24. Heidelberger Ernährungsforum: Food Well-Being

(lh) Erstmalig digital lud Mitte November die Dr. Rainer Wild-Stiftung zum Heidelberger Ernährungsforum ein. Im Fokus des 2-tägigen Formats stand das Thema „Food Well-Being“. In zahlreichen Vorträgen, Impulsreferaten und Diskussionen wurde versucht, das komplexe Thema zu konkretisieren – gemäß dem Veranstaltungstitel „Aufs Ganze sehen. Vom Wunsch zur Wirklichkeit“.

Food Well-Being ist ein verhaltensökonomischer Ansatz. Das holistische Modell unternimmt den Versuch, Ernährungsgesundheit in „Wohlergehen mit Essen und Trinken“ umzuformulieren: Essen dient nicht (nur) primär der Gesunderhaltung, sondern trägt maßgeblich zum Wohlbefinden bei. Mit diesem Perspektivwechsel soll Food Well-Being die durch individuelle Biografien geprägte Beziehung zu Essen und Trinken abbilden.

Zentrale Fragestellung des Ernährungsforums war es, inwieweit diese Perspektive hilft, das Dilemma der Wunsch-Wirklichkeits-Lücke im Verbraucherverhalten zu mindern. Dieses ergibt sich aus teils unvereinbaren Ansprüchen an eine zeitgemäße, gesunde und nachhaltige Ernährung. Viele empfinden die vielen und hohen Ansprüche als Druck, resignieren und behalten letztendlich ungünstige Verhaltensweisen bei.

Hier setzt Food Well-Being an: Es betrachtet gesunde Ernährung nicht mehr nur als rein biomedizinisch geprägt, sondern als umfassendes Ernährungswohlergehen. So sei es eine „subjektive und objektive Beurteilung der physischen, emotionalen, sozialen, intellektuellen, spirituellen und selbstbestimmten Beziehung zu Essen und Trinken“. Da dies näher dran ist an den aktuellen Lebenswelten, kann das Konzept hier möglicherweise für verschiedene Zielgruppen einen neuen, leichteren – vielleicht auch weniger verkrampften – Zugang zu gesundheitsförderlicher/ m Ernährung(sverhalten) schaffen.

Im Tagungsverlauf wurden verschiedene Ansätze präsentiert, in denen Food Well-Being integriert werden könnte bzw. die es beeinflussen. Von Ernährungskommunikation und betrieblicher Gesundheitsförderung hin zu Slow Food, Foodwaste, Ernährungstrends, politischen und juristischen Rahmenbedingungen und Gastronomie – die Ideen sind vielfältig. So vielfältig, wie es dieser neue Begriff und eben das Ernährungsverhalten nun mal sind.

Für Ernährungsfachkräfte wurde der Schluss gezogen, Ernährung müsse in ihrer Komplexität anerkannt werden. So gäbe es nicht die einzig richtige Formel für alle, sondern es müssten gezielte Hilfestellungen für das Food Well-Being verschiedener Gruppen entwickelt werden.

Kommentar: Der holistische Ansatz ist nicht neu – die Ernährungsverhaltensforschung und die Ernährungsökologie betrachten seit vielen Jahrzehnten die Ernährung ganzheitlich und fordern ein Umdenken weg von rein naturwissenschaftlichen Perspektiven. Es bleibt abzuwarten, inwieweit es erfolgreich ist, nun das Wohlergehen der VerbraucherInnen in den Fokus zu stellen, und ob es gelingt, den Ansatz auch praktisch zu konkretisieren, oder ob es bei einem schwer greifbaren Konzept bleibt. Anglizismen werden nicht zwangsläufig immer richtig verstanden (wie der Vortrag zum Thema Foodwaste zeigte). Food Well-Being bildet die Lebenswelten der Menschen – zumindest in den Industriestaaten – vielversprechender ab als viele bisherige, oft dogmatische empfundene Empfehlungen. Es wird jedoch noch viel (Forschungs-)Arbeit nötig sein, um es in praxistaugliche Handlungskonzepte umzusetzen.



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 1/2021 auf Seite M6 bis M7.

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