Technik, Datenschutz und Multitasking – die in der Wortwolke dargestellten Antworten der Teilnehmenden fassten beim Warm-up die größten Herausforderungen der digitalen Welt anschaulich zusammen. © mpm Fachmedien
Technik, Datenschutz und Multitasking – die in der Wortwolke dargestellten Antworten der Teilnehmenden fassten beim Warm-up die größten Herausforderungen der digitalen Welt anschaulich zusammen. © mpm Fachmedien

3. Tagung der Ernährungs Umschau: OMline statt online!

(ck) Der digitale Wandel ist da. Bin ich als Ernährungsfachkraft in der Arbeitswelt 4.0 schon angekommen und kann mich sicher darin bewegen? Die 3. Tagung der ERNÄHRUNGS UMSCHAU lieferte Antworten und Praxistipps zum erfolgreich, souverän und achtsam gestalteten Umgang mit der digitalen Welt.

Nach Begrüßung durch Redaktionsleiter Dr. Udo Maid-Kohnert startete die 3. Tagung der ERNÄHRUNGS UMSCHAU am 25. Oktober 2019 in den Räumen der Evangelischen Akademie am Frankfurter Römerberg ganz analog.
Dr. Sabine Schmidt führte durch ein Warm-up, in dem die TeilnehmerInnen zunächst mit „trifft zu“ (aufstehen) oder „trifft nicht zu“ (sitzen bleiben) ihre eigene „Evolutionsstufe“ in der digitalen Welt einschätzen sollten. Anschließend wurden sie digital gefordert: Mithilfe ihrer Smartphones und dem Tagungstool VOXR konnten sie die vielfältigen Antworten auf die weiteren Warm-up-Fragen in Grafiken bzw. Wortwolken direkt live sehen.

Ernährungsfachkräfte müssen sich stärker als ExpertInnen positionieren

Aufgewärmt und neugierig geworden erfuhren die Teilnehmenden im ersten Vortrag von Eva-Maria Endres, wie und wo die Digitale Revolution Ernährungsfachkräfte betrifft. Im Kontext von sozialen Medien muss die Rolle der Ernährungsfachkraft Endres zufolge neu definiert werden. Traditionelle Ordnungssysteme verlieren an Bedeutung, die Gatekeeper-Funktion der ExpertInnen verwischt und an deren Stelle treten die NutzerInnen als neue GatekeeperInnen: Teilen oder Liken liegt in deren bzw. unserer Hand. Hier besteht die Gefahr einer Fragmentierung der Öffentlichkeit und Radikalisierung der Essmoral Einzelner. Es wird nur noch innerhalb der eigene „Filterblase“ kommuniziert: der sog. Echokammereffekt.

Umso wichtiger ist es, dass sich Ernährungsfachkräfte, staatliche Organisationen, Wissenschaft und unabhängige Verbände stärker als ExpertInnen positionieren und präsenter sind als bisher. InfluencerInnen nicht ablehnen, sondern mit ihnen zusammenarbeiten, sie ihrer Verantwortung bewusst machen und gemeinsam ihre Inhalte fundieren, empfiehlt Endres. Hierzu bedarf es Vernetzungsstellen und gemeinschaftlicher Organisationsprozesse, bspw. Qualitätsnetzwerke oder Ombudsstellen und zentrale, digitale Anlaufstellen zu Ernährungsthemen.

Digitalisierung als Gestaltungsaufgabe

Wie wird man schließlich selbst zu kompetenten und reflektierten NutzerInnen digitaler Informations- und Kommunikationstechniken? Dieser Frage ging Dipl.-Päd. Romy Stühmeier vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. in ihrem Vortrag „Neugierig sein! Digitalisierung als Gestaltungsaufgabe“ nach.

Viele sehen sich aufgrund der zunehmenden Digitalisierung im Beruf, aber auch im Alltag, einem dauerhaften Lern- und Anpassungsdruck ausgesetzt. So kann die Fülle an digitalen Werkzeugen (Tools) NutzerInnen vor Herausforderungen stellen. Stühmeier ermutigt jedoch, dass diese Herausforderungen mit guter Vorbereitung und Planung sowie einer klaren Zielvorstellung für deren Einsatz im Arbeitsalltag alleine oder im Team gut zu bewerkstelligen sind.

Über allem steht die Idee der Veränderung/Neuerung. „Abern Sie nicht rum, wenn Sie Kreativität und Motivation fördern wollen: ,Ja genau, und …‘ statt: ,Ja, aber …“, rät Stühmeier. Denn: „Aber-Sätze“ entzögen jeder Idee die Energie. „Bringen Sie Ihre Idee zum Erfolg und nehmen Sie wahr, was Sie bereits an Kompetenzen bei sich/im Team haben.“ Tools können helfen, Abläufe zu optimieren und Zeitfenster (für Ruhe) zu ermöglichen. Stühmeier gab den Teilnehmenden viele digitale Tools an die Hand: solche zur Planung von Projekten und Geschäftsmodellen, solche, die es ermöglichen, den Überblick über Aufgaben, Termine und Arbeitsprozesse im Team zu bewahren und viele mehr. Denn durch transparente Kommunikation im Team oder mit KlientInnen können Missverständnisse und Ausgrenzungen vermieden werden. Die Inanspruchnahme von Online-Terminvereinbarungstools bspw. schafft Freiraum für andere Aufgaben im Praxisalltag und Zeit für Ruhephasen. Haben Sie zudem sichergestellt, dass Sie von Ratsuchenden bzw. Interessierten im Internet gefunden werden? Eine gut gestaltete Homepage, evtl. ergänzt um Social-Media-Accounts, sind die persönliche Visitenkarte im Netz.

Praxis-Stationen: Zeit für Diskussion und Reflektion

Digitale Ernährungsberatung – kann das gelingen?

Im Anschluss an die Vorträge im Plenum wurden viele Sachverhalte und neu gewonnene Erkenntnisse in kleineren Gruppen in den Praxis-Stationen vertieft und diskutiert.

Dr. Elke Arms wies in der Praxis- Station „Digitale Ernährungsberatung: Evolution oder Revolution?“ darauf hin, dass KlientInnen zusehends digitale Ernährungsberatungsformen verlangen. Diese ermöglichen es wiederum der Fachkraft, unabhängig von Standort und Tageszeit mit dem/der KlientIn in Kontakt zu treten und sie alltagsnah zu begleiten. Die Bereiche Ernährungsberatung, Bewegungsverhalten, Gesundheitsaufklärung und Verhaltenscoaching organisieren sich hierbei um einen digitalen Kern.
Damit digitale Ernährungsberatung aber gelingt, müssen Qualitätsstandards, bspw. Aussagen zum Fachpersonal, definierter Programmablauf, Erfüllung der Datensicherheitskriterien, Evaluation der Programme etc., definiert werden. Diese sollten bei der Entwicklung digitaler Beratungsprogramme Berücksichtigung finden. Bisher gibt es kaum Daten zur Beurteilung der Wirksamkeit digitaler Ernährungsund telemedizinischer Beratung. Hier bedarf es hochwertiger, sich über längere Zeiträume erstreckender Studien.

Laut Dr. Arms werden digitale BeraterInnen zukünftig nach und nach die nicht-digitalen BeraterInnen ersetzen. Dies bedeute aber nicht, dass das bisherige Aufgabengebiet der Ernährungsberatung reduziert werde. Im Gegenteil, es werde erweitert. Wichtig sei hierbei, den Raum der digitalen Ernährungsberatung mitzugestalten. In der Gruppe diskutiert wurden zudem das Feld des Datenschutzes und die Abrechnung mit den Krankenkassen. Aber auch die Frage, im Zuge digitaler Ernährungsberatung jederzeit verfügbar sein zu müssen, stand im Raum. Hierbei gilt es, klare Arbeitszeiten abzustecken und dem/der NutzerIn ebenfalls Verantwortung über die Digitalisierung und deren Folgen zu übertragen.

Der Weg zu einem erfolgreichen Social-Media-Auftritt

 Die Blogger und ÖkotrophologInnen Laura Merten und Jan Rein (-> www.sattesache.de) stellten in der Praxis-Station „Social Media für Ernährungsfachkräfte: Nützliches, Praktisches und Technisches“ klar: Ernährungskommunikation findet seit Jahren im Netz statt – Zeit, dass Ernährungsfachkräfte mitmischen!
ErnährungsexpertInnen müssen öffentlich sichtbarer sein und sich stärker in den sozialen Medien präsentieren. Für einen eigenen digitalen Auftritt sollten folgende Punkte vorab konkretisiert werden: 1. das Ziel (warum?), 2. die Zielgruppe (wer?), 3. die Plattform (wo?) und 4. die Botschaft (wie?).

Welche Kanäle zur Verfügung stehen, erläuterten die beiden umfänglich. „Es gibt nicht die Plattform für das Medium, oder die Generation Y und die Millennials“, betonten Merten und Rein und hoben hervor, dass jede Plattform ihre eigene Sprache und weitere Eigenarten habe. Es sei wichtig herauszufinden, womit man sich wohlfühle. Um dennoch unabhängig von den Social-Media-Plattformen zu bleiben, raten Sie zu Homepage/Blog und Newsletter. Wichtiger als die reine Followerzahl sind ihnen zufolge die Qualität der Beziehung und die Interaktionsrate. Aber auch die Schattenseiten von Social Media, bspw. Hetze/Mobbing, Fehlinformation, Datenmissbrauch und Datenflut fehlten nicht in der Vorstellung der Welt der sozialen Medien. Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist es wichtig, die Balance zwischen online und „OM“line halten zu können und sich ggf. auch einmal eine Auszeit zu gönnen.

Startup Crashkurs

In der Praxis-Station „Startup Crashkurs: Von der Idee zum finanzierten Unternehmen“, angeleitet von der Gründerin der digitalen Community NUTRITION HUB, Dr. Simone Frey, konnten die Teilnehmenden in Gruppen und Rollenspielen eine eigene Existenz „gründen“. Nach Freys Meinung waren die Zeiten nie besser als jetzt, im Bereich Lebensmittel, Ernährung oder Gesundheit ein Unternehmen oder Netzwerk zu gründen, ein Produkt, Tool oder Distributionsprinzip auf den Markt zu bringen. In Kleingruppen wurden anhand teilnehmereigener Ideen wichtige Fragen einer Gründung durchlaufen, darunter „Was will ich entwickeln?“, „Für wen?“, „Welches Problem löst meine Idee?“, „Gibt es das schon?“ und „Welchen Schritt mache ich als nächstes?“.

Als wichtigstes Prinzip benannte die in Gründungen und Netzwerken sehr erfahrene Kursleiterin das „Just do it!“. Langwierige geheime Entwicklungen, Patentanmeldungen und alle Eventualitäten bedenkende Finanzierungspläne seien „Schnee von gestern“. Für gute Ideen gäbe es aktuell reichlich Möglichkeiten, Sponsoren zu finden.

OMline: Achtsamkeit trifft Digitalisierung

Die Digitalisierung führt zwar langfristig zu effizienteren Prozessen – wie groß die Herausforderung für viele jedoch ist, „mitzuhalten“ oder einzusteigen, zeigte sich durch die gesamte Tagung hindurch in Vorträgen und Beiträgen aus dem Plenum. Wie schaffen wir es in der Arbeitswelt 4.0 gesund zu bleiben und im eigenen Takt zu arbeiten – OMline statt gestresst online? Das war eine bewusst bereits in den Veranstaltungstitel integrierte und wichtige Frage der 3. Tagung der ERNÄHRUNGS UMSCHAU.

Das abschließende Training der PsychologInnen Philipp Nowak und Tonka Nikolova von mindfulife griff genau diese Aspekte zum Schluss des Tages noch einmal auf. „Achtsamkeit“, so die PsychologInnen, „kann uns helfen, die Nutzung von digitalen Medien gesund und nachhaltig zu gestalten.“ Achtsam digital – wir sollen Gelassenheit und Souveränität in unserem Arbeitsleben willkommen heißen. Verschiedene Meditations- und Kommunikationsübungen verdeutlichten den TeilnehmerInnen die Auswirkungen des Handy-Konsums auf uns und unser Gegenüber. Darüber gilt es, sich bewusst zu werden und die Vorschläge zum achtsamen digitalen Umgang im Arbeitsalltag mit nach Hause zu nehmen.

Dies fasste Stella Glogowski vom Redaktionsteam im Konzept der digitalen Emanzipation1 zusammen: Die Vorteile, die digitale Tools und die Flexibilität der neuen Arbeitswelt bieten, nutzen – gestalten statt immer zu reagieren. Dabei gilt es, eigenständig (emanzipiert), souverän und achtsam (OMline) mit den neuen Möglichkeiten umzugehen.

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1 Editorial „Digital emanzipiert und OMline“, S. M633

Die nächste Tagung der ERNÄHRUNGS UMSCHAU findet am 6. November 2020 wieder in Frankfurt statt. Das Thema verraten wir Anfang 2020! Wir freuen uns auf Sie!



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 11/2019 auf den Seiten M642 bis M643.

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