Neurowissenschaft: Gehirn zerlegt Essvorgang in verschiedene Phasen

Um zu überleben, muss der Mensch regelmäßig Energie in Form von Nahrung zuführen. Koordiniert wird dieser Prozess im Hypothalamus. Bei ihm laufen wichtige Informationen aus dem Körper und der Umgebung ein, egal ob bei Tag oder Nacht oder ob sich der Blutglucosespiegel gerade auf einem Tiefststand befindet. Auf Basis der eingegangenen Daten leitet der Hypothalamus bestimmte angeborene Verhaltensweisen ein – bei Dunkelheit gehen wir zu Bett, bei Hunger an den Kühlschrank.

Doch wie stellt das Gehirn sicher, dass wir nicht direkt mit dem Essen aufhören, wenn der erste Heißhunger verflogen ist und die Dehnungsrezeptoren im Magen melden, dass Nahrung eingetroffen ist? „Beim Essen schalten wir sehr rasch von einem Verhalten, das wir appetitiv nennen, auf ein Konsumverhalten um“, sagt Prof. Dr. Alexey Ponomarenko, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). „Wir wissen wenig darüber, wie das Gehirn die Dauer dieser Konsum-Phase steuert. Sie darf weder zu lang noch zu kurz sein, damit wir die korrekte Menge Energie zu uns nehmen.“
Unter der Leitung von Prof. Ponomarenko hat das FAU-Team zusammen mit Kolleg*innen der Universitätsklinik Köln untersucht, was sich beim Essvorgang im Gehirn abspielt [1]. Die Forschenden schauten sich dazu den Hypothalamus von Mäusen an, da dieser ähnlich aufgebaut ist wie der des Menschen. „Wir haben die elektrische Aktivität einer bestimmten Hypothalamus-Region mit einem KI-Verfahren analysiert“, erklärt Mahsa Altafi von der FAU. „So konnten wir feststellen, welche Nervenzellen bei der Nahrungsaufnahme zu welchen Zeitpunkten feuern, also elektrische Impulse erzeugen.“
Die Wissenschaftlerin konnte auf diese Weise vier unterschiedliche Teams von Neuronen identifizieren, die beim Essvorgang nacheinander aktiv werden. Die Nervenzellverbünde arbeiten also ähnlich zusammen wie die Läufer einer Staffel, die in unterschiedlichen Phasen des Rennens zum Einsatz kommen. „Wir vermuten, dass diese Teams die Informationen, die sie aus dem Körper erhalten – über den Blutzuckerspiegel, über die Menge an Hungerhormonen, über den Füllstand des Magens – unterschiedlich gewichten“, sagt Prof. Ponomarenko. Mit diesem komplexen Mechanismus stellt das Gehirn vermutlich sicher, dass weder zu wenig noch zu viel Nahrung aufgenommen wird. Funktioniert er nicht richtig, können möglicherweise Essstörungen wie Magersucht oder Binge-Eating-Attacken die Folge sein.
Des Weiteren untersuchten die Wissenschaftler*innen, wie die Neuronen in den einzelnen Teams miteinander kommunizieren. Bekannt ist, dass Nervenzellen einen Aktivitätsrhythmus haben: Es gibt Zeiten, in denen sie besonders leicht erregbar sind, und andere, in denen sie kaum feuern. Um miteinander zu kommunizieren, müssen Neuronen im selben Rhythmus schwingen. Die Forschenden konnten nun zeigen, dass die Teams, die mit der Nahrungsaufnahme zu tun haben, alle auf denselben Frequenzen funken. Nervenzellverbünde, die für andere Verhaltensweisen zuständig sind, kommunizieren dagegen vorzugsweise auf einem anderen Kanal, so Prof. Ponomarenko. Das dürfte es den Neuronen für das Essverhalten leichter machen, Informationen auszutauschen und den Essvorgang zur passenden Zeit zu beenden.
Da es möglich ist, den Rhythmus von Nervenzellen von außen zu beeinflussen, etwa durch oszillierende Magnetfelder, ließe sich vielleicht auf diese Weise die Kommunikation der „Ernährungsteams“ verbessern. Falls das klappt, ließen sich damit eventuell Essstörungen abmildern, so die Wissenschaftler*innen.

Literatur
1. Altafi M, Chen C, Korotkova T, Ponomarenko A: Sequential activation of lateral hypothalamic neuronal populations during feeding and their assembly by gamma oscillations. J Neurosci 2024: e0518242024.

Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), Pressemeldung vom 17.09.2024



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 12/2024 auf den Seiten M684 bis M685.

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