Ernährungsfachtagung in Jena: Der Darm ist, was er isst!?
- 15.01.2018
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- Dr. Udo Maid-Kohnert
Darmfunktion und Mikrobiom
Der Darm ist, was er isst!? Bewusst war das Tagungsmotto zugleich als Aussage und als Frage formuliert, denn die Vorträge machten klar, dass der Darm weit mehr ist, als der Ort und Umschlagplatz zur Aufnahme von Nahrungsbestandteilen. Er ist zugleich endokrines Organ, mit seiner großen Kontaktfläche zur physiologischen Außenwelt und körperfremden Substanzen und Mikroorganismen wichtiger Bestandteil unseres Immunsystems und – nicht zuletzt – Biotop für die komplexe Lebensgemeinschaft symbiontischer und in Ausnahmesituationen auch potenziell pathogener Bakterien und Pilze der intestinalen Mikrobiota.
Auf diese Gemeinschaft von Mikroorganismen, deren gesamter Gen-Pool auch als Mikrobiom bezeichnet wird, ging Prof. Michael BLAUT1, Potsdam, ein. Die immer leistungsfähigeren mikro- und molekularbiologischen Untersuchungsmethoden ermöglichen eine immer schnellere und detailliertere Charakterisierung des Mikroorganismen-Spektrums des einzelnen Menschen. Es wird deutlich, dass die Ernährungsweise großen Einfluss auf die Zusammensetzung hat. Dennoch ist die Summe der Stoffwechselleistungen auch bei deutlichen Unterschieden im Artenspektrum der Mikrobiota erstaunlich ähnlich und die Klassifizierung nach „Enterotypen“, also deutlich unterschiedlichen Bakterien-Spektren scheint überholt. Aktuelle Forschungsgebiete sind u. a. die Zusammenhänge zwischen der Zusammensetzung der Mikrobiota bzw. einzelner Bakteriengruppen und der Entstehung von Adipositas, dem Leberstoffwechsel und generell die Wechselwirkung entlang der Darm-Hirn-Achse.
Die fein abgestimmten endokrinen Funktionen des Darms schilderte Prof. Andreas PFEIFFER, Potsdam, an ausgewählten Beispielen. Die Freisetzung von Hormonen, Neuropeptiden und Neurotransmittern ist von der Art der verstoffwechselten Nahrung und dem jeweiligen Resorptionsort im Magen-Darm-Trakt abhängig. So scheint die dauerhafte Gewichtsreduktion nach Roux-Y-Magenbypässen mit einem geänderten Gallesäurestoffwechsel zusammenzuhängen, was wiederum über den Transkriptionsfaktor FXR den Energiestoffwechsel beeinflusst. PFEIFFER ging auch auf die Bedeutung des glykämischen Index von Kohlenhydraten und unterschiedliche Wirkungen von pflanzlichem und tierischem Protein auf die Glukagonfreisetzung ein.
Reizdarm
Zwei Vorträge waren dem gereizten Darm gewidmet. Dr. Katharina HOTFIEL, Erlangen, ging auf die Klassifizierung des Reizdarms, auch Irritable Bowel Syndrome (IBS), ein und beschrieb das diagnostische und therapeutische Vorgehen. Nach wie vor sind Pathogenese und Pathophysiologie nicht vollständig geklärt. Wichtige Faktoren scheinen eine Überaktivierung der Mastzellen in der Darmschleimhaut sowie die Regulation der tight junctions und damit der Permeabilität des Darmzellepithels zu sein. Eine Beteiligung des Mikrobioms wird intensiv erforscht. Auch eine Fehlregulation des Zusammenspiels zwischen enterischem und Zentralnervensystem mit Überaktivierung eines postulierten emotional arousal networks werden diskutiert.
Klinische Erfahrungen für die Therapie des IBS mit einer Ernährung, die arm an fermentierbaren Oligo-, Di- und Monosacchariden sowie Polyolen (FODMAPs) ist, schilderte Dr. Marco WEBER, Jena. Die Führung eines Symptomtagebuchs ist wichtig für die Eingrenzung der individuell problematischen FODMAPs, die dann bei der Ernährungsumstellung berücksichtigt werden. Damit kann der Gefahr einer einseitigen Ernährung durch pauschale Meidung aller FODMAPs begegnet werden. Letztlich wurde die Low-FODMAP-Diät2 als diagnostische Diät konzipiert und nicht als Dauer-Ernährungsform.
Weizen/Gluten
Während die Pathogenese des Reizdarms teilweise noch unverstanden ist, sind die Auslöser von Zöliakie, Bäckerasthma, Weizenallergie und der seltenen bewegungsinduzierten Anaphylaxie nach Weizenverzehr (WDEIA) bereits gut charakterisiert3; auch die Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität wird zunehmend besser verstanden. Dr. Katharina SCHERF, Freising, erläuterte die Pathomechanismen des weizen-sensitiven Darms und betonte, dass entgegen aller Weizen- und Brot-Bashing-Publikationen der Verzehr von Weizenprodukten für rund 95 % der Bevölkerung unproblematisch und – besonders in Form von Vollkornprodukten – ernährungsphysiologisch positiv zu bewerten ist.
Darmkrebs
Der Vortrag von Prof. Anna KIPP, Jena, war der (Darm)Krebsprävention gewidmet. Sie ging auf die Problematik ein, dass Humanstudien und Zellkulturversuche oft zu uneinheitlichen Befunden zum präventiven Potenzial bestimmter Nahrungsinhaltsstoffe kommen. Am Beispiel des Spurenelements Selen wird dies deutlich: Als Antioxidans kann es einerseits die Entstehung von entzündungsbedingten Krebszellen reduzieren. Bereits etablierte, durch Mutationen ausgelöste Krebszellen können andererseits von einer Selenzufuhr profitieren.
Forschungsansätze
Sophie FEHLBAUM, Basel, stellte zum Abschluss industrielle Forschungsansätze im Bereich Ballaststoffe, Prä- und Probiotika mit dem Ziel der gezielten Modulation des Mikrobioms vor.
1 => Blaut M. Ernährungsabhängige Einflüsse der intestinalen Mikrobiota. Ernährungs Umschau (12/2015) ab S. M704.
2 Zur Kontroverse um die Low-FODMAP-Diät: => Ernährungs Umschau 9/2015; Leserbriefe 12/2015
3 Die Beiträge „Weizen und verwandte Getreide als Krankheitsursache – botanische Grundlagen“ sowie „Allergien und Intoleranzen auf Weizen und verwandte Getreide“ sind unter => www.ernaehrungsumschau.de frei verfügbar.
26. Ernährungsfachtagung der DGE-Sektion Thüringen:
„Warum essen wir, was wir essen? Ernährungsformen und -ideologien auf dem Prüfstand“
8. November 2018, Jena
Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 1/2018 auf Seite M6.