Ernährungsforschung: Gehirnzellen passen sich bei Ernährungsumstellung oder Erkrankung unterschiedlich gut an

Auf Ernährungsumstellungen oder Erkrankungen muss sich auch das menschliche Gehirn einstellen. Flexibel adaptiert es seinen Energiestoffwechsel an die veränderten Bedingungen und sorgt so dafür, dass es funktionsfähig bleibt. Das menschliche Gehirn umfasst rund 86 Mrd. Nervenzellen sowie etwa ebenso viele Milliarden Gliazellen, die unterschiedliche Zelltypen umfassen: Astrozyten, Oligodendrozyten sowie Mikroglia. Endothelzellen, die weder zu den Nerven- noch zu den Gliazellen gehören, bilden die Blutgefäße im Inneren des Gehirns.

Konfokale lichtmikroskopische Aufnahme eines Gehirnschnitts: Astrozyten (rot) enthalten besonders viele Mitochondrien (grün), wenn den Tieren eine fettreiche, ketogene Diät verabreicht wurde. © Mišo Mitkovski/Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Natu
Konfokale lichtmikroskopische Aufnahme eines Gehirnschnitts: Astrozyten (rot) enthalten besonders viele Mitochondrien (grün), wenn den Tieren eine fettreiche, ketogene Diät verabreicht wurde. © Mišo Mitkovski/Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften

Dem Team um Gesine Saher vom Max-Planck-Institut (MPI) gelang es, die in den fünf Zelltypen (Nerven- und Gliazellen, Astro- und Oligodendrozyten, Endothelzellen) enthaltenen Proteine zu kartieren. Das Protein„inventar“ einer Zelle (Proteom) passt sich äußerst dynamisch Veränderungen in ihrer Umgebung an, bspw. bei Mangel an Nährstoffen oder erhöhtem Stress.
Die Forschenden interessierte, wie sich Ernährung und Gesundheitszustand auf das Proteom von Zellen im Gehirn auswirkt. Dafür isolierte das Team alle fünf Zellarten aus der Hirnrinde von Mäusen, die von der üblichen Kohlenhydrat-basierten auf eine kohlenhydratarme, fettreiche ketogene Diät umgestellt wurden. Weitere Zellproben entnahm das Team Mäusen, die an einer Entzündung des Nervengewebes, einer sog. Neuroinflammation, litten. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die einzelnen Zelltypen im Gehirn unterschiedliche Strategien haben, um die veränderte Verfügbarkeit der Energiesubstrate zu kompensieren. Astrozyten und Nervenzellen sind in ihrem Stoffwechsel flexibel und passen sich an“, so Saher. Tim Düking, Erstautor der veröffentlichten Studie [1], ergänzt: „Dies zeigte sich in unseren Mäusen bei einer ketogenen Diät beispielsweise daran, dass die Dichte der Mitochondrien – die Kraftwerke lebender Zellen – erhöht war. Diese Zellorganellen verstoffwechseln die Ketonkörper, die entstehen, wenn der Körper verstärkt Fett abbaut.“ „Gleichzeitig ermöglichten Endothelzellen durch den verstärkten Import von Ketonkörpern ins Gehirn, dass seine Zellen überhaupt erst Zugang zu diesem veränderten Nährstoffangebot erhielten“, ergänzt Lena Spieth, Co-Autorin der Studie [1]. „Oligodendrozyten waren die Konservativsten unter den Zellarten. Sie behielten ihren Stoffwechsel bei.“
Die Erkenntnisse tragen dazu bei, zu verstehen, warum eine fettreiche ketogene Diät bestimmte Erkrankungen des Gehirns wie bspw. Multiple Sklerose (MS) positiv beeinflussen kann. Neuroinflammatorische Erkrankungen wie diese bringen den Energiestoffwechsel des Gehirns aus dem Gleichgewicht; dies schädigt die Nervenzellen. Als Reaktion stellt sich der Nervenzell- Stoffwechsel auf Fett als primäre Energiequelle um. „Bei unseren Mäusen, die an einer Neuroinflammation litten, zeigte sich dies als deutliches Muster im Stoffwechsel ihrer Nervenzellen, ähnlich wie in gesunden Mäusen, denen eine ketogene Diät verabreicht wurde. Erhielten erkrankte Tiere eine ketogene Diät, verstärkte sich der Energiestoffwechsel in den Nervenzellen am deutlichsten. Der Schweregrad der MS-Erkrankung reduzierte sich. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die ketogene Diät das benötigte Fett als Energiesubstrat liefert“, erklärt Saher.

Literatur
1. Düking T, Spieth L, Berghoff SA, et. al.: Ketogenic diet uncovers differential metabolic plasticity of brain cells. Sci Adv 2022; 8(37): https://doi.org/10.1126/sciadv.abo7639.

Quelle: Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Pressemeldung vom 21.09.2022



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 12/2022 auf Seite M644.

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