Nachschlag: Belohnungsaufschub
- 15.11.2021
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- Udo Maid-Kohnert
Spätestens seit Walter Mischels Marshmallow-Test1 wissen wir, dass unsere Fähigkeit, Belohnungen „aufzuschieben“, mit vielen anderen lebenswichtigen Eigenschaften korreliert, z. B. der Fähigkeit zu gesundem Umgang mit Stress. Frühestens ab dem 2. Lebensjahr und individuell sehr unterschiedlich entwickeln Kinder zunehmend Selbstkontrollkompetenz (umfasst Impulskontrolle und Belohnungsaufschub) – ein wichtiges Zeitfenster daher auch für Ernährungsbildung.
Wenig untersucht erscheint mir, ab welchem Alter (und in welchen Berufsgruppen) die Bereitschaft zum Belohnungsaufschub wieder abnimmt und Menschen sich die von ihnen für angemessen gehaltene Belohnung selbst verordnen: Die Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz und die TU München veröffentlichten vor ein paar Monaten, wieviel die Vorstände der DAX-Unternehmen mehr verdienen als der Durchschnitt ihrer MitarbeiterInnen. Spitzenreiter war zum Zeitpunkt der Erhebung der Lieferdienst Delivery Hero. Zwar hat das Unternehmen bis dato eher Verlust gemacht, aber der Vorstand streicht seine Belohnung in 121-facher Höhe2 des durchschnittlichen Mitarbeitergehalts sicherheitshalber schonmal ein und sammelt weiter Kapital risikofreudiger AnlegerInnen. Seine Essens-Bringdienste hatte das Unternehmen zwischenzeitlich an die Konkurrenz Takeaway („Lieferando“) verkauft und nur noch in anderen EU-Ländern geliefert. Jetzt will es in Deutschland unter dem Namen Foodpanda mit einem erweiterten Lieferdienst für Essen sowie Lebensmittel und Haushaltsprodukte in Großstädten in (so angekündigt) unter 7 Minuten wieder neu starten3.
Offenbar scheint es bei mir außerhalb der Großstadt einfacher zu sein als in Berlin, Köln oder München, den Lebensmitteleinkauf zu planen und selbst zu erledigen, oder – wenn nicht selbst gekocht werden soll – Essen direkt beim Italiener des Vertrauens abzuholen oder dort zu bestellen. Vielleicht hat die Landbevölkerung durch schlechtere Infrastruktur epigenetisch geprägt auch mehr Geduld, die länger als 7 Minuten reicht: Selbst wenn die Wartezeit auf eine bestellte Pizza mal 30 Minuten beträgt und Bestellen nur old style via Telefon (und nicht per App) oder durch Selbstabholen geht: Das Trinkgeld kommt direkt dem von mir ausgewählten Restaurant bzw. seinem „Pizzaboten“ zugute. Und da die Provision, die das Restaurant an den Lieferdienst zahlen muss, entfällt, kann mehr Geld in die Qualität der Lebensmittel fließen. Dieser Belohnungsaufschub zahlt sich finde ich aus.
Genießen Sie Ihr Essen in Ruhe.
Ihr Udo Maid-Kohnert
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1 Walter Mischel: The Marshmallow Test. www.youtube.com/watch?v=XcmrCLL-7Rtw
2 www.lebensmittelzeitung.net/handel/karriere/gehaltskluft-delivery-hero-vorstand-verdient-121-mal-mehr-als-seine-mitarbeiter-160475 (last accessed on 25 October 2021).
3 Delivery Hero kommt zurück nach Deutschland. Süddeutsche Zeitung online, 12.5.2021. www.sueddeutsche.de/wirtschaft/lieferdienst-delivery-hero-corona-1.5291884 (last accessed on 25 October 2021).
Diesen Artikel finden Sie wie auch die Vorschau auf die nächste Ausgabe in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 11/2021 auf Seite M680.
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