Leserbrief: Ernährungstherapeutische Einordnung der gegarten Karotte bei PatientInnen mit einer pollenassoziierten Nahrungsmittelallergie
- 14.12.2020
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- Anja Waßmann-Otto
- Christiane Schäfer
- Sabine Dölle-Bierke
Die In-vitro-Daten zur Stabilität verschiedener Isoformen des Karottenallergens Dau c 1 zeigen, dass sich die Proteinstrukturen der meisten Isoformen trotz einer Hitzebehandlung von bis zu 95 °C nach der Abkühlung auf 25 °C wieder regenerierten. Die meisten Allergene erwiesen sich bei Raumtemperatur und der Einwirkung eines niedrigen pH-Werts von 3 – wie er üblicherweise postprandial im Magen vorherrscht – als stabil. Die AutorInnen empfehlen für PatientInnen mit einer durch Dau c 1 induzierten Karottenallergie resümierend eine vollständige Karenz roher und gegarter Karotten.
Dieser Empfehlung gegenüber steht die klinische Erfahrung, dass bei birkenpollenallergischen PatientInnen die Verträglichkeit pollenassoziierter Nahrungsmittel maßgeblich durch die Zubereitungsart (thermische Prozessierung, Oxidation durch Schälen oder Reiben) sowie durch die Lebensmittelmatrix (Kombination mit protein-/fettreichen Speisen) beeinflussbar ist [2]. Die neuen Daten von Jacob et al. [1] geben interessante Hinweise, die Anamnese hinsichtlich der Verträglichkeit gegarter Karotte auch bei birkenpollenallergischen PatientInnen zu schärfen und sorgfältig zu eruieren, wie es bereits bei Sellerie und Soja erfolgt. Allerdings ist die Übertragbarkeit von in vitro beobachteten physikochemischen Eigenschaften auf die klinischen Effekte spezifischer Allergene limitiert, da nur wenige Studien gleichzeitig überprüfen, welchen Einfluss diese Eigenschaften tatsächlich auf die Entwicklung und Manifestation einer Allergie haben [3]. Die Ergebnisse vorangegangener In-vitro-Untersuchungen zur Stabilität spezifischer Isoformen von Dau c 1 sind inkonsistent [4, 5]. Die klinische Relevanz dieser Beobachtung der Bayreuther Arbeitsgruppe sollte daher zunächst in weiteren Studien evaluiert werden, bevor aus den In-vitro-Daten Aussagen für die Praxis abgeleitet werden können.
Eine pauschale Karenzempfehlung ist aus unserer Sicht nach aktuellem Stand nicht gerechtfertigt. Eine generelle Meidung erscheint angesichts der Individualität des Reaktionsspektrums [6] sowie der Kenntnis über die Bedeutung des Verzehrs verträglicher Verarbeitungsformen eines Nahrungsmittelallergens im Hinblick auf eine mögliche Förderung bzw. den Erhalt der oralen Toleranz [7] jedoch grundsätzlich nicht sinnvoll.
Dr. rer. biol. hum. Anja Waßmann-Otto1
Dipl. oec. troph. Christiane Schäfer2
Dr. rer. medic. Sabine Dölle-Bierke3
1 Dermatologisches Ambulatorium Hamburg-Alstertal
2 Ernährungstherapie Schwerpunkt Gastroenterologie und Allergologie, Schwarzenbek
3 Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Literatur:
- Jacob T et al: Food processing does not abolish the allergenicity of the carrot allergen Dau c 1: influence of pH, temperature, and the food matrix. Mol Nutr Food Res 2020; 64: 2000334.
- Worm M et al: Nahrungsmittelallergie infolge immunologischer Kreuzreaktivitäten mit Inhalationsallergenen. Allergo J Int 2014; 23: 1.
- Costa J et al: Are physicochemical properties shaping the allergenic potency of plant allergens? Clin Rev Allergy Immunol 2020; Sep 2: doi: 10.1007/s12016- 020-08810-9 [ahead of print].
- Bohle B et al: Cooking birch pollen- related food: divergent consequences for IgE- and T cell-mediated reactivity in vitro and in vivo. J Allergy Clin Immunol 2006; 118: 242–9.
- Bollen MA: Stability of the Bet v 1 cross-reactive allergens Api g 1 and Dau c 1: a biophysical approach. PhD Thesis. Wageningen University 2009.
- Schäfer C: Ernährungstherapie bei pollenassoziierten Kreuzreaktionen auf Nahrungsmittel – Wie viel Karenz ist zu verantworten? In: Reese I, Schäfer C (ed.): Ernährungstherapie bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten. München: Dustri Verlag Dr. Karl Feistle 2018.
- Kopac P et al: Continuous apple consumption induces oral tolerance in birch-pollen-associated apple allergy. Allergy 2012; 67: 280–5.
Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 12/2020 auf Seite M693.