20. Dresdner Fachtagung für Ernährungsmedizin und Diätetik: Von Muttermilch-Sammelstellen bis zur digitalen Ernährungsberatung

(umk) Zur 20. Dresdner Fachtagung für Ernährungsmedizin und Diätetik am 1. Februar 2019 konnte die Organisatorin Dr. Andrea Näke von der Kinder- und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Dresden mehr als 300 TeilnehmerInnen im Congress Center Dresden begrüßen. Seit der ersten Veranstaltung im Jahr 2000 mit 70 Anmeldungen hat sich die Fortbildungsveranstaltung mit begleitender Industrieausstellung als feste Größe etabliert.

Ernährung 2000 und heute

Näke gab in ihrer Einleitung einen Rückblick auf die Entwicklung der Ernährungstherapie in diesen 20 Jahren: Von der Gründung der ersten interdisziplinären Ernährungsteams um 2000 über die diversen Modethemen der Ernährungsberatung bis hin zum aktuellen Hype um Mikrobiom, Epigenetik und personalisierte Ernährung. Damit machte sie zugleich deutlich, dass sich Ernährungsfachkräfte laufend weiterbilden müssen, um „neue“ Trends bewerten zu können und relevante Informationen in der Beratung und ernährungstherapeutischen Praxis umzusetzen.

Muttermilchforschung

Prof. Jobst Henker, Dresden, erinnerte in seinem Vortrag an die von Marie Elise Kayser 1919 in Magdeburg eingerichtete erste deutsche Frauenmilchsammelstelle (FMST); die erste Sammelstelle Europas wurde 1911 in Wien gegründet. Vorläufer war das bereits etablierte Ammenwesen. Heute sind Muttermilchspenden v. a. für die Ernährung von Frühgeborenen im Einsatz, mit guten Erfolgen bei der Bekämpfung der nekrotisierenden Enterocolitis. Derzeit existieren in den neuen Bundesländern 15 FMST, in den alten Bundesländern 5.

Intensiv erforscht wird zurzeit eine als „Hamlet“ benannte Proteinfraktion aus Muttermilch, auf der große Hoffnungen in der Krebstherapie liegen.

Angeborene Stoffwechselstörungen

Während Diagnostik und Therapie angeborener Stoffwechselstörungen im Neugeborenen- und Kindesalter mittlerweile einen hohen Standard erreicht haben, fehlen für Betroffene im Erwachsenalter noch immer Anschlusskonzepte, z. B. für ihre Familienplanung.

Am Beispiel einer Schwangeren mit Ahornsirup-Krankheit machte Näke die Herausforderungen deutlich: Während der Schwangerschaft kompensiert der Fetus die Leucin-Abbaustörung auch für den mütterlichen Organismus (4-fach höhere Toleranz), doch endet dieser Stoffwechselweg für die Mutter schlagartig mit der Abnabelung. Frauen mit Phenylketonurie (PKU) müssen bereits 6 Wochen vor der Konzeption auf einen optimal eingestellten Phenylalanin-Spiegel achten.

Daran anschließend schilderte Kathrin Friedrichs, Nutricia GmbH, die Anforderungen an die Konzeption und Herstellung von Spezialnahrungen für Menschen mit angeborenen Stoffwechselstörungen. Neben der indikationsspezifischen Aminosäure- Zusammenstellung müssen diese Nahrungen aufgrund der eingeschränkten Basisdiät der PatientInnen auch einen Großteil der Zufuhr für Vitamine und Mineralstoffe leisten. Im Fokus stehen derzeit altersadaptierte Spezialnahrungen.

Ballaststoffe, n-3-Fettsäuren und Ernährungsstudien

Ballaststoffe spielen eine große Rolle für eine gesundheitsförderliche Ernährung. Lebensmitteltechnologisch stellt die Anreicherung von Brot oder feinen Backwaren Produkt- und Rezeptentwickler jedoch vor große Herausforderungen. Susanne Struck, Dresden, zeigte Beispiele und schilderte Untersuchungen zur Verbraucherakzeptanz von Lebensmitteln, die mit Ballaststoffen aus Apfelfaser, Johannisbeerentrester oder Weizenfasern angereichert waren.

Untrennbar von der Empfehlung einer höheren Zufuhr von n-3-Fettsäuren (FS) ist die Frage, aus welchen Quellen diese zukünftig nachhaltig gewonnen werden können. Christine Dawczynski vom nutriCard Kompetenzcluster für Ernährung1 ging v. a. auf Algen als potenzielle Quellen für n-3-FS ein. Zugleich erläuterte sie mögliche Gründe dafür, dass u. a. die kardioprotektiven Wirkungen dieser FS nicht in allen Studien belegt werden konnten: Teilweise wurde nur die Zufuhr, nicht aber die tatsächliche Blutkonzentration untersucht.

Nicht geringer sind die Herausforderungen, wenn es gilt, aussagekräftige Endpunkt-Parameter für klinische Ernährungsstudien zu definieren. Dr. Ulrike Haß, Potsdam, ging auf die Durchführbarkeit und den prognostischen Wert von funktionellen Parametern wie Handkraftmessung, 6-Min-Gehdistanz und anderen ein.

Digitale Ernährungsberatung
Digitale Ernährungsberatung ist noch nicht überall angekommen, wird jedoch bereits von Krankenkassen in Pilotprojekten getestet.
Digitale Ernährungsberatung ist noch nicht überall angekommen, wird jedoch bereits von Krankenkassen in Pilotprojekten getestet.

Manche können das Wort Digitalisierung „schon nicht mehr hören“, bei anderen ist sie noch gar nicht angekommen, wie die Handzeichenprobe im Saal zeigte. Eine erste Bilanz der Einsatzmöglichkeiten digitaler Ernährungsberatung zog Elke Arms, Hamburg. So haben die Delegierten des Ärztetages 2018 Fernberatung in das Leistungsspektrum aufgenommen, und sowohl Krankenkassen als auch Industrieunternehmen haben Pilotprojekte gestartet. Ernährungsfachkräfte sind hier gefordert, sich einzubringen, damit sie dieses Feld nicht unqualifizierten AnbieterInnen oder dubiosen Online-Apps überlassen.

Weitere Themen

2018 wurde die aktuelle S2k DGEM-Leitlinie: „Klinische Ernährung in der Intensivmedizin“ mit 69 konsentierten Empfehlungen zur Ernährungstherapie schwerkranker Patienten veröffentlicht (-> www.dgem.de/sites/default/files/PDFs/Leitlinien/LL_Klinische_Ernaehrung-compressed.pdf). Prof. Georg Kreymann, Hamburg, stellte wesentliche Neuerungen v. a. in den Empfehlungen zur Proteinzufuhr vor.

Weitere Vorträge waren der optimalen Versorgung von Frühgeborenen über ein strukturiertes Protokoll des gewichtsadaptierten enteralen Kostaufbaus (Katrin Weber, Dresden) und einem Fallbeispiel totale Zottenatrophie/funktionelles Kurzdarmsyndrom (Julia Biedermann und Katja Plachta, Dresden) gewidmet.

Traditionell bietet die Dresdner Fachtagung im Anschluss an das Vortragsprogramm ein Patientenseminar an. Hier bot sich Ernährungsfachkräften die Gelegenheit zum Austausch mit Betroffenen und Vertretern der Industrie.

Drastische Beispiele für rechtsmedizinisch relevante Fälle nach vorenthaltener oder falscher Ernährung(sberatung) stellte Antonia Fitzek, Hamburg, vor. Das Beispiel einer alternativmedizinischen Fehlbehandlung eines Kindes mit Typ-1-Diabetes mit Todesfolge macht nachdenklich, wenn man z. B. an die diversen „alternativen Krebstherapien“ denkt (=> Stellungnahme zu ketogenen und kohlenhydratarmen Diäten bei Menschen mit Krebs in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 9/2017).

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1 „Ernährungscluster nutriCARD: Nachwuchsgruppe – Nutritional Concepts (NuCo)“ in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 7/2018



Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 3/2019 auf Seite M130-M131.

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