Dresdner Fachtagung für Ernährungsmedizin und Diätetik: Viele gute Vorträge mit Praxisbezug und ein Fehlgriff

(umk) Nach Coronapause und Terminverschiebung in den Vorjahren fand die mittlerweile 23. Dresdner Fachtagung für Ernährungsmedizin und Diätetik wieder wie gewohnt im Nachwinter, am 3. Februar 2023, und im Dresdner Congress Center statt. Die Ärztliche Leitung hatten Dr. med. Yvonne Zeißig und OA Dr. med. Martin Laaß, beide tätig an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Dresden. Mehr als 250 TeilnehmerInnen nutzten die Gelegenheit zur Fortbildung in Vorträgen, Diskussionen und auf der begleitenden Industrieausstellung.

Erkrankungen mit Cholestase (Gallenstauung)
Zum Thema Erkrankungen mit Cholestase (Gallenstauung) im Kindesalter zeigte Martin Laaß typische Krankheitsbilder. Er erläuterte die vielfältigen anatomischen Ursachen – z. B. angeborene Fehlbildungen, Infektionen, Autoimmunerkrankungen oder Tumoren – sowie deren Auswirkungen auf den kindlichen Stoffwechsel. Klinische Warnzeichen bei Neugeborenen sind ein über den 14. Lebenstag hinausgehender Ikterus (Ikterus prolongatus), dunkler Urin (Neugeborene können Harn noch nicht konzentrieren, haben daher i. d. R. farblosen Harn) und entfärbter Stuhl. Dr. Laaß zeigte das Beispiel eines Säuglings mit einer – durch einen Vitamin K-Mangel hervorgerufenen – schweren Hirnblutung aufgrund einer Gallengangsatresie. Bei allen Erkrankungen mit einer chronischen Cholestase muss daher auf einen Mangel der fettlöslichen Vitamine geachtet und diese entsprechend substituiert werden.
Das Vortragsthema wurde von Diätassistentin Karin Wimmer, Medizinische Hochschule Hannover, aufgegriffen, die auf die ernährungstherapeutische Versorgung der Betroffenen einging. Für Säuglinge und Kleinkinder spielen altersangepasste energiereiche Spezialnahrungen mit MCT-Fetten (deren Aufnahme im Darm unabhängig vom Gallensäurekreislauf erfolgt) und ausreichendem Anteil an hochungesättigten langkettigen Fettsäuren eine wichtige Rolle. Die Versorgung über nasogastrale Sonde kommt dann zum Einsatz, wenn die Energiezufuhr nicht ausreichend ist. Im Kinder- und Jugendalter sollte dann – wie bei Erwachsenen – das Familienessen für Betroffene reich an MCT-Fetten (als Öl, Margarine oder auch in Pulverform) sein. Die Versorgung mit den fettlöslichen Vitaminen A, E, D und K muss kontrolliert und ggf. substituiert werden. Karin Wimmer betonte, wie wichtig es ist, dass der Aspekt Ernährung in klinischen Leitlinien mehr Berücksichtigung findet.

Chronobiologie
Die Datenlage zur Chronobiologie und damit verbunden die Wirkung von Essen zur falschen/ richtigen Zeit auf den Stoffwechsel, stellte Dipl. oec. troph. Franca Mangiameli, Hamburg, vor. Sie verdeutlichte zugleich die methodischen Herausforderungen, vor denen Studien zum Meal-Timing, Breakfast-Skipping usw. stehen. Denn selbst bei nach der Uhr gleichem Studiendesign, reagieren gewohnheitsmäßige Früh- und Spätaufsteher1 mit einem ganz unterschiedlichen Blutglukoseverlauf auf Nahrungsaufnahme. Bei gleicher Netto-Energiezufuhr unterscheiden sich diese Chronotypen daher hinsichtlich Fettsynthese bzw. Glukoseverwertung, was besonders für (Prä)diabetikerInnen von Bedeutung ist. Zugleich wirken Zeitpunkt und Zusammensetzung der Mahlzeiten wieder als Verstärker auf die „innere Uhr“ ein. Auch bei schwieriger Studienlage ließ sich eine allgemeine Schlussfolgerung ziehen: Sehr späte, kohlenhydratreiche Mahlzeiten sind eher ungünstig.

Nahrungsergänzungsmittel – Unerfreuliches in rechtlicher Grauzone
Der dritte Themenblock war dem Thema Nahrungsergänzungsmittel (NEM) gewidmet. Wobei der erste Vortrag nur als Fehlgriff bezeichnet werden kann: Er schrammte nur knapp am Eklat vorbei. Die von der Referentin vorgetragene Liste eigener „Qualifikationen“ bewahrte sie nicht vor eindeutigen Falschaussagen, z. B. die Gleichstellung von „Nichterreichen der Referenzwerte“ und „Mangel“.2 Wenn sie selbst Vitamine in pharmazeutischen Dosen mit der Aussage „wirken fast immer besser als Medikamente“ empfiehlt, also schon definitionsgemäß nicht als Nahrungsergänzungsmittel, lässt dies an der Seriosität der Referentin und ihrem „Netzwerk aus Ärzten auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft“ zweifeln. Der schwache Vortrag vergab die Chance, fundiert über die Sinnhaftigkeit und das VerbraucherInnenverständnis von NEM im Allgemeinen und nötiger Supplementation bei bestimmten Personengruppen und Indikationen zu informieren.
Den Aussagen und der fragwürdigen Argumentationsweise („geistige Nichtschwimmer“) der Referentin wurde zwar unmittelbar widersprochen, so wies Dr. Laaß darauf hin, dass viele der Aussagen nicht dem Stand der Wissenschaft entsprachen, dennoch sollte der Vorfall Anlass für die Veranstalter sein, die Qualitätssicherung bei der Auswahl der ReferentInnen und der Sichtung der Vortrags-Abstracts für die nächste Veranstaltung zu verbessern.
Im anschließenden Vortrag konnte Dipl. chem. Tatjana Drewitz vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zwar einige Aussagen der Vorrednerin wieder geraderücken und insbesondere die Unterschiede von NEM und Arzneimitteln hinsichtlich Zulassung und Einsatzzweck herausarbeiten. Ihre Ausführungen machten aber auch klar, dass NEM, da sie rechtlich wie Lebensmittel gehandhabt werden, doch eher schwach und noch dazu auf EU-Ebene uneinheitlich regulierte Produkte sind.

Tierisches und pflanzliches Protein im Vergleich
Einer überwiegend pflanzenbasierten Ernährung werden nicht nur positive Aspekte für die menschliche Gesundheit zugeschrieben, sie gilt auch als die wichtigste Stellgröße, die mit der Landwirtschaft verbundenen Belastungen des Klimas zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund beleuchtete Prof. Dr. Andreas Pfeiffer, Charité Berlin, tierisches und pflanzliches Protein und ihren Einfluss auf Inflammation, Fettleber und Diabetes.
In Studien mit hohem Proteinanteil bei isokalorischer Diät bewirkten sowohl pflanzliches als auch tierisches Protein eine Umprogrammierung des Leberstoffwechsels bei übergewichtigen PatientInnen mit Typ-2-Diabetes, was zu einer Abnahme des Leberfetts führte. Gleichzeitig sanken Entzündungsmarker wie das C-reaktive Protein und Marker für den oxidativen Stress, die Insulinsensitivität verbesserte sich.
Auch wenn hinsichtlich dieser Wirkung pflanzliches und tierisches Protein vergleichbar sind, ist es wichtig, aufgrund der geringeren biologischen Wertigkeit vieler Pflanzenproteine, hier geeignete Proteine zu kombinieren. In der Diskussion kam die Sprache auch auf die Verträglichkeit hoher Mengen von Erbsen, Bohnen & Co.: Durch eine geeignete Verarbeitung können mittlerweile blähende Substanzen aus Leguminosen entfernt werden.

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
Zwei Vorträge waren den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen gewidmet. Dr. med. Ivonne Zeißig, Uniklinikum Dresden, beschrieb Prävalenzen und Symptomatik der wichtigsten Krankheitsbilder (Colitis ulcerosa und Morbus Crohn) und erwähnte, dass bei bis zu 15 % der betroffenen Kinder eine sog. Colitis indeterminata diagnostiziert wird, also keinem der beiden Krankheitsbilder sicher zugeordnet werden kann.
Die Suche nach Therapiemöglichkeiten war Thema des Anschlussvortrags von Dipl. oec. troph. Christane Schäfer, Schwarzenbek. Bei Kindern mit leichtem bis mittelschwerem Morbus Crohn wird schon seit 2014 die ausschließlich enterale Ernährung (EEN) zur Induktion der Remission empfohlen: Über 6–8 Wochen kommt dabei eine proteinreiche bilanzierte Trinknahrung zum Einsatz. Die EEN wird mittlerweile in den Leitlinien auch für Erwachsene empfohlen.
Als Trigger für das Entzündungsgeschehen gerät zunehmend die sog. „Western Diet“ mit einem hohen Anteil hochverarbeiteter Lebensmittel ins Visier der Forschung. Schäfer betonte, dass bei zwei so verschiedenen Krankheitsbildern keine einheitliche Therapie zu erwarten sei. Zumal neben dem Alter der PatientInnen, individuelle Verträglichkeit, Ansprechen auf Medikamente, Begleiterscheinungen wie Stenosen oder Kurzdarmsyndrom eine Anpassung der Therapie nötig machen.

Provokationen bei Verdacht auf Lebensmittelallergie
PD Dr. Thomas Hirsch, Greifswald, schilderte in seinem Vortrag das unterschiedliche Vorgehen bei ambulanter oder stationärer Lebensmittelprovokation. Neben praktischen Beispielen ging er auf die doppelte Motivation zur Lebensmittelprovokation ein: Tritt nachweislich keine Symptomatik ein, können die Personen Lebensmittel (wieder) sorgenfrei genießen. Im Falle, dass die Provokation eine anaphylaktische allergische Symptomatik auslöst, können Betroffene und deren Familien z. B. den Einsatz des Adrenalin-Pens erlernen – eine Sicherheit, die die Lebensqualität deutlich erhöht.

Säuglingsnahrungen – rechtlicher Rahmen und klinischer Nutzen
Im Abschlussvortrag ging Diätassistentin Christine Binder, Klinikum Westbrandenburg, auf die gesetzlichen Regelungen und die Bezeichnungsvielfalt von Säuglingsnahrungen ein. Bei der Vielfalt der Auslobungen von Spezialnahrungen empfahl die Referentin den Eltern die Rücksprache mit dem behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin. Sie ging auf die revidierte Einschätzung der HA-Nahrungen ein (laut AWMF-Leitlinie 2022 Allergieprävention nicht zur Allergieprävention geeignet, Meldung auf S. M144 in diesem Heft). Eine neue S3-Leitlinie zum Einsatz von Säuglingsnahrungen auf evidenzbasierter Basis ist in Arbeit und wird für Ende 2023 erwartet.

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1 Lesen Sie zu diesem Thema den Beitrag „Essen Lerchen anders als Eulen?“ in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 9/2018.
2 Vgl. Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. vom 17. Juli 2012: „Deutschland ist kein Vitaminmangelland. Fälschlicherweise wird ein Unterschreiten der Referenzwerte für die Vitaminzufuhr häufig bereits als „Vitaminmangel“ bezeichnet. Dies ist nicht zulässig.“



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 3/2023 auf Seite M147.

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