Zu guter Letzt 8/2017: Frechheit: Ost-West-Gefälle
- 15.08.2017
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- Helmut Heseker
Die Globalisierung hat das Reisen für viele Menschen auch deshalb so angenehm und stressarm gemacht, weil wir inzwischen fast nirgends auf die aus der Heimat bekannte Ernährungsumwelt mit entsprechendem Getränkesortiment verzichten müssen und uns überall gleich wie daheim fühlen.
Großzügig verdrängt oder gar nicht erst zur Kenntnis genommen wird, dass das Schokocreme-Frühstücksbrötchen auf der Budapester Fischerbastei beim Blick auf die Donau weniger schokoladig und die global bekannte Cola in den kleinen Bars auf dem historischen Prager Hradschin irgendwie anders schmeckt, den Kindern die Fischstäbchen auf dem Warschauer Schlossplatz mit Blick auf das Königsschloss merkwürdig panadig und wenig fischig vorkommen und die auf der Rückfahrt bei einem deutschen Discounter in Bratislava gekauften, von zuhause gut bekannten Markenbutterkekse das Auto zwar genauso vollkrümeln, aber eben nicht so gewohnt buttrig schmecken.
Bisher von Konsumenten leise geäußerte Kritik an regional unterschiedlichen Ost-West-Qualitätsstandards wurde seitens der multinationalen Lebensmittelkonzerne meist mit „unterschiedlichen Geschmacksnerven und Käufererwartungen“ der östlichen Nachbarn brüsk vom Tisch gewischt. Es gäbe starke lokale Geschmacksunterschiede und man orientiere sich an den Konkurrenten am Markt. Kaum vorstellbar ist allerdings, dass unseren osteuropäischen Nachbarn in Keksen geschmackloses, billigeres Palmöl besser schmeckt als Butter und sie überhaupt in ihrer Küche der Butter abgeschworen haben.
Die Vorwürfe aus den osteuropäischen Visegrad-Staaten, dass bestimmte in West und Ost beliebte Markenprodukte (u. a. Lebensmittel und Waschmittel) in ihren Ländern schlechtere Qualitäten haben, sind schon seit längerem bekannt und auch bei der EU-Kommission aktenkundig. Da dies aber offenbar voll und ganz konform mit EU-Recht ist, sah bisher niemand akuten Handlungsbedarf. Inzwischen hat das Thema „Lebensmittelungleichheit“ aber deutlich an Fahrt aufgenommen und durch markige Vorwürfe aus der Politik wie „Lebensmittelrassismus“, „zweitklassiges Essen“ oder „man fühle sich wie der Mülleimer Europas“ trotz Türkeikrise einen festen Platz im medialen Sommerloch erobert. Die meisten Firmen reagierten reflexartig mit den bekannten (Schein-)Begründungen ihrer PR-Agenturen und Lobbyisten auf die massiven Anschuldigungen. Erst nachdem ARD und Bild darüber an prominenter Stelle berichteten und Boykottdrohungen lauter wurden, sah sich der erste Kekshersteller genötigt, dem Butterkeks überall die Buttermenge zukommen zu lassen, die ihm nach deutscher Rezeptur zusteht.
Wie so oft dürften die bisher bekannten Fälle lediglich die Spitze eines Eisbergs darstellen. Längst sind auch deutsche Markenwurstwaren und Teebeutel ins Visier der Behörden geraten. Wenn allerdings Produktauthentizitätsanalysen auch auf der Suche nach intrakonzernlich abgeändert bzw. verfälschten Produkten angewendet werden, dann dürften weitere Firmen einknicken und identische Produkte mit gleichen Inhaltsstoffen für Ost und West anbieten.
Ihr Helmut Heseker
Den Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 8/17 auf Seite M480.
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