Editorial 10/2024: Reinen Wein einschenken

… „Trinke nicht mehr nur Wasser, sondern nimm ein wenig Wein dazu um des Magens willen und weil du oft krank bist.“1 Zu diesem rund 2000 Jahre alten Ernährungstipp des Apostel Paulus an seinen „Klienten“ Timotheus gibt es theologische und historisch-kritische Deutungsversuche: So sei die hygienische Qualität von Trinkwasser damals teilweise schlechter als die vergorener Getränke gewesen. Auch „Koma-Saufen“ ist bereits biblisch belegt2, ebenso wie Aufrufe zu (in heutiger, evidenzbasierter Sprache) risikoarmem Alkoholkonsum: „Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt.“3

Bis heute halten sich die gesundheitsförderlichen Zuschreibungen rund um Alkoholika – vom „Verdauungsschnäpschen“ (Wirkung widerlegt) über die „krankheitsvorbeugenden natürlichen Inhaltsstoffe“ in Bier oder das anti-inflammatorische Resveratrol in Rotwein. Ganz zu schweigen von der „anregenden“ Wirkung. Die Fakten zum gesundheitsschädigenden Potenzial blenden wir als Gesellschaft im Gegenzug fast kollektiv aus: In Deutschland starben im Jahr 2020 3600 Frauen und 10600 Männer an einer ausschließlich auf Alkohol zurückzuführenden Todesursache.4 Nüchterne Statistik. Ganz ohne Mahnwachen oder Protestmärsche.
Und dann gibt es ja die oft gezeigten J-förmigen Kurvenverläufe, wonach die Mortalitätsrate bei 0 Alkoholkonsum etwas höher ist als bei „mäßigem“ Alkoholkonsum und erst danach wieder mit steigendem Konsum zunimmt. Allerdings ist dies auf den „Sick-Quitter-Effekt“5 zurückzuführen: Wenn Menschen aufgrund einer Erkrankung auf (vorherigen) Alkoholkonsum verzichten, können Sie – dann bei 0 Alkoholkonsum – trotzdem aufgrund der vorbestehenden Erkrankung früher sterben. Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) bringt es auf den Punkt: „Die Rolle von Tabak und Alkohol als Risikofaktoren für Nichtübertragbare Krankheiten kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.“6
In ihrem aktuellen Positionspapier zu Alkohol (Kurzfassung ab Seite M569) stellt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung nicht nur die derzeitige Datenlage zu Gesundheit und Alkoholkonsum zusammen, sondern geht auch auf soziale Aspekte und sinnvolle Public-Health-Maßnahmen ein. Ein Fazit: Es gibt keine potenziell gesundheitsfördernde und sichere Alkoholmenge für einen unbedenklichen Konsum. Entsprechend wurde der bisherige DGE-Referenzwert für die Alkoholzufuhr aufgegeben. Als „risikoarm“ gelten 1–2 alkoholische Getränke (< 27 g Alkohol) pro Woche. Es bleibt also durchaus ein kleiner Spielraum für den Genuss-Aspekt und dafür viel Raum, neben Bier und Wein auch mal anderen Getränken eine Chance zu geben.

Ihr Udo Maid-Kohnert

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1 1. Timotheus 5,23, www.bibleserver.com/de/verse/1.Timotheus5 ,23 (last accessed on 24 September 2024)
2 1. Mose 9,21, www.bibleserver.com/LUT/1.Mose9  (last accessed on 24 September 2024)
3 Epheser 5,18, www.bibleserver.com/LUT/Epheser5%2C18 (last accessed on 25 September 2024)
4 www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/a/alkohol  (last accessed on 24 September 2024)
5 https://daffodilcentre.org/the-sick-quitter-effect-alcohol-related-death-has-been-underestimated-over-the-past-30-years/ (last accessed on 24 September 2024)
6 DANK-Pressemeldung vom 24.09.2024, www.dank-allianz.de/pressemeldung/startschuss-in-bruessel-mitbeteiligung-von-dank-und-dkfz.html  (last accessed on 25 September 2024)



Dieses Editorial finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 10/2024 auf Seite M553.

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