Gemeinschaftsverpflegung: Herausforderungen an die Flüchtlingsverpflegung
- 12.10.2016
- Print-News
- Stella Glogowski
Der Fachverband Großkücheneinrichtungen am Industrieverband Haus-, Heiz- und Küchentechnik e. V. (HKI) veranstaltete Mitte Juli in Frankfurt das Forum „Kulturelle Vielfalt: Herausforderungen an die Flüchtlingsverpflegung“ um Input zu liefern u. a. für die Arbeit von Caterern, Investoren, Küchenleitern sowie Betreibern. Denn, wie Andreas HELM vom HKI eingangs betonte, die Ist-Situation sei dürftig.
Anforderungen
Die Ökotrophologin Dr. Dorle GRÜNEWALD-FUNK stellte eingangs dar, was syrische Gerichte1, teils auch irakische und afghanische, ausmacht1: u. a. viele Gewürze, Reis und Bulgur, Fladenbrot, Kichererbsen- und Auberginenmus, Lammfleisch und Jogurt. Essgewohnheiten ändern sich ähnlich individuell, wie auch die Menschen auf ihre Auswanderung reagieren. Ein Erfolgsfaktor sei Partizipation, denn Esskulturen und Wünsche zu berücksichtigen wäre nicht nur nützlich für die Integration, sondern auch für die Gesundheitsförderung und das Miteinander.
Prof. Ulrike PFANNES (HAW Hamburg) betonte ebenfalls, dass Essen gerade für Flüchtlinge mehr Funktionen hat, als bloß satt zu machen, u. a. Gesundheit, Genuss, Tradition, Alltagsstrukturierung und Kommunikation. PFANNES zeigte, wie wenig Kontrollmöglichkeiten Geflüchtete haben. Erst Lunchpakete für die Durchreise, dann Vollverpflegung in den Erstaufnahmeeinrichtungen ohne eigene Aufgaben, mithelfen/mitkochen ist nicht erlaubt. Gleichzeitig gibt es viele Ansatzpunkte um positiv Einfluss zu nehmen. So kann man Speisepläne in verschiedenen Sprachen (mit Bildern) und Komponenten/Auswahl bieten, Ausgabezeiten an den zu Verpflegenden orientieren, Atmosphäre schaffen und auf den Umgang bei der Essensausgabe achten, denn den häufigsten Kontakt haben Geflüchtete anfangs mit dem Verpflegungspersonal. Die Gemeinschaftsverpflegung bietet also vielfach Möglichkeit zur Verhältnisprävention, physiologisch und psychologisch.
Wie Hans-Hermann SCHMID-GEORG vom Referat Gemeinschaftsverpflegung und Qualitätssicherung, Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), berichtete, erarbeitet die DGE Leitlinien für die Verpflegung von Flüchtlingen. Zwischenzeitlich wird der Qualitätsstandard für die Verpflegung in Rehakliniken empfohlen, da hier Ganztagsverpflegung Basis ist.
Prof. Ulrike KLEINER (Hygieneconsult Prof. Kleiner) betonte den Stellenwert von Mitarbeiter-, Speisen- und Individualhygiene in Erstaufnahmeeinrichtungen, da hier besonderer Infektionsdruck besteht. Viele Flüchtlinge wüssten z. B. nicht, dass hierzulande Leitungswasser trinkbar ist oder wie man Speisereste entsorgen kann. KLEINER verwies in dem Zusammenhang auf das Trinkwasserfaltblatt vom BDEW und das in mehreren Sprachen vorliegende BfR-Merkblatt zu Hygieneregeln.
Versorgungsrealität
Spannend und teils erschreckend waren die Einblicke in die Realität der Flüchtlingsversorgung. So erzählte ein Caterer von einem typischen Auftrag: Verpflegung von über 1 000 Menschen mit Beginn am nächsten Morgen, Eingang Sonntagabend, ohne Ausgabetheke, Wasseranschluss und Bestuhlung/Tische.
Christian EICHHÖFER von der Primus Service GmbH berichtete, dass der Betriebsgastronomiebetrieb mehrfach sechsstellige Beträge in die Ausstattung von Erstaufnahmeeinrichtungen investiert hatte. Anfangs wurde viel verdient, aber später gab es auch hohe Verluste, wenn seitens der Länder/Städte kurzfristig doch umdisponiert wurde – einige Erstaufnahmeeinrichtungen stünden bis heute leer. Dass bei fehlender Privatsphäre schon mal Teller oder „zu fremdes Essen“ flögen, sei Normalität. Abhilfe schuf die Primus Service GmbH bspw. durch eine Gewürzbar zum individuellen Nachwürzen, ein Ramadankonzept mit Ausgabezeiten bis 2 oder 3 Uhr nachts und Personalschulungen in interkultureller Kommunikation und Konfliktmanagement. Um dieses Know-how nicht ungenutzt zu lassen, will die Primus Service GmbH Lehrzentren entwickeln, um Geflüchteten mit sicherem Asylstatus die Chance zu geben, in ihren Betriebsstätten eine gastronomische Ausbildung zu durchlaufen.
Auf die Frage, ob EICHHÖFER nach den auch hohen finanziellen Verlusten in Zukunft anders agieren würde, gab er den Rat, sogar bereits früher zu investieren und mehr Fachpersonal einzustellen – das mache die Verpflegung und den Alltag für alle Beteiligten angenehmer.
1 => Der Beitrag in Ernährungslehre & Praxis in diesem Heft beinhaltet eine Rezeptsammlung zum Einsatz in der Verpflegung von Geflüchteten.
Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 10/16 auf Seite M566.