Jahrespressekonferenz der DGVS: Dynamische Forschung, personalisierte Therapien und Bedeutung der Früherkennung

(scs) Was ist Fakt und was Fiktion beim Reizdarmsyndrom? Welche neuen Therapien gibt es bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen? Wie schreitet die personalisierte Therapie bei Darmtumoren voran? Warum lohnt sich das Leber-Screening? Diesen vier Fragen widmete sich die diesjährige Online-Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) am 5. Juli. Wir fassen für Sie die für die Ernährungstherapie wichtigsten Inhalte zusammen.

Reizdarmsyndrom: „Wir wissen noch zu wenig“
„Wir wissen viel, aber wir wissen noch viel zu wenig“, konstatierte Prof. Thomas Frieling, Helios Klinikum Krefeld, in seinem Vortrag zum Reizdarmsyndrom (RDS) zu Beginn. Therapeutische Ansätze wie die Gabe von Probiotika oder die gezielte Auswahl von Lebensmitteln müssten daher auch nach dem Prinzip „trial and error“ ausprobiert werden. Das heißt aber nicht – so betonte er –, dass das RDS nicht ernst zu nehmen ist: Die verschiedenen Formen des RDS „sind Störungen der Darm-Hirn-Achse; es sind organische Erkrankungen, die ernst genommen werden müssen“. Er stellte dar, dass den PatientInnen verschiedene Therapiestrategien angeboten werden können und dass bei einem RDS eine Ernährungstherapie angezeigt ist.
Überflüssig und nicht aussagekräftig seien hingegen Stuhlbakterienuntersuchungen. Schleimhautadhärente Bakterien, die hauptwirksam für die Interaktion der Mikrobiota mit Darm und Gehirn seien, ließen sich im Stuhl nicht aussagekräftig messen. Zudem würden sich die Bakterienzahlen in den ein bis drei Tagen, die der Transport bis hin zum Labor bräuchte, stark verändern. Stuhlbakterienuntersuchungen seien daher nur in der Wissenschaft, nicht aber für die Praxis relevant. „Das Geld sollte man sich sparen!“ gab er den ZuhörerInnen mit.

Neue Therapeutika bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen
Die Therapie der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Allein in den letzten Monaten sind fünf neue Substanzen aus dem Bereich der Biologika hinzugekommen, die in der Therapie je nach PatientIn und Verlauf der Krankheit individuell eingesetzt werden können, berichtete PD Dr. Irina Blumenstein, Universitätsklinikum Frankfurt. Wenn hingegen „CED-Patienten von Behandlern ständig mit Corticosteroiden ‚traktiert‘ werden, dann sollte man nachfragen oder ggf. den Behandler wechseln. Das ist keine zeitgemäße Therapie mehr.“
In der Ernährungstherapie gelte es v. a., Mangelzustände zu vermeiden, die durch die stark eingeschränkte Verträglichkeit der Nahrung bei entzündetem Darm entstehen. Welche Faktoren eine Ernährung „antientzündlich“ wirksam machen könnten, sei hingegen bisher nicht ausreichend erforscht. Eine „falsche“ Ernährung, die eine CED bei einer bestimmten Person auslöst, sei nicht erkennbar – PatientInnen sollten Schuldgefühle, die in diese Richtung gehen, genommen werden. Trotzdem wies sie auf die Tatsache hin, dass in Ländern mit einem hohen Anteil an hochverarbeiteten Lebensmitteln auch die CED-Inzidenzen bedeutend höher sind.

Darmtumore: extrem dynamische Forschung und ausgeprägter Translation Gap
Prof. Thomas Seufferlein, Universitätsklinikum Ulm, berichtete erfreulicherweise von „gigantischen“ Fortschritten in der Tumormedizin. Die Forschung sei hier zurzeit extrem dynamisch, hoch spannend und voller Innovationen. Personalisierte Ansätze aufgrund von z. B. Tumorsequenzierung sowie Immuntherapie zeigen große Erfolge jeweils bei bestimmten Tumorarten. Die Tumortherapie wird – so erläuterte Prof. Seufferlein – zunehmend eine personalisierte Medizin, dies muss seiner Ansicht nach weiter verfolgt und verstärkt „an den Patienten gebracht“ werden. Er berichtete von einem ausgeprägten Translation Gap zwischen wissenschaftlichem Forschungsstand und praktischem Einsatz, den es zu überwinden gelte.
In Bezug auf Darmkrebs warb er für die breite Nutzung der und einen vereinfachten Zugang zur routinemäßigen präventiven Koloskopie für ausgewählte Altersgruppen. Diese zeige große Erfolge in der Früherkennung und damit in der Heilbarkeitsrate von Tumoren im Darm.

Leber-Screening hilft, Krankheiten frühzeitig zu entdecken
Eine Fettlebererkrankung steigert das Risiko, dass schwerwiegende Lebererkrankungen wie Tumore oder eine Leberzirrhose entstehen. „Wir müssen Fettlebererkrankungen früh entdecken, dann können wir Millionen von Menschen helfen,“ lautete das Credo von Prof. Heiner Wedemeyer, Medizinische Hochschule Hannover. Vor allem könne man damit denjenigen helfen, die gar nicht wissen, dass ihre Leber krank ist. Denn es gilt bekanntermaßen: „Die Leber leidet stumm.“ Er stellte daher klar: „Die Testung auf Leberwerte lohnt sich!“ Geschätzte 800 000 bis 1 Mio. Menschen in Deutschland leiden an einer Verfettung der Leber.
Prof. Wedemeyer wies darauf hin, die neue Leitlinie zur Fettleber mit Algorithmus zur Diagnostik und zum Screening auf Risikogruppen zu nutzen. Mit einem strukturierten Screening-Programm, das ganz einfache Blut-Leberwerte umfasst, die jede/r AllgemeinmedizinerIn bestimmen kann, ließen sich sehr viele Lebererkrankungen früh entdecken. Er forderte Hausärzte/-innen und PatientInnen auf, diese Werte im Blick zu behalten.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Jahrespressekonferenz (online). 5. Juli 2022



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 8/2022 auf Seite M410.

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