Hirnforschung: „Hunger-Hormon“ Ghrelin vermittelt mit Essen verbundene Empfindungen

Forschende am Max-Planck-Institut (MRI) für biologische Intelligenz untersuchten das „Hunger-Hormon“ Ghrelin und fanden heraus, dass es spezialisierte Nervenzellen in der Amygdala von Mäusen aktiviert [1]. In dieser Gehirnregion, die auch für die Regulierung von Emotionen zuständig ist, fördert das Zusammenspiel zwischen Ghrelin und den Nervenzellen die Nahrungsaufnahme und vermittelt sowohl Hunger als auch die mit dem Essen verbundenen Belohnungsgefühle.

Das sog. Hunger-Hormon Ghrelin aktiviert bei Mäusen Zellen in der Amygdala – der „Gefühlszentrale“ im Gehirn. © Wouter Marck/iStock/Getty Images Plus
Das sog. Hunger-Hormon Ghrelin aktiviert bei Mäusen Zellen in der Amygdala – der „Gefühlszentrale“ im Gehirn. © Wouter Marck/iStock/Getty Images Plus

Netzwerke aus biologischen Schaltkreisen und Signalwegen im Gehirn steuern das Essverhalten von Menschen und Tieren und lösen die damit verbundenen Empfindungen aus. Einer der zentralen Akteure in diesem Netzwerk ist das Hormon Ghrelin. Es wird im Hungerzustand von den Magenzellen freigesetzt und fördert die Nahrungsaufnahme.
Die Abteilung von Rüdiger Klein am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz untersuchte die Gehirnnetzwerke, die dem Fressverhalten von Mäusen zugrunde liegen. Zu diesem Zweck analysierten die Forscher*innen einzelne Nervenzellen in der zentralen Amygdala. Die Analyse ergab, dass die Zellen in neun verschiedenen Zellclustern organisiert sind. Einige fördern den Appetit, während andere ihn hemmen.
„Unsere Forschung zeigt zum ersten Mal, dass das Hunger-Hormon Ghrelin auch auf Zellen in der zentralen Amygdala wirkt.” Dort aktiviert es eine kleine Untergruppe von Zellclustern, die gemeinsam durch die Anwesenheit des Proteins Htr2a gekennzeichnet sind, um die Nahrungsaufnahme zu steigern.
Das Team fand heraus, dass die Htr2a-Neurone nach mehrstündigem Fasten oder bei Anregung durch das Hormon Ghrelin aktiv wurden. Die Zellen reagierten auch, wenn die Forschenden den Mäusen Nahrung vorsetzten. „Wenn Mäuse hungrig sind, aktiviert Ghrelin die appetitanregenden Hirnregionen, um die Tiere zum Fressen zu animieren. Außerdem steigert das Hormon die Aktivität in Gehirnarealen wie der Amygdala, die Belohnungsgefühle vermitteln. Das ist wahrscheinlich ein Anreiz, noch mehr zu fressen“, so Christian Peters, Postdoktorand der Abteilung. Auf diese Weise erhöht Ghrelin die Schmackhaftigkeit der Nahrung in Abhängigkeit davon, wie gesättigt die Mäuse gerade sind.
Wenn die Tiere nach einer Fastendiät hungrig waren, war die Aktivität der Htr2a-Neuronen allerdings nicht erforderlich, damit die Mäuse mit dem Fressen begannen – die Forschenden vermuten, dass der Geschmack der Nahrung unter diesen Bedingungen eher nebensächlich ist. „In diesem Fall übernehmen andere Schaltkreise im Gehirn die Kontrolle, um den Stoffwechsel des Körpers zu regulieren. Unter anderem der Hypothalamus signalisiert den Mäusen dann, dass es wichtig ist zu fressen, um zu überleben”, erläutert Peters.
Hunger und Sättigungsgefühle haben große Auswirkungen auf das körperliche, aber auch auf das emotionale Wohlbefinden. „Die neuronalen Netzwerke, die diese Gefühle vermitteln, sind offensichtlich eng mit denen verbunden, die die Nahrungsaufnahme kontrollieren. Wie genau sie sich gegenseitig beeinflussen, ist noch nicht vollständig geklärt”, sagt Klein. „Wenn wir diese Zusammenhänge entschlüsseln, werden wir auch die neuronalen Prozesse besser verstehen, die an pathologischem Essverhalten beteiligt sind”, fügt Peters hinzu.
In der Zukunft könnte dieses Wissen zu neuen therapeutischen Ansätzen zur Linderung von Essstörungen führen. Vorerst legt die Studie den Grundstein für weitere Untersuchungen der speziellen Nervenzellverbände und neuronalen Schaltkreise, die die Nahrungsaufnahme steuern.

Literatur
1. Peters C, He S, Fermani F, et al.: Transcriptomics reveals amygdala neuron regulation by fasting and ghrelin thereby promoting feeding. Sci Adv 2023; 9.

Quelle: Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz, Pressemeldung vom 24.05.2023



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 9/2023 auf Seite M538.

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