Regulierung von Nahrungsergänzungsmitteln: Positionspapier der Verbraucherzentralen und Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

Der Markt mit Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) wächst stetig. Im Jahr 2022 wurden allein in Apotheken 2,9 Mrd. € Umsatz erzielt. Laut Statistischem Bundesamt gaben 2022 rund 76 % der befragten Deutschen an, in den letzten 12 Monaten NEM (Vitamine, Mineralstoffe, Pflanzen oder Kräuter) eingenommen zu haben. Da es in Deutschland keine allgemeine Unterversorgung mit Nährstoffen gibt, hat die Einnahme von NEM für die meisten Menschen aus ernährungsphysiologischer Sicht keinen Nutzen. Zudem drängen immer mehr Produkte auf den Markt, die als gesundheitlich bedenklich einzustufen sind. Anders als Arzneimittel unterliegen NEM keiner Zulassungspflicht und werden somit vor dem Inverkehrbringen nicht behördlich auf Sicherheit und Qualität geprüft. In einem aktuellen Positionspapier fordern die Verbraucherzentralen und die Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv), Nahrungsergänzungsmittel sicher zu regulieren.

© S847/iStock/Getty Images Plus
© S847/iStock/Getty Images Plus

NEM sind laut der EU-Richtlinie 2002/46/EG Lebensmittel, die 2004 mit der NEM-Verordnung in nationales Recht umgesetzt wurde, Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die allgemeine Ernährung zu ergänzen. Es handelt sich dabei um Konzentrate von Vitaminen, Mineralstoffen und sonstigen Stoffen wie z. B. Pflanzenextrakten, essenziellen Fettsäuren und Aminosäuren. Die EU-Richtlinie regelt lediglich, welche Vitamine und Mineralstoffe und deren erlaubten Verbindungen NEM zugesetzt werden dürfen. Bis auf sechs Stoffe, die inzwischen verboten sind, gibt es – in Deutschland – keine Negativ- oder Positivlisten für die sog. sonstigen Stoffe, die zugesetzt werden dürfen.
Laut den Verbraucherzentralen weist der aktuelle Regulierungsrahmen für NEM folgende Defizite auf:

  • Immer mehr Produkte auf dem Markt sind aufgrund ihrer Inhaltsstoffe und Dosierung kritisch zu bewerten. Oft werden NEM in Dosierungen angeboten, die den Tagesbedarf an Vitaminen und Mineralstoffen wesentlich überschreiten. Dies kann zu unerwünschten Wirkungen und gesundheitlichen Risiken führen. Gleiches gilt für den Einsatz von Pflanzenextrakten mit einer möglichen selektiven Anreicherung von gesundheitlich bedenklichen Inhaltsstoffen.
  • Zudem werden fragwürdige Pflanzenpräparate, bspw. Isoflavone aus Soja, Rotklee oder Kudzu-Wurzel, als NEM auf den Markt gebracht, die sich im Graubereich zwischen Arzneimitteln und NEM bewegen.
  • Anders als Arzneimittel unterliegen NEM keiner Zulassungspflicht und werden somit von keiner unabhängigen Stelle auf Qualität und Sicherheit geprüft, ehe sie auf den Markt kommen.
  • Zulässige Inhaltsstoffe sind bislang lediglich für Vitamine und Mineralstoffe rechtlich geregelt (Richtlinie 2002/46/EG). Für die sog. sonstigen Stoffe, wie Botanicals, die Substanzen und Zubereitungen aus Pflanzen, Algen, Pilzen oder Flechten umfassen, fehlen Regelungen völlig.
  • Darüber hinaus gibt es keine Höchstmengenregelungen für Vitamine und Mineralstoffe. Bei den von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) festgelegten tolerierbaren höchsten Tagesaufnahmen (Tolerable Upper Intake Level [UL]) handelt es sich lediglich um Empfehlungen. Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung und Marktuntersuchungen der vzbv zeigen jedoch, dass sich – v. a. im Internet – teils gesundheitsschädliche und hochdosierte Produkte im Handel finden.
  • NEM dürfen Werbeaussagen tragen, die einen gesundheitlichen Nutzen versprechen. Gemäß der europäischen Health-Claims-Verordnung (HCVO) dürfen in der EU nur die dafür zugelassenen Aussagen von Anbieter*innen verwendet werden. Ein Großteil der beantragten Werbeaussagen wurde jedoch noch nicht bewertet. Für pflanzliche Stoffe (sog. Botanicals) wurde die Bewertung von der Kommission vor mehr als 10 Jahren sogar ganz ausgesetzt.
  • In Deutschland gibt es keine Meldestelle für die systematische Erfassung unerwünschter Wirkungen sowie Wechselwirkungen von NEM untereinander bzw. mit Arzneimitteln.
  • Die Selbstmedikation mit NEM bei Krankheiten hat in den vergangenen Jahren signifikant zugenommen. Bei gleichzeitiger Einnahme von NEM und Arzneimitteln können jedoch gefährliche symbiotische Effekte die Folge sein. Rechtsverbindliche Definitionen zur klaren Abgrenzung von anderen Produktkategorien wie Medizinprodukten und Arzneimitteln fehlen.

Die Verbraucherzentralen und die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordern daher die behördliche Prüfung und Zulassung von NEM vor dem Inverkehrbringen (Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt), verbindliche – nach Alter differenzierte – Höchstmengen für Nährstoffe, eine verbindliche Positivliste für pflanzliche und „sonstige Stoffe“, die Einrichtung einer Meldestelle für die systematische Erfassung unerwünschter Wirkungen sowie eine effektive Überwachung durch die zuständigen Landesbehörden, um unzulässige Angaben zu ahnden. Weiterhin sollen gesundheitsbezogene Aussagen zu pflanzlichen Stoffen in Lebensmitteln künftig bewertet werden.

Quelle: Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V., Pressemeldung vom 10.08.2023



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 10/2023 auf Seite M602.

Das könnte Sie interessieren
Änderungen bei Kennzeichnung und Zusammensetzung für Honig & Co. weiter
Nachhaltige Gemeinschaftsverpflegung – Herausforderungen und Erfolgsfaktoren weiter
Immer häufiger Cannabinoide in Süßwaren weiter
Ernährungspyramide aktualisiert weiter
Supermärkte und Discounter fördern ungesunde Essgewohnheiten weiter
Kompetenzzentrum für Ernährung & Therapie eröffnet weiter