World Brain Day 2024: Hoher Zuckerkonsum schädigt die Hirngesundheit

Allein 40 % aller Demenzfälle und 90 % aller Schlaganfälle wären vermeidbar. Dennoch steigt weltweit die Krankheitslast von neurologischen Krankheiten.

Die Global Burden of Diseases-Studie [1] untersucht seit 1990 im Auftrag der Bill & Melinda Gates-Stiftung die Zahl der Todesfälle sowie die Zahl der verlorenen Lebensjahre für insgesamt 288 Erkrankungen. Aktuell wurde die Auswertung des Jahres 2021 publiziert – Schlaganfall und Demenzen sind unter den zehn häufigsten Todesursachen. Das illustriert, wie wichtig Präventionsmaßnahmen zur Gesunderhaltung des Gehirns sind. Dazu zählt ein gesunder, aktiver Lebensstil mit ausreichend Bewegung und Schlaf, aber auch die Vermeidung von schädlichen Substanzen wie Alkohol, Nikotin oder anderer Drogen und Schadstoffe.
Zum diesjährigen World Brain Day 2024 nahmen die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Hirnstiftung Zucker als „neurotoxische“ Substanz in den Fokus, da ein hoher Konsum die Hirngesundheit schädigt. Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung erklärt, dass das Gehirn durchaus Glucose benötigt, um zu funktionieren. „Doch bei einer dauerhaften Erhöhung des Blutzuckerspiegels durch zu viele und zu üppige Mahlzeiten und durch das ständige Naschen und ‚Snacken‘ nebenbei bringen wir das Fass zum Überlaufen und befeuern die Entstehung von neurologischen Krankheiten, allem voran auch von Demenz und Schlaganfällen.“ Der Zucker-Pro-Kopf-Verbrauch lag im Wirtschaftsjahr 2021/22 bei 33,2 kg – und war damit fast doppelt so hoch wie empfohlen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) spricht sich dafür aus, dass maximal 10 % der Gesamtenergie pro Tag aus Zucker stammen sollten [2]. Bei einem durchschnittlichen Energiebedarf von 2000 kcal/Tag sind das 50 g/Tag, also 18 kg/ Jahr. Dazu zählt nicht nur der zugesetzte Zucker, sondern auch der natürlich enthaltene, z. B. in Früchten, Honig oder Säften.

Hohe Blutglucosespiegel schädigen die Hirngefäße und führen zu Ablagerungen an den Gefäßwänden, die die Gefäße verengen und die Blutzufuhr und damit die Versorgung der Gehirnzellen mit Nährstoffen drosseln. Das kann zu verschiedenen Einschränkungen führen – je nachdem welcher Teil des Gehirns „unterversorgt“ ist – und am Ende sogar eine vaskuläre Demenz nach sich ziehen. Diese ist nach der Alzheimer-Form die häufigste Ursache einer Demenz. In Deutschland erkranken jährlich etwa 250 000 Menschen an einer Demenz, davon 15–25 % an einer solchen gefäßbedingten Demenz [3]. Das sind 40 000– 60 000 neu Erkrankte pro Jahr.
Hinzu kommt, dass komplexe Zuckermoleküle im Gehirn, sog. Glycosaminoglykane, auch direkt die Kognition einschränken können. Sie beeinträchtigen die Funktion der Synapsen, den Schaltstellen zwischen den Nervenzellen, und somit die neuronale Plastizität. Es handelt sich dabei um die Fähigkeit von Nervenzellen und Gehirnarealen, sich anzupassen und bei Bedarf zu erweitern – eine wichtige Eigenschaft für die kognitive Entwicklung und das Lernen [4]. Bereits vor 20 Jahren hatte eine Studie ergeben, dass eine fett- und zuckerreiche Kost die neuronale Plastizität stört und langfristig auch die Funktion unseres Gedächtnisareals im Gehirn, den Hippocampus, beeinträchtigt [5]. Eine aktuelle, große Metaanalyse [6] kommt zu ähnlichen Erkenntnissen: In den 2–12 h nach Zuckerkonsum erhöht sich kurzfristig die geistige Leistungsfähigkeit, aber durch einen dauerhaften Zuckerkonsum wird die kognitive Funktion nachhaltig geschädigt.
Außerdem ist seit den 90iger Jahren bekannt, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes ein deutlich erhöhtes Demenzrisiko aufweisen. Es wird angenommen, dass der Glucosestoffwechsel auch in den Neuronen gestört ist und so zur Entstehung der Alzheimer-Erkrankung beiträgt [7], zumal auch Insulin bei der Entstehung der Alzheimer-Plaques eine Rolle spielt [8].
Die DGN und die Deutsche Hirnstiftung raten zu einem bewussten, möglichst geringen Zuckerkonsum. Leider fällt das vielen Menschen schwer – und die Gründe dafür sind ebenfalls im Gehirn zu verorten. So konnte nachgewiesen werden, dass schon nach einer kleinen „Dosis“ Zucker der Darm über den Vagusnerv Signale an das Gehirn sendet, um dort ein starkes Verlangen nach weiterem Zuckerkonsum auszulösen [9]. „Außerdem wird bei Zuckerkonsum im Gehirn Dopamin ausgeschüttet, ein ‚Wohlfühlhormon‘, was dazu führt, dass man immer mehr davon haben möchte. Es ist sinnvoll, durch weitgehenden Verzicht auf Zucker diesem Teufelskreis zu entgehen“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär und Pressesprecher der DGN. „Die Anstrengung lohnt sich, allein 40 % aller Demenzfälle und 90 % aller Schlaganfälle sind vermeidbar und viele von ihnen gehen auf das Konto von Industriezucker.“
Gemeinsam mit der Deutschen Hirnstiftung unterstützt die DGN die politische Forderung, eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke zu erheben. Doch auch viele andere Lebensmittel enthalten versteckten Zucker, z. B. Joghurts oder Tomatenketchup. Auch Alkohol lässt den Blutglucosespiegel stark ansteigen.

Literatur

  1. GBD 2021 Causes of Death Collaborators. Global burden of 288 causes of death and life expectancy decomposition in 204 countries and territories and 811 subnational locations, 1990–2021: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021. Lancet 2024; 403(10440): 2100–32. Erratum in: Lancet 2024; 403(10440):1988.
  2. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): Quantitative Empfehlung zur Zuckerzufuhr in Deutschland. www.dge.de/ wissenschaft/stellungnahmen- und-fachinformationen/ stellungnahmen/quantitative- empfehlung-zur-zuckerzufuhr- in-deutschland/ (last accessed on 11 July 2024).
  3. gesund.bund.de: Vaskuläre Demenz. gesund.bund.de vaskulaere-demenz#risikofaktoren (last accessed on 11 July 2024).
  4. American Chemical Society: Sugars affect brain ‘plasticity,’ helping with learning, memory, recovery. www.acs.org/ pressroom/newsreleases/2023/ august/sugars-affect-brain-plasticity- helping-with-learning- memory-recovery.html (last accessed on 11 July 2024).
  5. Molteni R, Barnard RJ, Ying Z, Roberts CK, Gómez-Pinilla F: A high-fat, refined sugar diet reduces hippocampal brain-derived neurotrophic factor, neuronal plasticity, and learning. Neurosci 2002; 112(4): 803–14.
  6. Gillespie KM, White MJ, Kemps E, Moore H, Dymond A, Bartlett SE: The Impact of free and added sugars on cognitive function: a systematic review and meta-analysis. Nutrients 2023; 16(1): 75.
  7. Sandhir R, Gupta S: Molecular and biochemical trajectories from diabetes to Alzheimer›s disease: a critical appraisal. World J Diabetes 2015; 6(12): 1223–42.
  8. Kandimalla R, Thirumala V, Reddy PH: Is Alzheimer›s disease a Type 3 Diabetes? A critical appraisal. Biochim Biophys Acta Mol Basis Dis 2017; 1863(5): 107–89.
  9. Tan HE, Sisti AC, Jin H, et al.: The gut-brain axis mediates sugar preference. Nature 2020; 580(7804): 511–6.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V., Pressemeldung vom 09.07.2024



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 9/2024 auf Seite M496.

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