Ernährungspolitik: „Schärfere Regulierung“ für an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung

  • 12.05.2021
  • Print-News
  • Redaktion
  • Peter von Philipsborn

An Kinder gerichtete Werbung für stark zuckerhaltige sowie stark fett- und salzhaltige Lebensmittel kann sich negativ auf das Erlernen eines gesundheitsförderlichen Lebensstils auswirken. Weil Werbung für an Kinder gerichtete Lebensmittel die Unerfahrenheit von Kindern durch manipulative Werbeaussagen ausnutzt, gibt es Bestrebungen, solche Werbung stärker zu regulieren.

Auf eine Aufforderung der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner hin hat der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) seine (unverbindlichen) Verhaltensregeln aktuell angepasst (s. a. den untenstehenden Kommentar von Philipsborn):

  • Der Schutzkreis der Verhaltensregeln wird von vormals „unter 12-Jährige“ auf „unter 14-Jährige“ ausgeweitet und entspricht damit nun der Maßgabe des novellierten Jugendmedienschutz-Staatsvertrags der Länder (• Infokasten).
  • Die Bewerbung von besonders fett-, zucker- und salzhaltigen Lebensmitteln gegenüber Kindern wird etwas eingeschränkt: Es dürfen keine positiven Ernährungseigenschaften mehr hervorgehoben werden, wenn die Werbung im Umfeld von Kindersendungen ausgestrahlt wird oder sich durch ihre Aufmachung direkt an Kinder richtet. Angaben wie „unter Zusatz wertvoller Vitamine und Mineralstoffe“ etwa bei Fruchtgummis oder „hoher Vollkornanteil für körperliche Leistungsfähigkeit“ bei Schokoriegeln sind damit nicht erlaubt.
  • Dies gilt nicht nur für Fernsehwerbung, sondern auch für Werbung im Internet und auf Social-Media-Plattformen wie YouTube oder TikTok.

Auch die direkte Aufforderung zum Kauf oder Konsum eines Produkts soll in der Werbung an Kinder unterbleiben – ebenso die Aufforderung, Eltern zum Kauf eines Produkts zu bewegen.

Ministerin Klöckner erwartet von den Herstellern, „dass die angepassten Verhaltensregeln auch konsequent in der Praxis angewendet werden“, so die Pressemeldung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Sollte sich die Anwendung der neuen Verhaltensregeln als unzureichend erweisen, schließt sie eine strengere staatliche Regulierung nicht aus. Grundsätzlich liege die Verantwortung hier bei den Ländern, sie müssten die Wirksamkeit ihrer bereits bestehenden Regelungen überprüfen und gegebenenfalls nachsteuern.

Jugendmedienschutz-Staatsvertrag
Im Bereich der Medienregulierung haben die Bundesländer durch den gemeinsamen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag eine bundeseinheitliche Regelung geschaffen, die u. a. eine Beschränkung der an Kinder gerichteten Lebensmittelwerbung vorsieht. Bei der Novellierung des Medienstaatsvertrags im November 2020 haben die Länder im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag die Kinderdefinition auf Personen „unter 14 Jahre“ festgelegt. Die Einführung weiterer konkreter Verschärfungen haben die Bundesländer nicht vorgesehen, sondern die Rundfunkveranstalter und Anbieter von Telemedien allgemein verpflichtet, eigene selbstverpflichtende Regelungen zu treffen. Dies erfolgt durch die Verhaltensregeln zur Lebensmittelwerbung des Deutschen Werberates.

Quellen:
- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Pressemeldung vom 12.04.2021
- ZEIT Online: Irreführende Werbung: Strengere Regeln für Süßigkeitenwerbung. Pressemeldung vom 12.04.2021



Kommentar von Peter Philipsborn (12.04.2021) zur BMEL-Pressemeldung

Heute hat der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) eine Neufassung seiner freiwilligen, unverbindlichen Empfehlungen zu Kinderlebensmittel-Marketing bekannt gegeben ( www.werberat.de/lebensmittel).
Das BMEL spricht dazu von einer „schärferen Regulierung für an Kinder gerichteter Lebensmittelwerbung“. Das ist eine recht eigenwillige Wortwahl, schließlich handelt es sich nicht wirklich um eine (staatliche) Regulierung, sondern um von der Industrie selbst entwickelte Empfehlungen, die weiterhin gänzlich unverbindlich sind, und die – wie ein Blick auf obige Webseite zeigt – weiterhin vage und unbestimmt formuliert sind, und nicht einmal in Ansätzen den Empfehlungen der WHO genügen.

Das Kernproblem ist und bleibt: Die Lebensmittel- und Werbeindustrie hat ihre unverbindlichen, selbstgegebenen Regelwerke zu Kinder-Lebensmittelwerbung bislang konsequent ignoriert (wie die in den letzten Monaten veröffentlichten Untersuchungen von DANK, Foodwatch und Verbraucherzentrale Bundesverband gezeigt haben) und es gibt leider keinen Grund anzunehmen, dass sich dies ändern wird, solange die Regeln freiwillig und unverbindlich bleiben. In der Pressemeldung rahmt Ministerin Klöckner das Thema als Thema der Medienpolitik – und verweist auf die Zuständigkeit der Länder für diese. Dass man Kinder-Lebensmittelwerbung analog der Tabakwerbung auch als Thema der Gesundheitspolitik sehen kann – mit Zuständigkeit des Bundes – wird in der Pressemeldung verschwiegen.

Dr. med. Peter von Philipsborn
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung
Institut für medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE)
Pettenkofer School of Public Health, Ludwig-Maximilians-Universität München



Diese Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 5/2021 auf Seite M246.

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