Ernährungsfachtagung: Warum essen wir, was wir essen?
- 13.12.2018
- Print-News
- Dr. Udo Maid-Kohnert
„Veränderungsermöglicher“ statt Informationsverteiler
Im ihrem Einstiegsvortrag unterstrich Dr. Margaretha Büning-Fesel, BZfE Bonn, dass wirkungsvolle Ernährungskommunikation jenseits aller Trends und Diäten die Menschen mit Kompetenzen für die Planung, Organisation, Zubereitung und den Genuss ausstattet. Sie gab einen historischen Abriss durch die Welt der Ernährungsempfehlungen, -pyramiden, -kreise- und -teller. Letztlich sei das Ziel, dass jede/r die Fragen „Was kommt auf meinen Teller?“ und „Wie gestalte ich meinen Essalltag?“ beantworten könne. Hierbei müsse der kulturelle Hintergrund berücksichtigt werden. In der Ernährungskommunikation Tätige sollten sich weniger als Informationsverteiler und mehr als „Veränderungsermöglicher“ verstehen.
Vegetarier und Veganer: Beratungsbedarf
Zum Glück nicht bei allen „AnhängerInnen“ eine Ideologie, auf jeden Fall aber Ernährungsformen mit großer Medienpräsenz sind der Vegetarismus und der Veganismus. Prof. Claus Leitzmann, Gießen, erläuterte die methodischen Herausforderungen, die Nährstoffversorgung und gesundheitliche Relevanz dieser Ernährungsweisen – gerade im Vergleich zur „Normalbevölkerung“ – in Studien zu erfassen: Ein Problem dabei ist, dass die Selbstauskunft, sich vegetarisch bzw. vegan zu ernähren, oft mit Unsicherheiten behaftet ist. So kann der Vitamin- B12-Status schon durch kleine Mengen tierischer Produkte bei ansonsten veganer Ernährung beeinflusst werden und zwischen der Nährstoffzufuhr von „Pudding-Vegetariern“ und Rohköstlern liegen Welten. Leitzmann sieht gerade bei VeganerInnen einen hohen Bedarf für Ernährungsberatung: „größer als bei Mischköstlern“.
Stressfrei durch Fertigprodukte = gesund?
EUFIC, das Europäische Zentrum für Lebensmittelinformation in Brüssel, beschäftigt sich mit der Frage, warum sich VerbraucherInnen für bestimmte Lebensmittel entscheiden. Dr. Sophie Hieke stellte Ergebnisse der EUFIC Studie Drivers of Choice vor. In Großbritannien, Frankreich, Italien, Polen und der Türkei wurden Interviews und in einer größeren Welle Online-Befragungen zu Kaufentscheidungen durchgeführt. Einzelmotive (Geschmack, Sättigung, gesundheitlicher Nutzen, Regionalität) haben in den untersuchten Ländern durchaus unterschiedliche Bedeutung. Aber auch der Stellenwert der Ernährung als solche ist verschieden.
Die Verbraucher-Logik als Motor der Kaufentscheidung muss dabei nicht unbedingt der wissenschaftlichen Einschätzung entsprechen: So kann die Argumentationskette: 1) Fertigprodukte sparen Zeit; 2) ich fühle mich dadurch weniger gestresst; 3) ich empfinde weniger Stress, das ist gut für meine Gesundheit, zum Fazit führen: Fertigprodukte sind gut für meine Gesundheit.
Essen hat globale Relevanz
Prof. Jasmin Godemann, Uni Gießen, ging auf die Vermittlung von Nachhaltigkeitsthemen in der Ernährungskommunikation ein.1 Sie betonte, dass das Konzept der Nachhaltigkeit keinen Zielzustand beschreibt, vielmehr die Parameter eines Suchprozesses, die ständig nachjustiert werden müssen. Der Ernährungssektor berührt in vielen Bereichen Nachhaltigkeitsthemen. Auch wenn Ernährungsempfehlungen v. a. durch gesundheitliche Ziele definiert seien, müssten diese daher auch globale Nachhaltigkeitsüberlegungen berücksichtigen (Bsp.: Seefisch). „Ernährung ist längst keine reine Entscheidung des/der Einzelnen mehr, sondern jede Essentscheidung hat gesamtgesellschaftliche, ja globale Relevanz.“
Ernährungsjournalismus
Dr. Tobias Höhn vom nutri-Card-Cluster2 stellte quantitative Inhaltsanalysen von regionalen und überregionalen Tageszeitungen vor, die den Weg beschreiben, den Ernährungsinformationen aus wissenschaftlichen Studien bis zu den EndverbraucherInnen nehmen. In der Analyse wurde klar, dass das Thema Ernährung mit hoher Frequenz omnipräsent ist. VerbraucherInnen wünschen sich v. a. konkrete Handlungsempfehlungen. Von den Medien häufig genutzte Quellen sind dabei auffallend oft Informationen aus der Industrie, weniger präsent sind bislang WissenschaftlerInnen bzw. Fachgesellschaften als Input- Geber. Höhn sprach sich dafür aus, die Professionalisierung eines qualitätsgesicherten Ernährungsjournalismus voranzutreiben.
Ideologie vs. schwerfällige Fachwelt
Welche gesellschaftlichen Indizien dafür sprechen, dass Essen bzw. Ernährungsweisen zu Ideologien geworden sind, analysierte Prof. Christine Brombach, Wädenswil. Sie sieht in den unterschiedlichen Bewegungen (free from, Clean Eating, vegan usw.) auch eine Reaktion auf die Unüberschaubarkeit unserer Ernährungsoptionen und deren Auswirkungen. Ernährungsideologien, oft von Food Bloggern als wahre Heilslehren verbreitet, bieten (scheinbar) Klarheit und schnelle Entscheidungshilfen. Sie schaffen Gruppenzugehörigkeit und durch Schwarz-Weiß-Denken das angenehme Gefühl, Kontrolle über ein komplexes Thema zu bewahren. Im Kontrast dazu steht aus Verbrauchersicht die „Schwerfälligkeit“ der Fachwelt, verfügbare Informationen als praktikable und verständliche Empfehlungen zu kommunizieren.
Kontroversen um Ernährungsempfehlungen
Prof. Stefan Lorkowski, DGE-Vizepräsident, schilderte die kontroverse Diskussion um die DGE-Referenzwerte zu Kohlenhydraten, Proteinen und Fett am Beispiel des Presse-Echos auf die PURE-Studie3. Er machte deutlich, dass gerade auch in der PURE-Studie das Optimum der Aufnahme von Kohlenhydraten und Fetten entgegen der kolportierten Headlines durchaus im Bereich der DGE-Referenzwerte liegt.
Die generelle Problematik sei, dass die üblicherweise differenzierte Darstellung von wissenschaftlichen Studien auf dem Weg zu medienwirksamen Headlines oft abgeschliffen oder im Kampf um Aufmerksamkeit gar ins Gegenteil verkehrt werden. Eine Herausforderung, der sich jedoch Wissenschaftler bei der Wahl ihrer Kommunikationsformen stellen müssten. Er begrüßte in diesem Zusammenhang, dass das aktuelle Hochschulgesetz Thüringen als Aufgaben der Wissenschaftler neben Forschung und Lehre ausdrücklich die Aufgabe der Kommunikation benennt.
1 => „Ernährungskommunikation und Nachhaltigkeit“ in Ernährungs Umschau 12/2017
2 -> www.nutricard.de
3 => Kommentar zur PURE-Studie „Mehr Fette, weniger Kohlenhydrate?“ in Ernährungs Umschau 11/2017
Ernährungsfachtagung 2019
der DGE-Sektion Thüringen:
7. November 2019, Jena
„Ernährung im Alter – Lust oder Frust?“
Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 12/2018 von Seite M664 bis M665.