Editorial 8/2018: Disziplinen-Brille
- 15.08.2018
- Print-Artikel
- Lisa Hahn
Ein Blick in die Tageszeitung, in Zeitschriften, ins Internet macht schnell deutlich: Am Thema Ernährung kommt man nicht mehr vorbei. Ob seriöser Wissenschaftsjournalismus oder Diät-Rezepte, ob Service-Sendungen oder Test-Formate – auf jedem Niveau ist etwas über Essen und Lebensmittel zu finden; Ernährung scheint das Thema zu sein.
Die Studie „Food & Health 2018“ der Analytics Group You-Gov offenbart sogar, dass für jeden Achten der 2 000 Befragten Essen „eines der wichtigsten Dinge in ihrem Leben“ ist. Für 58 % ist Essen zumindest ein wichtiger Teil.1 Nimmt Ernährung mittlerweile tatsächlich einen so hohen Stellenwert in unserem Leben ein? Zumindest macht es durch meine „Ökotrophologen-Brille“ und die beruflich bedingten Interessen den Anschein.
Unser Special ab Seite M432 zeigt eine andere Sichtweise. Im Interview spricht der Kommunikationsforscher Peter Schulz über die Rolle der Ernährung in der Gesundheits- und Wissenschaftskommunikation und zeigt, dass diese in den akademischen Kommunikationsdisziplinen eine eher untergeordnete, weil „mäßig interessante“ Rolle spielt. Die Arzt-Patienten-Kommunikation in der Gesundheitskommunikation hat andere, medizinische Schwerpunkte und in der Wissenschaftskommunikation zwischen Forscher und Gesellschaft konkurrieren wir mit großen Disziplinen wie der Chemie und Physik. Ernährung ist dort nur Nebensache. Dabei könnte ein Blick auf das ernährungsbezogene kommunikative Geschehen wie z. B. in der professionellen Ernährungsberatung akademisch durchaus lohnenswert sein.
Es fragt sich, ob wir Ernährungsfachkräfte – wie alle anderen Spezialisten auch – unser eigenes Fach überbewerten oder ob die Kommunikation um und über Ernährung nur in der Kommunikationsforschung noch nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die der Präsenz dieses Themas in privater und öffentlicher Kommunikation angemessen wäre. Die dem Interview angehängten Kommentare der „großen Player“ der Ernährungskommunikation zeigen, dass (zumindest für diese) Ernährung immens wichtig ist und keine untergeordnete Rolle spielen sollte.
Es scheint also stark darauf anzukommen, welche „Interessensbrille“ man sich im Laufe des Lebens so aufsetzt. Mir als Ökotrophologin kommt es so vor, als sei Ernährung omnipräsent, andere Disziplinen scheinen dies anders wahrzunehmen. Nichtsdestotrotz will ich meine Ökotrophologen- Brille nicht absetzen, sondern Ernährungsthemen und gute Kommunikation darüber weiter stärken. Sie muss ja nicht der einzige Lebensmittelpunkt sein, dafür gibt es zu viele weitere schöne und wichtige Dinge.
In diesem Sinne: Genießen Sie unsere August-Ausgabe – egal mit welcher Brille Sie diese lesen.
Herzlichst, Ihre Lisa Hahn
1 YouGov. Für jeden Achten ist Essen der wichtigste Teil des Lebens. URL: https://yougov.de/news/2018/06/05/fur-jeden-achten-ist-essen-der-wichtigste-teil-des/ Zugriff 19.06.18
Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 8/2018 auf Seite M409.