Editorial 10/07: Die Alten sind immer die Anderen

Prof.Dr.Helmut Erbersdobler

Die Grand Old Lady der britischen Ernährungswissenschaft E. M. WIDDOWSEN sagte sinngemäß einmal auf die Frage, was man bei der Ernährung im Alter beachten müsse: „Für die Ernährung im Alter braucht man nur 2 Dinge: 1. Eine gute Brille, damit man die Gräten im Fisch sieht; 2. gute Zähne, damit man auch Körniges essen kann.“ Für sie, die bei guter Gesundheit und wachem Geist alt geworden war, hatte dies vermutlich tatsächlich ausgereicht.

Heute beherrscht das „Altersproblem“ alle Medien. Warum ist das so? Weil die Zahl der Alten ständig steigt, darunter auch die Zahl der Pflegebedürftigen, deren Betreuung noch vielfach im Argen liegt. Dies betrifft nicht nur die immer wieder angeprangerten „Zustände“ in entsprechenden Einrichtungen. Mittlerweile werden in Deutschland bereits 1,2 Mio. pflegebedürftige Alte zu Hause versorgt. Daraus ergeben sich ungeahnte ökonomische, soziale und menschliche Probleme, für deren Lösung möglichst rasch Strategien gefunden und entwickelt werden müssen. Über die physiologischen Veränderungen im Alter erfahren Sie mehr im Artikel ab S. 580.

Im Hinblick auf eine altersgerechte Ernährung ist insbesondere die sich ändernde Energiebilanz zu nennen. Die zunehmende Bewegungsarmut erfordert eine leichte Kost mit geringer Energie-, aber hoher Nährstoffdichte. Gleich wichtig ist die Einhaltung der Flüssigkeitsbilanz, da bei Alten vielfach das Durstgefühl verloren geht. Hinzu kommen ggf. Nahrungsunverträglichkeiten, insbesondere gegenüber säurehaltigen oder blähenden Speisen. Manche Nährstoffe, z. B. Vitamin B12, werden nicht mehr so gut resorbiert .

Die geringere Mobilität, insbesondere der seltenere Aufenthalt im Freien, machen die Vitamin-D-Versorgung problematisch, was sich negativ auf viele Körperfunktionen wie den Knochenaufbau und die Muskelkoordination auswirkt. Im präventiven Bereich gibt es viele weitere Empfehlungen für Alte, viele allerdings auf der Basis von schwacher oder kaum vorhandener Evidenz (z. B. n-3-Fettsäuren gegen Alzheimer, Selen und Megadosen an Vitamin E gegen „oxidativen Stress“).

Manches ist unseriös und nutzt die Ängste und Vertrauensseligkeit älterer Menschen schamlos aus. Am wichtigsten ist es zunächst, das „aktive Alter“ möglichst lange zu erhalten. Dazu gehören eine positive Einstellung zum Leben, Motivation, körperliche und geistige Aktivität und sicherlich auch Lust am Essen und am Zubereiten von Essen. Vielfach hilft auch ein Haustier (v. a. ein Hund).

Besonders wichtig erscheint es mir, dass Alte noch in die Gesellschaft der Jüngeren eingebunden werden und nicht nur in Altenclubs (zum Tanzen, Nordic-Walking, Kochen etc.) abgeschoben werden. Die Menschen leben länger und sind länger leistungsfähig. Sie haben wirklich noch was zu bieten und zwar im physiologischen, mentalen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich, wie der Beitrag ab S. 574 in diesem Heft sehr schön zeigt.

Bei den „betreuten Alten“ sind bezüglich der Ernährung 3 Grundsätze wichtig. 1. Ausreichende Mittel zur Versorgung mit hochwertiger Nahrung 2. Eine Nahrungsqualität, die zum Essen verlockt und damit die ausreichende Aufnahme von Energie und Nährstoffen, einschließlich Wasser gewährleistet. 3. Ein angenehmes Umfeld und eine gute Allgemeinpflege bis hin zur Intensivbetreuung. Alle 3 Forderungen setzen eine ausreichende Finanzierung voraus. Dass diese nicht gegeben ist, darin liegt der eigentliche Skandal.

Die Gesellschaft stellt sich nur langsam auf die Realität ein, dass es bald mehr Alte als Junge gibt. Selbst für die Senioren sind die Alten immer die Anderen. Es wird noch eine halbe Generation dauern, bis dieser Prozess abgeschlossen ist.
Lassen Sie es uns angehen!

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Helmut Erbersdobler

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