31. Ernährungsfachtagung der DGE Sektion Thüringen: Pflanzenbasierte Ernährung – Mehr als nur ein Trend?

Vom Technik-Schmiermittel über Waschpulver bis zu Hygieneartikeln und natürlich auf zahlreichen Lebensmitteln – zumindest in der Werbung sind die Begriffe „pflanzenbasiert/plant based“ bereits angekommen. Die Sektion Thüringen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) ging auf ihrer Fachtagung am 24.10. in Jena der Frage nach, welches Potenzial pflanzenbasierte Ernährung hat und was bei Ernährungsweisen mit wenigen bzw. ganz ohne tierische Produkte zu beachten ist.

(umk) Im März dieses Jahres hat die DGE die neuen Ernährungsempfehlungen für Deutschland vorgestellt (die Methodik ist ausführlich beschrieben in der ERNÄHRUNGS UMSCHAU [1]). Diese zeigen einen Weg, den Verzehr von pflanzlichen Lebensmitteln zu steigern und den von tierischen Lebensmitteln zu senken, um zugleich Gesundheit und Umwelt zu schützen. DGE-Präsident Prof. Bernhard Watzl erläuterte die wissenschaftlichen Grundlagen. Im Entwicklungsprozess der Methodik stellte sich heraus, dass die beiden Zielvorgaben „Reduktion der Krankheitslast“ und „Reduktion der Umweltlast“ zur Auswahl ähnlicher Lösungen führt, während eine höhere Gewichtung der „Nähe zum üblichen Verzehr“ davon abweicht.
Die Rolle des Ernährungssystems und speziell der landwirtschaftlichen Produktion mit Blick auf die planetaren Grenzen stand im Zentrum des Vortrags von Prof. Dr. Dieter Gerten, Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK). Sein Fazit: Durch eine technologische und kulturelle Kehrtwende (einschließlich Ernährungsumstellungen) wäre es möglich, genug Nahrungsmittel für 10 Mrd. Menschen innerhalb der Belastungsgrenzen bereitzustellen. Solch eine Wende bedeutet allerdings die Umsetzung anspruchsvoller Maßnahmen in vielen Ländern – darunter die konsequente Umsetzung ressourcenschonender landwirtschaftlicher Methoden, die Reduzierung von Nahrungsmittelverlusten und schließlich der verminderte Konsum tierischer Produkte.
Ebenfalls mit den Auswirkungen pflanzenbasierter Ernährung auf Umwelt und Klima beschäftigt sich Dr. Carmen Priefer vom Forschungsbereich Zukunftsfähiges Ernährungsverhalten am Max Rubner-Institut (MRI) Karlsruhe. Sie stellte u. a. anhand eines Scoping Reviews derzeitige Forschungsschwerpunkte zur Nachhaltigkeit von Ernährungssystemen vor. Am MRI angesiedelt ist auch das Forschungsprojekt Nachhaltigkeitsanalyse im Rahmen der aktuellen COhort on PLANT-based Diets (COPLANT)-Studie.  www.mri.bund.de/de/institute/physiologie-und-biochemie-der-ernaehrung/forschungsprojekte/coplant/ 
Wie stark der Verzehr gerade von Fleisch und tierischen Produkten durch Steuervorteile und andere juristische Gegebenheiten in unserer heutigen Gesellschaft verankert ist, machte Dr. Saskia Stucki, Institut für Regulierung und Wettbewerb ZHAW Winterthur, in ihrem Vortrag Fleisch als anthropozänes Rechtsproblem an zahlreichen Beispielen deutlich. Auch wenn „was und wie wir essen“ immer wieder als „Privatsache“ ausgelobt wird: Der Staat (hier: Deutschland und die Schweiz) ist in der Fleischfrage stark regulierend tätig – allerdings nicht zwecks Reduktion, sondern im Sinne einer Privilegierung und Förderung carnozentrischer Produktions- und Konsummuster. Dass es auch anderes gehen kann, zeigt aus ihrer Sicht der danish action plan for plant based foods [2].
Auch wenn der Verzicht auf (zu viel) tierische Lebensmittel als Gesamtziel der Ernährungswende sicherlich Vorteile bringt – im konkreten Einzelfall und bei mangelnder Ernährungskompetenz kann er zu gesundheitlichen Risiken (hier konkret Calcium- und Proteinmangel) führen. Dr. Claudia Laupert-Deick, Bonn, zeigte dies anhand von Fallbeispielen: In der Praxis steht die Ernährungsberatung im Spannungsfeld zwischen Gesundheit und Nachhaltigkeit. Ziel einer professionellen Ernährungsberatung ist daher, eine sachliche und faktenbasierte individuelle Begleitung zu ermöglichen. Eine maßgeschneiderte Ernährungsintervention erfolgt dann idealerweise im Rahmen einer professionellen Ernährungstherapie bzw. -beratung mithilfe eines prozessgeleiteten Ablaufs nach dem German-Nutrition Care Process (G-NCP).
Nicht nur die Definition „pflanzenbasierte Ernährung“ ist noch nicht allgemein geklärt [3, 4], auch die gesundheitliche Bewertung pflanzlicher Fleisch- und Milchalternativen steht noch vor großen Herausforderungen. Dr. Markus Keller, Biebertal, ging auf diese Problematik ein: Einerseits sind die Alternativprodukte teilweise hochverarbeitete Lebensmittel, zum anderen ist dieses Marktsegment derzeit noch sehr dynamisch – Angebot und Rezepturen der Produkte verändern sich sehr schnell, weshalb es noch keine aussagekräftigen Studien zur gesundheitlichen Relevanz gibt.
Vegetarische und/oder vegane Ernährung muss bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen besonders gut geplant werden, wie PD Dr. Ute Alexy, Dortmund, in ihrem Vortrag Chancen und Risiken einer vegetarischen oder veganen Ernährung bei Kindern anschaulich darstellte. Denn je mehr Lebensmittel aus der Ernährung ausgeschlossen werden, desto höher ist das Risiko für eine unzureichende Zufuhr von einzelnen Nährstoffen. Immerhin zeigen Untersuchungen eine im Durchschnitt insgesamt gesündere Lebensmittelauswahl bei vegan ernährten Kindern und Jugendlichen mit einem höheren Verzehr von Gemüse, Vollkorn, Hülsenfrüchten und Nüssen als bei der omnivor ernährten Kontrollgruppe. Aufgrund der unzureichenden Datenlage zu veganer Kinderernährung gibt die DGE in ihrem aktuellen Positionspapier [5] keine eindeutige Empfehlung für die Eignung einer veganen Ernährung bei Kindern und Jugendlichen und rät zu einer Ernährungsberatung durch qualifizierte Fachkräfte in dieser Altersgruppe.

Die Abstracts der Vorträge sind auf der Website der DGE-Sektion Thüringen frei zugänglich.

Literatur

  1. Schäfer AC, Boeing H, Conrad J, Watzl B für die DGE Arbeitsgruppe Lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen: Wissenschaftliche Grundlagen der lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen für Deutschland. Methodik und Ableitungskonzepte. Ernährungs Umschau 2024; 71(3): M158–66.e5–7.
  2. Ministry of Food, Agriculture and Fisheries of Denmark: Danish Action Plan for Plant-based Foods. https://en.fvm.dk/media/638484294982868221/Danish-Action-Plan-for-Plantbased-Foods.pdf  (last accessed on 1 November 2024).
  3. Köder C, Keller M: Pflanzenbasierte Ernährung: Begriffsbestimmung und Definitionen. Ernährungs Umschau 2023; 70(7): M428–32.
  4. Fischer T, Assmann M, Frenser M: Definition „pflanzenbasierte Ernährung“ – ein Anstoß zur Diskussion. Ernährungs Umschau 2024; 71(5): M292–8.
  5. Klug A, Barbaresko J, Alexy U, et al. on behalf of the German Nutrition Society (DGE): Update of the DGE position on vegan diet – Position statement of the German Nutrition Society (DGE). Ernahrungs Umschau 2024; 71(7): 60–84. + eSupplement


Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 12/2024 auf den Seiten M686 bis M687.

Das könnte Sie interessieren
Medienumschau 10/2024 weiter
Gesundheitliche und soziale Folgen hängen vom Wohnort ab weiter
„Was isst Bayern?“ weiter
Anhand der Gene vorhersagen, ob eine Ernährungsumstellung helfen kann weiter
Neuer Test verbessert Diagnose von Allergien weiter
Errata weiter