Menschheitsgeschichte: Prä- und frühhistorische, nichtagrarische Gesellschaften ernährten sich vielfältiger als angenommen

Die Nahrungsspektren prä- und frühhistorischer, nichtagrarischer Gesellschaften waren laut einer Studie von Paläontologen und Archäologen [1] differenzierter als bisher angenommen. Wie die archäobotanische Untersuchung von Fundmaterial aus Nordjapan belegt, gab es in der Ochotsk-Kultur im ersten Jahrtausend nach Christus – einer Jäger-Fischer-Sammler-Kultur – eine besondere Form hybrider Subsistenzwirtschaft, gekennzeichnet durch Jagen und Sammeln auf der einen Seite sowie Landwirtschaft mit dem Anbau vollständig domestizierter Pflanzen wie Gerste auf der anderen Seite.

Der Anbau von Pflanzen habe aber nicht dazu geführt, dass die Gemeinschaft ihre Lebensweise als Jäger und Sammler aufgegeben hätten. Die Ochotsk-Kultur war bisher bekannt als typische Jagdkultur, spezialisiert auf die Ausbeutung der nahrungsreichen Meeresküsten. Dieser Befund ist nach Einschätzung der Wissenschaftler das erste wissenschaftlich dokumentierte Beispiel für diese spezielle Form hybrider Subsistenz in der Frühgeschichte Ostasiens.

„Wir waren überrascht über den Beweis, dass auch domestizierte und selbst angebaute Pflanzen wie Gerste ein Teil der Ernährung waren – der Feldbau aber trotzdem nicht zur Transformation der Jäger- und Sammlerkultur in eine Bauernkultur geführt hat“, betont Erstautor Dr. Christian LEIPE vom Institut für geologische Wissenschaften der Freien Universität Berlin, der die Studie koordinierte.

Literatur:
1. Leipe C et al. (2017) Barley (Hordeum vulgare) in the Okhotsk culture (5th-10th century AD) of northern Japan and the role of cultivated plants in hunter-gatherer economies. PLOS ONE 12: e0174397

Quelle: Freie Universität Berlin, Pressemeldung vom 30.3.2017



Hintergrund

Die Ernährung des Menschen basierte während der längsten Zeit auf Jagen und Sammeln. Erst mit dem Beginn der gegenwärtigen Warmzeit (Holozän) vor etwa 11 700 Jahren begannen Menschen, Pflanzen und Tiere zu domestizieren und sesshaft zu werden. Diese Entwicklung hin zu einer Lebensweise, die überwiegend auf Ackerbau und Viehzucht beruht, wurde lange Zeit als ein relativ schneller, nicht umkehrbarer Prozess betrachtet, der überall auf der Welt ähnlich verlief, wenn auch nicht gleichzeitig. Entwicklungstheoretische Ansätze folgten dem so genannten Dualismusprinzip, das prähistorische Kulturen in zwei Kategorien teilte: Wildbeuter und Bauern. Erst seit einigen Jahren setzt sich in der Archäologie die Erkenntnis durch, dass viele Gemeinschaften unterschiedliche Subsistenzstrategien anwendeten, die in Gänze weder ausschließlich der einen (Wildbeuter) noch der anderen Kategorie (Bauern) zugeordnet werden können. Angepasst an die Ressourcen ihres Naturraums bedienten sich diese Gemeinschaften sowohl wilder als auch gezüchteter Arten. Neue Erkenntnisse für das Verständnis solch hybrider Ernährungsstrategien liefert die aktuelle Studie [1].



Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 5/17 auf Seite M246.

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