Tagungsbericht: Update Ernährungsmedizin 2024
- 14.01.2025
- Print-News
- Sabine Schmidt
- Udo Maid-Kohnert
Die Rolle der Ernährungstherapie beim Lipödem
Das Lipödem wird auch als Krankheit beschrieben, „die jeder sieht, aber keiner kennt“, leitete Prof. Thomas Witte von der LipoClinic seinen Vortrag zum Krankheitsbild Lipödem ein. Es handelt sich um eine krankhafte Vergrößerung und Vermehrung von Fettzellen an den Gliedmaßen und am Gesäß. Der weit überwiegende Anteil der Betroffenen sind Frauen. Das Hauptproblem der Patient*innen sei dabei nicht, wie viele denken würden, die Optik stark verfetteter Arme und Beine und die damit verbundenen Probleme. Vielmehr seien es Schmerzen in den betroffenen Geweben, dazu ein starkes Schweregefühl, „als ob Säcke an den Beinen hingen“, die psychisch schwer auszuhalten seien, klärte Witte auf. Dazu kämen auf psychischer Seite noch die starke Stigmatisierung durch das Umfeld der Patient*innen, die Scham, Unsicherheit und Schuldgefühle auslösen.
Da es zurzeit kaum aussagekräftige Möglichkeiten apparativer Diagnostik für das Lipödem gibt, kommt es v. a. auf eine ausführliche Anamnese und körperliche Untersuchung auf typische Fettansammlung und -verteilung an. Ein wichtiger Baustein der konservativen Therapie sei die Kompressionstherapie mit speziellen Kompressionsstrümpfen bzw. -strumpfhosen, dazu manuelle Lymphdrainage und Thromboseprophylaxe, erläuterte Witte. Die fachgerechte Operation in einem dafür spezialisierten Zentrum sei bei Lipödem eine wichtige und gute Option. Die erkrankten Fettzellen werden dabei abgesaugt, sodass die betroffenen Extremitäten nach der mehrwöchigen Heilungsperiode deutlich dünner sind und sich in der Mehrzahl der Fälle auch nicht mehr in dem Ausmaß verdicken – vorausgesetzt die Operation wird sorgfältig durchgeführt. Sie wird allerdings erst in ausgeprägten Stadien des Lipödems von der Krankenkasse bezahlt. Eine Nachsorge nach der OP mit den Bestandteilen der konservativen Therapie ist unerlässlich.
Eine wichtige Rolle im Rahmen der Therapie spielt auch die Ernährungstherapie, über die die Ernährungstherapeutin in eigener Praxis Andrea Barth berichtete. Übergewicht übe zusätzlichen Druck auf das Gewebe aus, was die Symptome verschlimmere. Daher sei ein gutes Gewichtsmanagement entscheidend für einen positiven Verlauf.
Wenn Patient*innen mit Abnehmwunsch in die Praxis kämen, erläuterte Barth, sei es nicht leicht, ein Lipödem zu erkennen. Typische Symptome seien z. B. ein im Vergleich zu den Extremitäten schlankes Gesicht, die Körperproportion mit stark betonten Extremitäten im Vergleich zum eher schlanken Rumpf oder auch ein Nachziehen der Beine beim Gehen. Schmerzen sollten konkret abgefragt werden, um die Vermutung zu erhärten, und den Patient*innen sollte bei Verdacht eine ärztliche Abklärung empfohlen werden.
Wenn ein Lipödem diagnostiziert ist, ändere das die Vorbedingungen für die Therapie. Die Patient*innen seien durch ihren Werdegang und die durch die Krankheit stark erschwerte Gewichtsabnahme oft noch stärker frustriert und verunsichert als Adipositaserkrankte. Eine alleinige Umstellung der Ernährung verbunden mit Bewegung reiche für die Therapie des Lipödems nicht aus, die weiteren von Prof. Witte vorgestellten Therapiebausteine müssten zwingend wahrgenommen werden, um eine Besserung zu erreichen. „Ein Lipödem kann man nicht weghungern oder wegtrainieren. Es gibt auch anorektische/essgestörte oder durchtrainierte Patient*innen mit Lipödem“, zeigte Barth.
Das Wichtigste sei daher, zunächst den Druck herauszunehmen, schnell abnehmen zu müssen. Da viele Gerüchte kursieren und wenig konkretes Wissen zum Lipödem verbreitet ist, sei die Aufklärung der Patient*innen über die Krankheit und die Ernährungszusammenhänge ebenfalls von großer Bedeutung, ebenso die Unterstützung zur Stärkung der Motivation und des Selbstwerts. Auch Grenzen des Selbstmanagements durch die Krankheit sollten besprochen werden.
Die aktuelle S2k-Leitlinie Lipödem [1] gibt aufgrund schwacher Studienlage keine Empfehlung für die in Medien empfohlene ketogene Ernährung und auch nicht für eine mediterrane Ernährung. Ernährung und Energiebedarf sollten laut Leitlinie mithilfe der Ernährungstherapie individuell analysiert und die Ernährung gemeinsam energieangepasst gestaltet werden. Eine antientzündlich wirkende Ernährungsweise sei zu bevorzugen. Patient*in und Therapeut*in müssen sich dabei bewusst sein, so Barth, dass eine Gewichtsabnahme zäher und schwieriger als bei Adipositas sei, da nur die nicht erkrankten Fettzellen auf das geringere Energieangebot reagieren. Auch die Anregung zu mehr Bewegung sollte motivierend und dabei einfühlsam und ausdauernd sein.
Fettstoffwechselstörungen und Diabetes
Anhand von Fallbeispielen machte Prof. Stefan Lorkowski von der Universität Jena deutlich, dass die Ernährungstherapie von Fettstoffwechselstörungen individuell die betroffene Person und deren gesamtes Ernährungsverhalten berücksichtigen muss und es durchaus individuelle Unterschiede in der Stoffwechselreaktion bei externer Cholesterinzufuhr gibt. Zum Beispiel kann eine Reduktion des Eierverzehrs trotz (oder gerade aufgrund) des genetisch determinierten Cholesterinstoffwechsels durchaus Sinn machen, wenn im konkreten Fall „Eier essen“ immer bedeutet: Rührei mit Speck und gebuttertem Toast.
Ebenfalls um das Thema Hypercholesterinämie ging es im Vortrag Hohes Cholesterin: Ernährung oder Medikamente? von Prof. Andrea Baessler, Universitätsklinikum Regensburg. Sie legte den Schwerpunkt auf die geschlechtsspezifischen Besonderheiten der medikamentösen Therapie und mahnte mehr Studien zu dieser Thematik an. Denn abhängig vom Geschlecht haben Risikofaktoren für Herzerkrankungen unterschiedliche Auswirkungen. Während Männer mit Bluthochdruck, Übergewicht und Diabetes ein um den Faktor 2–3 höheres Risiko für eine Herzerkrankung aufweisen, beträgt der Faktor bei Frauen 3–5.
Einen Über- und Ausblick zum technischen Stand von Glukosesensoren in der Ernährungstherapie des Diabetes gab Prof. Christian Sina, Universitätsklinikum Schleswig- Holstein. Hier gibt es vielversprechende Ansätze in Richtung nichtinvasiver Sensoren, die mittels KI-basierter Algorithmen Betroffenen das Diabetes-Management auch mittels personalisierter Ernährungsempfehlungen stark erleichtern können.
E-Zert – eine Zertifizierungsplattform für Ernährungsfachkräfte
Zum Abschluss stellte Sandra Strehle, Praxis für Ernährungstherapie Gerstetten-Gussenstadt, die Plattform E-Zert für Ernährungsfachkräfte vor. Auf der derzeit von den Verbänden VDD, VDOE, QUTHEB und UGB getragenen Plattform können in der Ernährungstherapie tätige Ernährungsfachkräfte ihre Qualifikation für Patient*innen, überweisende Ärzt*innen und Kostenträger anhand eines einheitlichen Zertifizierungsverfahrens nachweisen und sind z. B. über eine Postleitzahlsuche schnell auffindbar. Die einfache Bestätigung der Teilnahme am Ernährungsmedizin Update konnten die Teilnehmer*innen gleich nutzen.
Mehr Informationen zum Thema E-Zert finden Sie ab Seite M30 in diesem Heft.
Literatur
1. Deutsche Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie e. V.: S2K-Leitlinie Lipödem, 5.0, 2024, https://register. awmf.org/de/leitlinien/detail/037-012 (last accessed on 12 December 2024).
⇒ Das Update Ernährungsmedizin ist eine Fortbildungsveranstaltung, die sich an Ernährungsmediziner*innen und Ernährungsfachkräfte wendet und jährlich im Oktober von der Technischen Universität München in Zusammenarbeit mit der Hochschule Fulda angeboten wird.
Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 1/2025 auf den Seiten M8 bis M9.