Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn): „Gewichtsmanagement – eine runde Sache“
- 12.08.2016
- Print-News
- Redaktion
Zu einem Wissenschaftsseminar zum Thema „Gewichtsmanagement – eine runde Sache“ lud das Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn) Bayern in Kooperation mit der Technischen Universität München (TUM) am 29.06.2016 nach München ein.
Zu Beginn stellte Dr. Anja Schienkiewitz vom Robert Koch-Institut (RKI) Daten aus KiGGS1 und DEGS12 zu Übergewicht und Adipositas vor: Während die Rate an adipösen Männern seit den 1990ern von 19 auf 25 % angestiegen ist, hat sich die Anzahl Übergewichtiger insgesamt sowie adipöser Frauen in diesem Zeitraum nicht weiter erhöht. Allerdings steige das Gewicht vieler Menschen v. a. im mittleren Alter (46–65 Jahre) kontinuierlich an. Bei Kindern sei zwischen 1999 und der KiGGs-Baseline-Studie (2003–2006) die Übergewichtsrate von 10 auf 15 % gestiegen, die Adipositasrate von 3 auf 6 %. Eine neuere Erhebung von Brettschneider et. al. [1] zeigt allerdings kaum noch Veränderungen gegenüber den KiGGs-Baseline-Daten ein Jahrzehnt zuvor.
Prof. Hauner von der TUM bezeichnete die Gewichtszunahme im Erwachsenenalter v. a. als Zivilisationsphänomen. Er führte dies u. a. auf die steigende Energiedichte der Nahrung zurück, die in Mitteleuropa ca. zwei- bis dreifach höher ist als z. B. eine traditionelle Ernährung in Gambia. Die jährlichen Ausgaben des deutschen Gesundheitssystems für die Folgen von Übergewicht und Adipositas bezifferte Prof. Holle vom Helmholtz-Zentrum München nach Lehnert [2] und Effertz [3] mit 9 bis 29 Mrd. € – die Ergebnisse solcher Berechnungen hingen davon ab, ob auch indirekte Krankheitskosten einbezogen würden.
Einen sehr informativen Überblick zur Darstellung von Diäten in den Printmedien lieferte Johanna Bayer, freie Wissenschaftsjournalistin. Jährlich wiederholten sich v. a. in Boulevardblättern die gleichen Diät„rituale“: von „weg mit dem Winterspeck“ nach Weihnachten über „entschlacken“ im Frühjahr zur „Bikini-Figur“ im Sommer. Ein anhaltender Trend seien auch „Promi-Diäten“ und Diäten, die auf einem Protagonisten mit Leidensgeschichte und „Heilsversprechen“ beruhen. Hierein fügen sich auch die großen Trends: „vegan“ (u. a. Attila Hildmann), Paläo (u. a. Nico Richter) und, derzeit wachsend, Clean Eating (Tosca Reno). Bayer resümierte bezüglich der ungebrochenen Attraktivität einer Vielzahl von Diäten: „Es gibt verschiedene Diätkonzepte, weil die Menschen unterschiedlich sind. Die konventionellen Ernährungsempfehlungen bilden diese Varianz nicht ab.“ Als „zu kompliziert“ bezeichnete auch Prof. Erdmann, HS Weihenstephan, die konventionellen Ernährungsempfehlungen und stellte dar, wie man die Energiedichte in verschiedenen Mahlzeiten auf unter 1,5 kcal/g reduzieren kann. Als problematisch stellte sich dabei v. a. die traditionelle Brotmahlzeit mit einer sehr hohen Energiedichte heraus.
Einen Paradigmenwechsel bezüglich der Maßnahmen gegen das Übergewicht forderte schließlich Dr. Garlichs, u. a. Sprecher der Deutschen Allianz nichtübertragbare Krankheiten (DANK): „Die bisherige Strategie der Verhaltensänderung ist gescheitert“ titelte eine seiner Folien. Auch die Verhältnisprävention sei geprägt von Insellösungen und „Projektitis“. Damit bekräftigte er die bereits vorher getroffene Aussage von Prof. Hauner, dass „Deutschland in der Verhältnisprävention ein Entwicklungsland“ sei. Garlichs fordert eine Verhältnisprävention eingebettet in verbindliche Strukturen und Regelprozesse und damit in der Lage, den Lebensstil frühzeitig zu prägen und langfristige, bevölkerungsweite Strategien zu verfolgen.
Obwohl betont wurde, dass das Wissenschaftsseminar nur einzelne Aspekte des Übergewichtsproblems beleuchten sollte, wurde in der abschließenden Podiumsdiskussion doch wieder die Frage nach einer „Gesamtlösung“ gestellt, deren Beantwortung erwartungsgemäß nicht gelang: aufgrund der Komplexität, vieler unberücksichtigter Aspekte und einer fehlenden Reflexion darüber, was oder wer hier eigentlich genau bekämpft werden soll. Lesen Sie hierzu auch „Zu guter Letzt“ auf S. M492 in diesem Heft.
Dr. Sabine Schmidt, Pohlheim
Literatur:
1. Brettschneider AK et al. (2015) Development and validation of correction formulas for self-reported height and weight to estimate BMI in adolescents. Results from the KiGGS Study. Obesity Facts 8: 30–42
2. Lehnert T et al. (2014) Health burden and costs of obesity and overweight in Germany: an update. Eur J Health Econ [Epub Nov. 8]
3. Effertz T. Die volkswirtschaftlichen Kosten gefährlicher Konsumgüter. Eine theoretische und empirische Analyse für Deutschland am Beispiel Alkohol, Tabak und Adipositas. Die Kosten gefährlichen Konsums. Habilitationsschrift. Peter Lang Verlag, Frankfurt (2015)
1Studie zur Gesundheit von Kindernund Jugendlichen in Deutschland
2 Studie zur Gesundheit Erwachsenerin Deutschland
Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 08/16 auf Seite M446.