Ernährungssysteme: Mehrwertsteuer als Hebel für nachhaltige Ernährung

Die Ernährungssysteme in Deutschland und Europa sind weder gesund noch nachhaltig. Es werden zu viele tierische und zu wenige pflanzliche Produkte konsumiert. Da Lebensmittelpreise unser Kaufverhalten beeinflussen, würde sich eine Anpassung der Mehrwertsteuer (Erhöhung bei Fleisch und Milch, Erniedrigung bei pflanzlichen Lebensmitteln, Wegfall bei Obst und Gemüse) positiv auf ernährungsbedingte Krankheiten, Umwelt, Konsum und Steuereinnahmen auswirken. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende unter der Federführung von Dr. Marco Springmann, Wissenschaftler an der Universität Oxford, und Dr. Florian Freund, Wissenschaftler am Thünen-Institut für Marktanalyse [1].

Am meisten Erfolg verspricht, die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte zu verringern und gleichzeitig die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte zu erhöhen. Die projizierten Folgen für Europa: Die Umweltauswirkungen würden um 6 % sinken, bspw. würde Deutschland etwa 10 Mio. t weniger Kohlendioxid ausstoßen. Das entspricht ungefähr den jährlichen Emissionen Lettlands. Außerdem gäbe es 330 ernährungsbedingte Todesfälle weniger pro eine Million Menschen. In Deutschland wären es 20000 Todesfälle weniger. Die Steuereinnahmen würden um 46 Mrd. US-Dollar steigen, in Deutschland etwa um 7 Mrd. US-Dollar. Die Kosten für die Gesellschaft durch Krankheiten und Klimaschäden würden um 37 Mrd. US-Dollar sinken, in Deutschland um etwa 6 Mrd. US-Dollar. „Um Zielkonflikte zwischen Ökonomie, Umwelt und Gesundheit zu minimieren, sollte nach Möglichkeit die Mehrwertsteuer auf beide Produktgruppen angepasst werden“, sagt Dr. Florian Freund.
Angepasste Mehrwertsteuern wären ein Schritt in Richtung eines nachhaltigeren Ernährungssystems. Durch geringere Steuern auf pflanzliche Produkte würden sich v. a. die Ernährung und die Gesundheit der Bevölkerung verbessern. Umwelt und Steuereinnahmen würden hingegen besonders von höher besteuerten tierischen Produkten profitieren. „Lässt sich eine stärker zielgerichtete Steuer wie die CO2-Steuer nicht durchsetzen, könnte die Reform der Mehrwertsteuer eine einfache Möglichkeit sein, dennoch Ernährungssysteme nachhaltiger zu gestalten“, sagt Dr. Marco Springmann.
Im europäischen Durchschnitt liegt der Mehrwertsteuersatz für Fleisch und Milch bei 8 % und für Obst und Gemüse bei 9 %. Die Steuersätze variieren jedoch von Land zu Land sehr stark. Während im Vereinigten Königreich kaum Steuern auf Lebensmittel erhoben werden, sind es in Dänemark 25 %. Mehr als die Hälfte der betrachteten Länder haben ähnlich hohe Steuern auf tierische und pflanzliche Produkte. Mehr als ein Drittel der Länder erheben sogar deutlich höhere Steuersätze für pflanzliche Produkte. Auch in Deutschland ist die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Nahrung mit knapp 9 % höher als für tierische Nahrungsmittel, die mit 7 % besteuert werden. Eine Reform der Mehrwertsteuer wurde in Deutschland auf politischer Ebene bereits diskutiert, fand aber bisher keine Zustimmung.

Literatur
1. Springmann M, Dinivitzer E, Freund F, Jensen JD, Bouyssou CG: A reform of value-added taxes on foods can have health, environmental and economic benefits in Europe. Nature Food 2025.

Quelle: Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Pressemeldung vom 09.01.2025



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 2/2025 auf Seite M71.

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