Online-Veranstaltung der Plattform zum Nationalen Dialog zu Ernährungssystemen: LandwirtInnen als Akteure des Wandels
- 14.02.2022
- Print-News
- Udo Maid-Kohnert
Nach einer Einführung durch Staatssekretärin Dr. Ophelia Nick, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Werner Schwarz, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbands e. V., und Dr. Hanns-Christoph Eiden, Präsident der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), stellten sich stellvertretend für viele Initiativen sechs AkteurInnen mit ganz unterschiedlichen Projekten vor, die unmittelbar von landwirtschaftlichen Betrieben ausgehen. Cornelia Berns, die Beauftragte für den Nationalen Dialog im BMEL machte deutlich: Hunger hat keinen eigenen „politischen Gipfel“. Der Erfolg einer Umstellung des weltweiten Ernährungssystems ist Voraussetzung zur Lösung der derzeit wieder zunehmenden Hungerproblematik. „Es ist nicht mehr viel Zeit bis 2030, um die vereinbarten Ziele [gemeint Sustainable Development Goals, Agenda 2030, Anm. d. Red.] zu erreichen“.
Auch die neue Dialog-Plattform www.ble-live.de wurde vorgestellt (• Abbildung), auf der sich ab sofort alle Interessierten vernetzen und zu Terminen treffen können, z. B. mit ThemenpatInnen der Bereiche Wahre Kosten, Nachhaltige Landwirtschaft, Pflanzenbasierte Ernährung, Nachhaltige Ernährungssysteme und Ernährungswirtschaft der Zukunft.
Vorträge der LandwirtInnen
Joachim Nagel, RAISA eG, „Küstenbohne.de“ aus Stade/ Niedersachsen, schilderte die Ausgangssituation: Die Ausbreitung von Ackerfuchsschwanz schuf massive Probleme für den Getreideanbau. Es gelang, die Ackerbohne in die Fruchtfolge zu integrieren (für manche Betriebe erstmals seit 30 Jahren!) und damit Fruchtfolge und Bodenqualität – auch über Precision Farming – zu verbessern. Die ernährungsphysiologische Eignung der Ackerbohne war Grundlage neuer Vermarktungserfolge.
Sabine Kabath, Bio-Gärtnerei Watzkendorf, Mecklenburg- Vorpommern, stellte den seit 1996 organisch-biologisch arbeitenden Gemüsebaubetrieb vor. Man verwendet 30 % der Anbaufläche für Gründüngung, blühende Zwischenfrucht für Bienen und zur Mulchgewinnung für Nährstoffeintrag und Abfederung des Bodendrucks bei Pflegearbeiten. Ihre Anregung in der Diskussion mit Michael Reber: BerufsschullehrerInnen sollten neues Wissen über Boden haben und weitergeben. Kabath hatte aber auch einen Wunsch an VerbraucherInnen: Auch ÖkokonsumentInnen verlangten oft „makelloses“ Obst und Gemüse, daher müsse der Betrieb bis zu 20 % der Ernte verwerfen.
Dr. Tobias Hartkemeyer, CSA Hof Pente in Bramsche/Niedersachsen, gab Einblicke in solidarische Landwirtschaft:1 Statt KonsumentInnen machen ProsumentInnen auf den in Deutschland mittlerweile über 400 Betrieben mit. Er rief zur Skalierung dieser Ansätze auf, so würden bspw. in Südkorea 1,5 Mio. Haushalte auf diese Weise ernährt. Aus seiner Sicht gehöre zu jeder Schule ein landwirtschaftlicher (Partner) Betrieb, auf dem Kinder und Jugendliche die Lebensmittelerzeugung kennenlernen.
Michael Reber, Schwäbisch-Hall in Baden-Württemberg, bewirtschaftet einen konventionellen 3-Generationenbetrieb. Neben Schweinemast und Ackerbau sind ein weiteres Standbein mittlerweile Seminare zu Bodenfruchtbarkeit, Wirtschaften ohne Pflug/mit minimaler Bearbeitung. Sein Konzept, auch als Anpassung an Klimaextreme: Böden begrünt halten und bessere Wasserspeicherung durch Humusaufbau. 50 % der SeminarteilnehmerInnen sind unter 30 Jahre und wollen Höfe übernehmen. Ausreichende Informationen zur Bedeutung des Bodens seien aber nicht ausreichend Gegenstand des Studiums! Junge LandwirtInnen suchen auch Motivation und Perspektive für die Zukunft. „Die Bewirtschaftung und der Umgang mit unserer Lebensgrundlage Boden muss wieder in den Fokus unseres Handelns rücken – nicht nur in der Landwirtschaft.“
Ralf Remmert, Prignitzer Landschwein GmbH in Brandenburg, beschrieb seine Erfahrungen mit der Umstellung von konventioneller Schweinezucht zu Haltungssystemen ohne Manipulation am Tier (Schwänze stutzen, Zähne schleifen) im Gesamtkonzept mit Vermarktung. Da sich alle Maßnahmen refinanzieren müssen, war seine Strategie: Schritt für Schritt vorgehen, Rahmenbedingungen im Blick behalten, Vermarktungswege mit regionalem Handel etablieren. „Wir als Landwirte müssen wieder vermehrt auf das Tier achten und das Haltungssystem auf die Tiere und ihre Bedürfnisse anpassen. Der Mehraufwand benötigt jedoch auch höhere Preise.“
Bei Jana Gäbert, Agrargenossenschaft Trebbin in Brandenburg, war die Ausgangssituation eine andere: Wegen Trockenheit und Wärme waren Raps- und Getreideanbau kaum noch möglich. Ein Ausweg: die ökologische Aufwertung der Flächen durch Fruchtfolge mit 12 verschiedenen Kulturen. Der Milchbetrieb nutzt Luzerne statt Soja. Alle Maßnahmen werden wissenschaftlich begleitet. Ihre Erfahrung: Geduld ist gefragt. Ein Zeitraum von 20–30 Jahren für Veränderung von Böden ist realistisch.
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1 Mehr zum Thema: Einblicke in die Konzepte Solidarische Landwirtschaft, Food-Coops und Marktschwärmer. Drei Interviews.: www.ernaehrungs-umschau.de/news/30-04-2018-einblicke-in-die-konzepte-solidarische-landwirtschaft-food-coop-und-marktschwaermer/
Literatur
1. www.un.org/en/food-systems-summit (last accessed on 26 January 2022).
2. https://ble-live.de/kalender/20012022-2/ (last accessed on 26 January 2022)
Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 2/2022 auf den Seiten M66-M67.