Evidenzbasierung von Ernährungsempfehlungen: Wie lässt sich das Verzerrungsrisiko in Ernährungsstudien beurteilen?

Aus ethischen und methodischen Gründen lassen sich nicht alle ernährungswissenschaftlichen/-medizinischen Fragestellungen in randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) erforschen. Oft kommen daher lediglich nicht randomisierte Studiendesigns (NRSs) wie prospektive Beobachtungsstudien zum Einsatz. Nicht selten werden Ernährungsempfehlungen daher pauschal als nicht ausreichend begründet kritisiert [1].

In einem Beitrag im European Journal of Nutrition [2] erläutern Schwingshackl et al., welche Verzerrungsrisiken daraus resultieren, wenn systematische Reviews hauptsächlich auf den Ergebnissen nicht randomisierter Studien beruhen. Sie beleuchten auch, welche Ansätze dabei helfen, Verzerrungsrisiken abzuschätzen und damit letztendlich die Vertrauenswürdigkeit von Ernährungsempfehlungen zu stärken.

Die Autoren geben Beispiele für widersprüchliche Ergebnisse von RCTs und NRS zu bestimmten Nahrungskomponenten, beschreiben die jeweiligen Stärken und Schwächen beider Studienansätze und listen wichtige Ursachen für die Verzerrung von Studienergebnissen auf. Hierzu zählen z. B. soziale Erwünschtheit bei Befragungen, Confounder oder nichtrepräsentative Studienteilnehmer (so rauchen VeganerInnen durchschnittlich weniger, an Ernährung interessierte Menschen nehmen häufiger an Studien teil). Systematische Fehler wie falsche Angaben zu Portionsgrößen/Lebensmitteln in Fragebögen können gleichermaßen RCTs und NRSs betreffen. Wenn dann die Ergebnisse von Studien in systematischen Reviews oder Metaanalysen zusammengefasst werden, ohne das jeweilige Risiko für Verzerrungen (risk of bias, ROB) zu berücksichtigen, kann es zu Fehlschlüssen kommen.

Als Abhilfe fordern die Autoren, die Anwendung GRADE-Kriterien (Grading of Recommendations Assessment, Development, and Evaluation) [3] zur Bewertung der Evidenz und ein konsequentes ROB-Assessment aller berücksichtigter Studien, etwa mit dem Cochrane ROB-Tool [4] oder dem ROBINS-I-Tool (Risk of bias in non-randomized studies of interventions/exposures) [5], durch welche sowohl verschiedene Verzerrungsrisiken als auch die generelle Qualität des Studiendesigns bewertet werden. Die Autoren vergleichen verschiedene Ansätze zur Beurteilung der Studienqualität – GRADE, den Ansatz des World Cancer Research Fund (WCRF) und des US Department of Agriculture (USDA) in den Dietary Guidelines for Americans – und diskutieren die Anwendbarkeit und Limitationen der GRADE- Kriterien auf ernährungswissenschaftliche Fragestellungen.

Sie kommen zu dem Schluss, dass sich durch eine konsequente Bewertung des Verzerrungsrisikos von Studien auf Basis der erwähnten Tools zwar nicht die Evidenzstärke einzelner Studien verbessert, jedoch die Belastbarkeit der auf Basis von systematischen Reviews formulierten Ernährungsempfehlungen gesteigert wird.

Literatur

  1. Maid-Kohnert U: Kommentar: Debatte um Ernährung und Klima im Deutschen Ärzteblatt. Ernährungs Umschau 2020; 67(9): 511.
  2. Schwingshackl L, Schünemann HJ, Meerpohl JJ: Improving the trustworthiness of findings from nutrition evidence syntheses: assessing risk of bias and rating the certainty of evidence. Eur J Nutr 2020; 70(8): 869–78.
  3. Alonso-Coello P, Schünemann HJ, Moberg J, et al.: (2016) GRADE Evidence to Decision (EtD) frameworks: a systematic and transparent approach to making well informed healthcare choices. 1: Introduction. BMJ 2016; 353: i2016.
  4. Higgins JP, Altman DG, Gotzsche PC, et al.: The Cochrane Collaboration’s tool for assessing risk of bias in randomised trials. BMJ 2011; 343: d5928.
  5. Sterne JA, Hernan MA, Reeves BC et al.: ROBINS-I: a tool for assessing risk of bias in non-randomised studies of interventions. BMJ (Clinical research ed) 2016; 355: i4919.


Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 3/2021 auf Seite M126.

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