrüchte fallen aufgrund von Mehrfachrückständen immer wieder unangenehm auf. Weniger häufig sind Äpfel, Gemüse wie Paprika, Tomaten oder Salat betroffen.

Pestizide durchlaufen umfassende Toxizitätsprüfungen, die als Basis für die Ableitung eines Grenzwertes dienen. Im Bereich der Pestizide gibt es den ADI, also den Acceptable Daily Intake, oder die ARfD, die Acute Reference Dose. Es ist problematisch, das Risiko von Mehrfachrückständen zu bewerten, da Toxizitätsprüfungen grundsätzlich für einzelne Pestizide gelten. Die Frage ist daher, ob das Risiko für den Verbraucher auf der Basis der Kenntnisse für Einzelstoffe adäquat bewertet werden kann. Es gibt Konzepte zur Bewertung von Kombinationswirkungen.

Dennoch gibt es Unterschiede von über 1000 in der Potenz der einzelnen Wirkstoffe. Problematisch sind Stoffe mit unähnlicher Wirkung, die sich weder in ihrer Struktur ähneln noch Gemeinsamkeiten hinsichtlich der toxikologischen Eigenschaften haben: Diese Stoffe darf man nicht addieren. Eine Bewertung findet trotzdem statt, indem das Gesamtrisiko durch den gefährlichsten Stoff der Mischung bestimmt wird. Dabei handelt es sich immer um den Stoff, der den geringsten Abstand zwischen Exposition und NOEL aufweist. Für Stoffe mit Verdacht auf synergistische Wirkung ist eine gezielte experimentelle Prüfung erforderlich, um das Risikopotenzial einer Mischung bewerten zu können.

9. Das Entstehen von AGEs (Advances Glycation Endproducts) im Rahmen der Maillard-Reaktion und ihre gesundheitliche Bedeutung

(Vortrag Prof. Dr. Thomas HENLE, Institut für Lebensmittelwissenschaften, TU Dresden)

Die Maillard-Reaktion läuft zum Beispiel bei der Erhitzung von Milch, dem Darren von Malz oder der Krustenbildung von Backwaren ab. Dabei reagieren die Aminogruppen von Proteinen mit Zucker und es entstehen in der Frühphase so genannte Amadori-Verbindungen, die in einer Zwischenphase zu Dicarbonylen abgebaut werden. Diese reagieren in der Endphase mit Proteinen zu stabilen Endprodukten, unter anderem AGEs.

In Milchprodukten reagieren bis zu 70 %, in Backwaren bis zu 80 % der initial vorhandenen Aminosäure Lysin zu einer proteingebundenen Maillard-Verbindung. Bei einem angenommenen täglichen Verzehr von 500 g Back- und Teigwaren, 250 g Fleisch, einem Liter Milch und einem halben Liter Kaffee nimmt man rund 500 mg Amadori-Produkte und 30 mg AGEs auf. Hauptquelle für Maillardprodukte sind Back- und Teigwaren, der Gehalt in Fleisch geht dagegen gegen Null. Vegetarier nehmen damit etwa zwei- bis dreimal so viel Maillardprodukte auf wie Nichtvegetarier.

1969 wurde entdeckt, dass die Maillard-Reaktion auch in vivo abläuft. Bei Diabetikern reagiert beispielsweise Hämoglobin mit Blutglucose zum HbA1c, das heute ein etablierter Parameter zur Beurteilung des retrospektiven Blutzuckergehaltes ist. Auch in den Augenlinsen von Patienten mit Grauem Star wurden AGEs gefunden und bei Gesunden sieht man ebenfalls einen linearen Anstieg dieser Verbindungen mit dem Alter. „Wir verzuckern innerlich im Lauf des normalen Alterungsprozesses“ so Prof. HENLE.

Mittlerweile sind AGEs aus medizinischer Sicht von großem Interesse. Es gilt als etabliert, dass erhöhte AGE-Gehalte in Plasma und Nieren von Diabetikern vorkommen, im Gehirn von Alzheimerpatienten, bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen, werden sie mit Entzündungskrankheiten in Verbindung gebracht.  Erste Arbeiten zeigten, dass AGEs im Plasma von Diabetikern messbar waren, die ein erhitztes Gemisch aus Fructose und Eiweiß erhalten hatten.

Ohne dass toxikologische Prüfungen erfolgten, wurde der Begriff der Glycotoxine eingeführt. Die Ernährung wurde als erhebliche AGE-Quelle angesehen und damit als Risikofaktor für Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen. Die Pro-Risikoliteratur ist jedoch mit Vorsicht zu genießen: „Aus analytischer Sicht ist sie größtenteils falsch“, sagte Prof. Henle. Im Jahr 2004 wurde eine Lebensmittel-Datenbank publiziert, bei denen der AGE-Gehalt mit einer immunologischen Methode gemessen worden war. Sie enthält gravierende Fehler: So wurde der höchste AGE-Gehalt in fettreichen Lebensmitteln gefunden, während in der Brotkruste kaum AGEs gemessen wurden. Trotzdem dient diese Datenbank als Grundlage für Ernährungsempfehlungen.

Bislang gibt es keine Studie, die zeigt, dass AGEs für unerwünschte Wirkungen verantwortlich sind. Dagegen mehren sich Berichte, die positive Wirkungen vermuten lassen. So gingen hohe AGE-Gehalte im Plasma von Hämodialysepatienten mit einer höheren Überlebensrate einher. Andere Daten zeigen, dass mit der Bildung von AGEs die antioxidative Wirksamkeit etwa von Darrmalzen steigt. Des Weiteren wurden präbiotische Wirkungen und Effekte gegen Tumorzellen nachgewiesen.

10. Anreicherung von Lebensmitteln mit Nährstoffen und deren gesundheitliche Bedeutung

(Vortrag Prof. Dr. Rolf GROSSKLAUS, Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin

Es gibt ein zunehmendes Angebot von angereicherten Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln. Sie können einerseits zu einer verbesserten Nährstoffversorgung beitragen, davon profitieren zum Beispiel Menschen mit nachgewiesener Unterversorgung oder einseitiger Ernährung, Schwangere und Stillende. Andererseits ist es schwierig, diese Gruppen zu erreichen, ohne gut versorgte Bevölkerungsgruppen mit diesen Nährstoffen zu überladen. Der Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen erfolgt heute auch, um gesundheitliche Wirkungen zu erzielen, die aufgrund neuer Erkenntnisse identifiziert wurden. Die Daten der Nationalen Verzehrsstudie zeigen, dass Folsäure und Vitamin D kritische Nährstoffe sind, während die wasserlöslichen Vitamine keine Sorgenkinder sind. Die Jodversorgung ist nur dann kritisch, wenn kein Jodsalz verwendet wird.

Bei der Risikobewertung von Nährstoffen ist eine Expositionsabschätzung wichtig, sowohl hinsichtlich einer suboptimalen als auch einer exzessiven Aufnahme. Aus diesen Daten werden das Gefährdungspotenzial und Dosis-Wirkungsbeziehungen abgeleitet, woraus der Upper Intake Level (UL) bestimmt wird. Er benennt die sichere Gesamttageszufuhr aus allen Quellen. Nicht für alle Nährstoffe konnte ein UL abgeleitet werden.

Dies hat verschiedene Gründe: Bei Biotin, Thiamin und Riboflavin wurden beispielsweise keine nachteiligen Effekte identifiziert. Bei anderen Nährstoffen, etwa Beta-Carotin oder Vitamin C, wurden zwar nachteilige Effekte entdeckt, aber keine Dosis-Wirkungsbeziehung gefunden. Bei Eisen oder Nickel sind nachteilige Effekte möglich, aber es liegen zu wenige Daten vor. Bei Nährstoffen ohne UL bestehen also eher Wissenslücken; sie bedeuten keinen Freibrief für eine unbegrenzte Aufnahme. „Es gibt keine Daten, die belegen, dass selbst Stoffe wie Thiamin bei chronisch hoher Zufuhr sicher sind“, so Prof. GROSSKLAUS.

Im gemeinsamen europäischen Markt ist es notwendig, einheitliche Höchstmengen festzulegen. Es gibt bis heute jedoch kein ideales Modell zur Festlegung von Höchstmengen für den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen zu Lebensmitteln. Im BfR-Modell wird der „current intake“ vom UL abgezogen; übrig bleibt die Restmenge der Vitamin- bzw. Mineralstoffaufnahme, die für eine sichere zusätzliche Zufuhr durch Nahrungsergänzungsmittel und angereicherte Lebensmittel insgesamt zur Verfügung steht. Ein Mehrfachexpositionsfaktor berücksichtigt zudem die mögliche Einnahme mehrerer Produkte. Entscheidend ist die Bestimmung eines „Safe range of additional intake“, der sich auf angereicherte und Supplemente aufteilt.

11. Alkoholmissbrauch als individuelles Risiko für Organschäden

(Vortrag Prof. Dr. Helmut K. SEITZ, Klinik Salem, Heidelberg)

Der Alkoholkonsum liegt in Deutschland bei 9,9 Liter pro Kopf und Jahr: „Das ist viel zu viel“, konstatierte Prof. SEITZ. 1,3 bis 1,6 Millionen Bundesbürger sind alkoholabhängig, und knapp 6 Millionen haben einen problematischen Alkoholkonsum. Das Einstiegsalter liegt bei 12 bis 13 Jahren – mit gravierenden Folgen: 6 % der Jugendlichen sind alkoholabhängig, im Jahr 2008 mussten 23.000 Jugendliche nach Alkoholexzessen in Krankenhäusern behandelt werden. Auf der anderen Seite trinken immer mehr Senioren zuviel Alkohol: 5–10 % der Männer und 1–2% der Frauen über 60 haben einen problematischen Alkholkonsum.

Alkohol schädigt fast jedes Organ und jedes Gewebe. Risikofaktoren für alkoholische Lebererkrankungen sind vor allem die tägliche Alkoholmenge, aber auch das Trinkmuster: Regelmäßiges Trinken führt eher zu Leberzirrhose oder Krebs, sporadisches Trinken großer Mengen, wie etwa in Finnland üblich, führt eher zum kardiovaskulären Tod. Neben genetischen Faktoren und dem Geschlecht spielt auch das Gewicht eine Rolle: Sowohl Unterernährte als auch Überernährte haben ein erhöhtes Risiko für alkoholische Lebererkrankungen.

Bei einer alkoholischen Lebererkrankung entsteht fast immer eine Fettleber, aus der sich bei einem Teil der Patienten eine Alkoholische Steato Hepatitis (ASH) entwickelt, von denen wiederum wenige an einer Zirrhose erkranken. Diese Sequenz wird durch Diäten, Genetik und andere Lebererkrankungen modifiziert. Besonders Frauen entwickeln schon bei niedrigen Alkoholdosen eine Leberzirrhose, etwa bei 3–4 Drinks pro Tag. Auch das Fortschreiten der alkoholischen Hepatitis zur Zirrhose verläuft bei ihnen deutlich ausgeprägter als bei Männern. Selbst wenn Frauen aufhören zu trinken, kann die Hepatitis weiter in eine Zirrhose übergehen.

Eine weitere Lebererkrankung, bei der Alkohol eine große Rolle spielt, ist die Hepatitis C. Sie entwickelt sich schleichend und bleibt oft unerkannt. In Verbindung mit Alkohol schreitet die Leberfibrose viel schneller voran als bei Alkoholabstinenz und auch das Risiko für Leberkarzinome steigt massiv. Das heißt: Patienten mit Hepatitis C dürfen keinen Alkohol trinken. Inzwischen werden alkoholische Getränke zudem als karzinogen eingeschätzt: Alkohol erhöht das Risiko für Tumoren des oberen Gastrointestinaltraktes, der Leber, der Brust und des Kolorektums. Eine katastrophale Kombination ist in diesem Zusammenhang Alkohol und Rauchen; dabei steigt das Risiko für Speiseröhrenkrebs massiv.

Im Stoffwechsel wird Alkohol zunächst zu Acetaldehyd und weiter zu Acetat abgebaut. 40 % der Japaner können Acetaldehyd jedoch nicht schnell genug abbauen, weil das dafür zuständige Enzym nur 10% Aktivität erreicht. Sie akkumulieren folglich Acetaldehyd, was der Gesundheit weder akut bekommt – sie reagieren unter anderem mit rotem Kopf, Schweißausbrüchen und Tachykardie – noch langfristig gut tut: Das Risiko für multiple Tumoren des oberen Gastrointestinaltraktes steigt um das 54fache.

Wir Kaukasier haben dagegen einen Polymorphismus an dem Gen, das für den Stoffwechsel von Alkohol zu Acetaldehyd codiert. Er entscheidet über das Risiko für Mundkrebs: Diejenigen mit ADH1C, die ganz wenig Acetaldehyd produzieren, können acht Drinks trinken, das entspricht anderthalb Flaschen Wein, und haben trotzdem nur ein 4fach erhöhtes Risiko. Diejenigen mit dem Gen, das viel Acetaldehyd produziert, haben dagegen ein 40fach erhöhtes Risiko.

Bei einer Aufnahme von 12 g Alkohol zeigen sich auch positive Effekte: Das Risiko für koronare Herzkrankheiten und kardiovaskuläre Events sinkt. Gleichzeitig steigt bei dieser Dosis aber bereits das Risiko für Speiseröhrenkrebs. Am besten profitieren ältere Menschen mit einem hohen kardiovaskulären Risiko von kleinen Mengen Alkohol.

Viele Situationen, etwa Schwangerschaft, Stillzeit oder die Einnahme von Medikamenten wie Paracetamol erfordern absolute Alkoholabstinenz. Wenn Alkohol getrunken wird, sollten Frauen maximal 10 g, Männer 20 g aufnehmen und es sollten mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche eingelegt werden.

12. Die Bildung schädlicher Stoffe als Reaktionsprodukte des Stoffwechsels

(Vortrag Prof. Dr. Pablo STEINBERG, Tierärztliche Hochschule Hannover)

Pro Jahr werden in Deutschland 70000 Fälle an Dickdarmkrebs neu diagnostiziert. Nur 10 % sind genetisch bedingt, die restlichen 90 % werden unter anderem mit der Ernährung in Verbindung gebracht. Epidemiologische Studien zeigen, dass stark erhitztes rotes Fleisch das Dickdarmkrebsrisiko erhöht. Es gibt mehrere Stoffklassen, die dafür verantwortlich sein könnten, z. B. die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe, heterozyklische aromatische Amine oder exogen gebildete N-Nitrosoverbindungen. Seit einiger Zeit ist eine weitere Stoffgruppe in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, die endogen gebildeten N-Nitroso-verbindungen, deren wichtigste Vertreter Nitrosyl-Häm und S-Nitroso-Thiole sind. Sie entstehen im Dickdarm nach dem Verzehr von stark erhitztem roten Fleisch und verschwinden nach dem Verzehr von weißem Fleisch.

Ihre Bildung ist dosisabhängig: Je mehr rotes Fleisch man verzehrt, desto mehr endogen gebildete N-Nitrosoverbindungen tauchen im Stuhl auf. Entscheidend für die Bildung dieser Substanzen ist der hohe Gehalt an Häm im roten Fleisch. Eine Untersuchung an Patienten mit künstlichem Darmausgang hat gezeigt, dass die N-Nitrosoverbindungen bereits im Dünndarm entstehen und die Bildung im Verlauf der weiteren Verdauung noch steigt. Ein beunruhigender Befund, denn im Darm reagieren die endogen gebildeten N- Nitrosoverbindungen mit Aminosäuren unter der Bildung diverser Intermediate, wie etwa Diazoacetat.

Es ist bekannt, dass Diazoacetat mit Basen der DNA reagiert und bestimmte Addukte bildet. Es entstehen modifizierte Basen, die von den DNA-Reparaturenzymen nur schlecht repariert werden können. In Stuhlproben von Probanden mit zuvor hohem Verzehr an rotem Fleisch konnten Zellen nachgewiesen werden, die diese veränderten Addukte tragen. Ob diese Addukte zur Bildung von Dickdarmkrebs führen, bleibt abzuwarten.

Den Ankündigungstext zu diesem Beitrag finden Sie in Ernährungs Umschau 07/09 ab Seite 387.

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