Bovine Meat and Milk Factors: Gesundheitsgefährdende Faktoren in Kuhmilch und Rindfleisch?
- 14.08.2019
- Print-News
- Michael Glei
Laut DKFZ deutet das weltweite Verteilungsmuster von Neuerkrankungen an Darm- und Brustkrebs auf eine Assoziation mit dem Konsum von Milch- und Rindfleischprodukten vom europäischen Rind (Bos taurus) hin. Mögliche Ursache könnten neu bekannt gewordene Infektionserreger sein, die nach dem Auffindungsort als Bovine Meat and Milk Factors (BMMFs) bezeichnet wurden. Die BMMFs weisen Ähnlichkeiten zu bakteriellen Plasmiden, aber auch zu Viren auf und kommen in der Natur wahrscheinlich nicht als „nackte“ DNA, sondern an Proteine gebunden vor. Sie wurden sowohl in Blutseren von europäischen Milchkühen als auch in Milch- und Milchprodukten nachgewiesen und stellen eine neue, zunächst als „Plasmidome“ bezeichnete Klasse von Erregern dar, die möglicherweise zu chronischen Entzündungen in infizierten Geweben führen. Serum-Antikörper gegen BMMFs belegen eine Exposition des Menschen. Erhöhte Spiegel an reaktiven Sauerstoffverbindungen können hier das Risiko für Erbgutveränderungen und damit für die Entstehung von Krebserkrankungen erhöhen. Da BMMFs nicht direkt mit der zellulären DNA interagieren, werden sie als indirekt karzinogen eingestuft.
Mit ihren aktuellen Untersuchungsergebnissen untermauern die Heidelberger WissenschaftlerInnen um Harald zur Hausen ihre bisherigen Theorien und postulieren jetzt, dass sich Menschen bereits im frühen Säuglingsalter und damit in einer Zeit, wo das Immunsystem noch nicht voll ausgereift ist, durch den Verzehr von Milchprodukten und/oder Rindfleisch mit den BMMFs infizieren könnten. Sie schlussfolgern daraus, dass Säuglinge keinesfalls zu früh mit Kuhmilchprodukten versorgt werden sollten. Ab einem Alter von etwa 12 Monaten sind Babys wahrscheinlich immunkompetent und können dann verschiedene Erreger, möglicherweise auch BMMFs, abwehren.
Anmerkungen: Wie gehen wir damit um? Ich denke, wir sind gegenwärtig gut beraten, der gemeinsamen Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und des Max Rubner-Instituts (MRI) [3] zu folgen. Diese besagt, dass die bisher vorgelegten Daten keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Lebensmitteln bovinen Ursprungs und dem Auftreten von Krebserkrankungen beim Menschen belegen und daher auch keine Bewertung möglicher Krebsrisiken durch BMMFs erlauben. Somit sind auch keine spezifischen Ernährungsempfehlungen ableitbar. Der postulierte Zusammenhang zwischen den neuartigen Erregern und dem Auftreten von Tumoren v. a. in Darm und Brust ist aber ernst zu nehmen und sollte Gegenstand weiterer Forschungsarbeit sein.
Ergebnisse des erst im letzten Jahr vom World Cancer Research Fund/American Institute for Cancer Research (WCRF/ AICR) vorgelegten umfassenden Berichts belegen ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Ernährungsfaktoren und Krebserkrankungen [4]. Demnach erhöht ein hoher Konsum von rotem und v. a. von prozessiertem Fleisch das Risiko für Tumore im Dickdarm, was schon länger bekannt ist (vergl. [5]). Der reichliche Konsum von Milch und Milchprodukten vermindert das Darmkrebsrisiko jedoch laut dieser aktuellen Bewertung der Datenlage. Hinzu kommt, dass weder der Verzehr von Milchprodukten noch der von rotem Fleisch bisher als risikoerhöhend für Brustkrebs eingestuft wurde, wobei die Einflüsse im Säuglingsalter möglicherweise nicht beachtet wurden. Die Frage, ob bei der Be- und Verarbeitung (Erhitzung; Trocknung) die o. a. Faktoren eliminiert oder vermindert werden können, muss ebenfalls noch geklärt werden.
Die vom DKFZ präsentierten Ergebnisse unterstützen die bisherigen Empfehlungen von DGE und WCRF/AICR, den Fleischkonsum auf im Mittel etwa 450 g/Woche zu begrenzen. Demgegenüber ist der Konsum von Milch und Milchprodukten vorerst weiterhin zu empfehlen. Darüber hinaus sollte die Diskussion aber genutzt werden, um die Bereitschaft zum Stillen als einfache Maßnahme zur Vorbeugung von Krankheiten noch stärker in den Fokus zu rücken. Dies auch vor dem Hintergrund, dass es in Deutschland trotz hoher Stillraten zu Beginn (72–97 %) bereits in den ersten 2 Monaten zu einem starken Abfall der Stillraten kommt, sodass bis zum Alter von 6 Monaten nur noch etwa 50 % der Säuglinge überhaupt gestillt werden [6].
Prof. Dr. Michael Glei
Professur für Ernährungstoxikologie
Institut für Ernährungswissenschaften
Friedrich-Schiller-Universität Jena
michael.glei@uni-jena.de
Literatur:
- zur Hausen H et al. (2019) Specific nutritional infections early in life as risk factors for human colon and breast cancers several decades later. Int J Cancer 144: 1574–1583
- URL: www.dkfz.de/de/presse/download/Hintergrund-PK-Plasmidome_final.pdf
- URL: www.bfr.bund.de/cm/343/neuartige-erreger-in-rind-und-kuhmilchprodukten-weitere-forschung-notwendig.pdf
- World Cancer Research Fund, American Institute for Cancer Research. Diet, nutrition, physical activity and cancer: a global perspective. Continuous update expert report (2018)
- Glei M (2018) Fleisch. Ernährungs Umschau – Sonderheft Lebensmittel: 42–47
- Weissenborn A et al. (2016) Stillhäufigkeit und Stilldauer in Deutschland – eine systematische Übersicht. Gesundheitswesen 78: 695–707
Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 8/2019 auf Seite M447.