Lebensmittelallergien: Dinkel: Aufklärungsbedarf zum allergenen Potenzial

(spr) Ist Dinkel wirklich gesünder und verträglicher als Weizen? Wie ist der Informationsstand der Bevölkerung zu diesem Thema? Diesen Fragen ging das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) anhand einer Literaturrecherche und einer repräsentativen telefonischen Verbraucherbefragung nach [1]. Der Bewertungsstand wird mit November 2020 datiert.

Immunologische Studien belegen die Vermutung: Weizenallergiker*innen können auch auf Dinkel reagieren. © Angelina Panaeva/iStock/Getty Images Plus
Immunologische Studien belegen die Vermutung: Weizenallergiker*innen können auch auf Dinkel reagieren. © Angelina Panaeva/iStock/Getty Images Plus

Dinkel wird von einem Großteil der Bevölkerung als gesündere und besser verträgliche Alternative zu Weizen betrachtet. Nur etwa ein Fünftel der befragten Personen nahm an, dass handelsüblicher Dinkel die gleiche Allergenität aufweise wie Weizen. So können Weizenallergiker*innen fälschlicherweise annehmen, dass sie Dinkel bedenkenlos verzehren können. Dies kann im Extremfall zu lebensbedrohlichen Anaphylaxien führen. Immerhin sind in den westlichen Regionen etwa 0,5 % der Kinder und Jugendlichen sowie ca. 1 % der Erwachsenen von einer IgE-vermittelten Weizen-Nahrungsmittelallergie betroffen. Einen ausführlichen Beitrag zur Allergenität von Weizensorten und anderen Getreiden finden Sie in Heft 3/2017 der ERNÄHRUNGS UMSCHAU [2].
Dinkel und Weichweizen gehören zur Gattung Triticum und weisen eine hohe Homologie in der Proteinzusammensetzung auf. Diese Tatsache war lediglich 32 % der Befragten bekannt.
Es wird vermutet, dass der heutige Dinkel sowie der Weichweizen Kreuzungsprodukte aus der Jungsteinzeit sind. Aus diesen Hybridisierungen resultieren sehr komplexe Proteinzusammensetzungen der Weizenarten. Bislang konnten 28 Allergene des Weizens klassifiziert werden (Tri a 12 bis Tri a 45). Hinsichtlich des Sensibilisierungsweges, der Exposition sowie der klinischen Manifestation bestehen Unterschiede. Es können auch Kreuzreaktionen mit anderen Getreidearten auftreten, wobei dies sowohl Gluten- als auch Nichtgluten-Proteinfraktionen betrifft.
Die vom BfR analysierten Studien schlossen neben einer oralen Provokationsstudie auch Reaktionstests (Immunblots) mit weizenspezifischem IgE sowie Studien zum Vorkommen allergener Proteine in Weizen und Dinkel ein.
Die Provokationsstudie an 66 Proband*innen ist aufgrund erheblicher Mängel in der Durchführung sowie Dokumentation nur bedingt verwertbar, auch wenn von einer geringeren Reaktionshäufigkeit auf Dinkel im Vergleich zu Weizen berichtet wurde.
Die Immunblots mit Seren weizensensibilisierter Kinder zeigten IgE-Bindungen an Epitopen u. a. aus Dinkel, Winterhart- und Weichweizen, Einkorn und Emmer. Es gab allerdings Unterschiede im Bindungsmuster. Seren gesunder Proband*innen wurden nicht herangezogen.
Eine weitere Studie brachte hohe Übereinstimmungen der Aminosäuresequenzen homologer Proteine bei Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel und Reis hervor und wies Kreuzreaktionen gegenüber diesen Getreidearten nach. Kreuzreaktionen gegenüber Reis, Mais, Sonnenblumen und Dinkel konnten in einer Studie mit isolierten, neu identifizierten Weizenallergenen herausgearbeitet werden.
Im Fall ausgewählter Weizenallergene (α-Purothionin [Tri a 37] und Weizenprofilin [Tri a 12]) ermittelten verschiedene Autor*innen eine ausbleibende Kreuzreaktivität bei bestimmten Zielgruppen (Patient*innen mit Gräserpollenallergie, Bäckerasthma und weizeninduzierter Nahrungsmittelallergie).
Das Vorkommen typischer Auslöser von Unverträglichkeiten bzw. Allergien wie Gliadine und Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) wiesen mehrere Arbeitsgruppen in verschiedenen Weizenarten einschließlich Dinkel nach. Der Gluten- und Proteingehalt bei Einkorn, Emmer und Dinkel übertraf die Gehalte des üblichen Weichweizens. Massenspektrometrische Analysen ergaben höhere ATI-Gehalte in Dinkel und Emmer im Vergleich zu Hart- und Weichweizen.

Fazit

Aufgrund fehlender aussagekräftiger oraler Provokationsstudien kann das allergene Potenzial von Dinkel nicht eindeutig abgeschätzt werden. Es muss jedoch aufgrund der engen botanischen Verwandtschaft zum üblichen Weizen sowie struktureller Ähnlichkeiten der Proteinfraktionen davon ausgegangen werden, dass Personen mit Weizenallergie auch auf Dinkel reagieren können. Dies konnte in mehreren immunologischen Studien belegt werden.
Da ein unreflektierter Verzehr von Dinkel sowie seinen Produkten für bestimmte Zielgruppen Gesundheitsgefahren provozieren kann, fordert der BfR eine forcierte Aufklärung der Bevölkerung sowie eine Anpassung der Lebensmitteldeklaration, aus der eindeutig hervorgeht, dass es sich beim Dinkel um eine Weizenart handelt.

Literatur
1. Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Auch Dinkel kann Allergien auslösen – Wissenstand der Bevölkerung zu Dinkel als Weizenart ist niedrig. Stellungnahme Nr. 001/2023 des BfR vom 13. Januar 2023 (Stand 30. Nov. 2020). DOI https://doi.org/10.17590/20230113-084359.
2. Steinmüller R: Lebensmittelallergene Teil 5: Weizen und verwandte Getreide als Krankheitsursache. Ernährungs Umschau 2017; (64)3: S9–12 und e12–13.



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 6/2023 auf Seite M340.

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