Nachschlag: Teelyrik
- 15.10.2019
- Print-Artikel
- Helmut Heseker
Wer sehnt sich nicht – zumindest manchmal – nach einem einfachen Mittel, das zur Harmonie für Körper und Seele, zu innerer Ruhe und Entspannung oder zur Steigerung der Konzentration beiträgt? Dank der seit 2007 gültigen Health-Claims-Verordnung sind gesundheits- bzw. nährwertbezogene Aussagen für Lebensmittel prinzipiell nur noch dann zulässig, wenn die Angaben von der European Food Safety Authority (EFSA) in einem vorgegebenen Verfahren wissenschaftlich anerkannt wurden. Und das war bekanntlich für viele bis dato weit verbreitete Wirkversprechen und Werbeaussagen eindeutig nicht gegeben. Einschlägige (Rand-)Sparten des breiten Lebensmittelsektors trauern bis heute den guten alten Werbezeiten mit viel Wehmut nach.
Seitdem bedarf es viel juristischen Fingerspitzengefühls, kaufanreizsteigernde Werbeversprechen so zu formulieren, dass diese nicht gegen die Health-Claims-Verordnung, das Wettbewerbsrecht und das Heilmittel-Werberecht verstoßen. Da vielen VerbraucherInnen Gesundheit und Wohlbefinden einiges wert sind, wird intensiv nach Wegen gesucht, dies unerschöpfliche Verlangen doch irgendwie absatzfördernd zu nutzen.
Eine Produktpalette, die hierbei besonders phantasievoll auf Wellness und Gesundheit setzt, ist der Teesektor. Kaum irgendwo sonst finden sich z. Zt. so viele blumige, fast lyrisch anmutende Werbeaussagen – nicht selten versehen mit einer Prise ostasiatischer Mystik und Philosophie. Auch traditionelle Teekontore bieten u. a. die Varianten „Harmonie für Körper & Seele“, „Basisch & Vital“, „Anti-Stress-Tee“ oder als entkoffeinierte Versionen „Sanfte Welle“, „Bio-Wellenbrecher“ oder „Bio-Küstensonne“ an.
Neulich bei einem Tea-Tasting präsentierte uns ein Teesommelier die neue Premium-Wohl-Fühl-Kollektion – sozial-verträglich und durch EU Bio-Siegel zertifiziert – und wir tauchten ein in die uralten Geheimnisse des Tees und erlebten dieses jahrhundertealte Getränk in seiner umfassendsten Form. Mit Ingwer, Salbei, Ringelblumen, Lavendel, Schafgarbe, Brennessel, Goji, Zitronenmyrte, Süßholz- oder Brombeerblättern, Orangen- oder Rosenblüten aromatisierte bzw. vermischte Tees sollten in unbekannte Geschmackswelten führen und uns den „Lärm der Welt“ vergessen lassen. Letzteres gelang durch die der Teezubereitung eigene ruhige Atmosphäre recht gut, auch wenn die vorgegaukelten Wirkungen des abschließenden Tässchens „rundum Glücklichsein-Tee“ aus naturwissenschaftlicher Sicht eher illusorisch sind.
Um Enttäuschungen von Werbeversprechen zu vermeiden, gilt auch hier: Auch wenn es verlockend sein mag, sich als VerbraucherIn auf wohlige Wellness-Versprechen zu verlassen – der Effekt des Teetrinkens hängt wohl eher von der Qualität der enthaltenen ätherischen Öle und der Harmonie des Trinkenden ab als von den wohlklingenden Namen des Tees.
Ihr Helmut Heseker
Diesen Artikel finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 10/2019 auf Seite M632.
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