Verbraucherverhalten: Kritisches Medienecho zum „Ernährungsreport 2018“
- 15.02.2018
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- Redaktion
Mit einer sehr guten Note für die Deutschen und ihr Essen veröffentlichte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Anfang Januar seinen nunmehr 3. „Ernährungsreport“. Die Deutschen sind demnach „ein Volk von Köchen“, „übernehmen Verantwortung“ und sind bereit, einen höheren Preis für Lebensmittel zu bezahlen, wenn die Tiere „besser gehalten worden sind, als das Gesetz es vorschreibt“.
Der Ernährungsreport basiert auf einer repräsentativen Telefonbefragung des forsa-Instituts von ca. 1 000 Teilnehmern ab 14 Jahren. Die Medien berichteten – z. T. noch am gleichen Tag – u. a. mit „Deutsche wollen Tierwohl und regionale Lebensmittel“ (Süddeutsche Zeitung) oder „Befragte möchten sich gesund ernähren“ (Verbraucherzentrale Niedersachsen).
Den ersten Meldungen gegenüber stand eine Reihe kritischer Reaktionen, beginnend mit Spiegel Online: In „Die Maulhelden“ bezweifelt dieser die positiven Einschätzungen zum Ernährungsverhalten der Deutschen, z. B. zur hohen Motivation, Fleisch aus artgerechterer Tierhaltung zu kaufen. Laut dem Report wären 90 % der Deutschen bereit, für solches Fleisch „einen höheren Preis“ zu bezahlen. Der Spiegel gibt zu Bedenken, dass es auch heute schon möglich ist, solches Fleisch zu kaufen, der Bioanteil beim Kauf von Schweine-, Rind- und Geflügelfleisch aber laut Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) noch deutlich unter 5 % liegt.
Woher kommt diese extreme Diskrepanz? Zu berücksichtigen ist, dass es in der Befragung gar nicht um die ökologische Tierhaltung geht, sondern nur um eine Tierhaltung, in der die Tiere „besser gehalten worden sind, als das Gesetz es vorschreibt“, d. h. konkret um das im Ministerium entwickelte „Tierwohllabel“, durch das Verbrauchern mit leicht erhöhten Haltungsstandards die konventionelle Landwirtschaft ein bisschen schmackhafter gemacht werden soll. Die Vorgaben des Tierwohllabels sind bei weitem nicht so streng wie die der ökologischen Landwirtschaft und werden dafür von Tierschutzorganisationen kritisiert. Seine Einführung ist überdies noch nicht vollzogen, sondern für „frühestens ab 2018“ geplant.
Auch foodwatch kritisiert in die gleiche Richtung: „Selbst dort, wo die Umfragen Ansatzpunkte für konkretes Handeln liefern, bleiben sie folgenlos: Es ist bekannt, dass sich die Menschen eine bessere Kennzeichnung oder eine gute Tierhaltung in der Landwirtschaft wünschen – doch genau hier wird Minister SCHMIDT gar nicht aktiv oder bringt lediglich Scheininitiativen auf den Weg.“ Ganz deutlich wird schließlich der Deutsche Diabetes Bund (DDB): „Der aktuelle Ernährungsreport 2018 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) spiegelt nach Auffassung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in keiner Weise die Ess- und Ernährungsgewohnheiten der deutschen Bevölkerung wider.“ Er liefere „belanglose Zahlen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben“, so Prof. Dr. Dirk MÜLLER-WIELAND, Präsident der DDG. Der Report verfolgt laut DDG „offenbar das Ziel, die eigenen politischen Interessen zu untermauern“.
Kommentar der Redaktion: (scs) Mit der z. T. unkritischen Berichterstattung der Tagespresse erfüllt sich offensichtlich das Ziel des BMEL, die von ihm gewünschten Inhalte unters Volk zu bringen. Der Eindruck der DDG, dass der Report lediglich die politischen Interessen des Ministers untermauern soll, verfestigt sich, je weiter man die Aussagen des BMEL mit den Ergebnissen der forsa-Befragung abgleicht.
Hierzu einige Beispiele:
• Aus dem Ergebnis „43 % der Menschen in Deutschland essen regelmäßig außer Haus“ leitet BM SCHMIDT ab: „Wir müssen dafür sorgen, dass noch mehr Einrichtungen die Qualitätsstandards für die Gemeinschaftsverpflegung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung einführen.“ Die 43 % sind im Bericht schwierig nachzuvollziehen. Sind es die 23 %, die sich einmal pro Woche oder häufiger etwas beim Imbiss/Snack o. ä. holen plus die 20 %, die gleich oft in einem Restaurant essen? Beides hat gar nichts mit den politischen Forderungen zum Qualitätsstandard der DGE zu tun, der sich auf die Gemeinschaftsverpflegung in Kitas, Schulen, Kantinen etc. bezieht. Wie Schmidt „dafür sorgen“ will, lässt er unklar, eine verpflichtende Einführung, wie von Institutionen gefordert, wurde bisher von Ministeriumsseite nicht angesprochen.
• Laut Ernährungsreport kochen 31 % der Männer „so gut wie jeden Tag“, weitere 42 % 2- bis 3-mal pro Woche. 72 % (!) der deutschen Männer kochen also mehrfach in der Woche selbst, dazu 56 % der 14- bis 18-Jährigen. Man braucht noch nicht einmal die von Spiegel Online zitierte Studie der GfK (Gesellschaft für Konsumforschung), nach der nur 34 % der Deutschen regelmäßig kochen, um diese Zahlen anzuzweifeln.
• Das BMEL berichtet, dass 42 % der Bürger sich via Onlinerecherche über Lebensmittel informieren. Aus der Befragung ergibt sich allerdings nur, dass 42 % sich irgendwann schon einmal in ihrem Leben online zu einem Lebensmittel informiert haben, Häufigkeiten wurden nicht abgefragt. Aus solchen Zahlen schließt SCHMIDT: „Die Menschen wünschen sich klare und neutrale Informationen. Mit dem Bundeszentrum für Ernährung habe ich im vergangenen Jahr eine zentrale Einrichtung für eine alltagstaugliche, wissenschaftsbasierte Ernährungskommunikation geschaffen.“ Dass Verbraucher sich neutrale Informationen wünschen, ist natürlich zu vermuten, wurde aber nicht konkret abgefragt. An diesem Beispiel sieht man besonders klar, wie der „Ernährungsreport“ v. a. dahingehend interpretiert wird, die Ideen und Projekte von Minister SCHMIDT zu rechtfertigen. Dazu ein letztes Beispiel:
• „Neun von zehn Deutschen (91 %) sehen den Ernährungsunterricht in der Schule auf einer Stufe mit Fächern wie Mathematik, Deutsch oder Englisch.“ Schmidt folgert: „Ernährungsbildung gehört fest verankert in die Stundenpläne - am besten als eigenes Schulfach.“ Letzteres ist ein Steckenpferd des Ministers (obwohl die Lehrpläne Sache der Länder sind, er da also wenig bewirken kann). Die Befragten kreuzten aber lediglich an, dass Grundlagen der Ernährung in der Schule ähnlich wichtig sind wie bestimmte Hauptfächer, von einem eigenen Fach ist nicht die Rede. Erstaunlich, dass das überhaupt jemand verneint hat in einer Befragung zur Ernährung.
Tatsächlich gibt es auch einzelne ganz interessante Ergebnisse der Umfrage, z. B. dass erst 1 % der Bundesbürger Lebensmittel online kaufen, und dies meistens haltbare hochwertige Produkte wie Tee oder Kaffee sind – eine gute Nachricht für den Lebensmittelhandel. Hierfür bräuchte es aber keinen eigenen „Report“.
Quellen:
- BMEL veröffentlicht Ernährungsreport 2018. URL: www.bmel.de/DE/Ernaehrung/_Texte/Ernaehrungsreport2018.html Zugriff 25.01.18
- forsa. So will Deutschland essen. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung. 13.11.2017 URL: www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ernaehrung/Forsa_Ernaehrungsreport2018.pdf?__blob=publicationFile Zugriff 25.01.18
- Deutsche wollen Tierwohl und regionale Lebensmittel. Süddeutsche Zeitung online, 03.01.2018
- Ernährungsreport 2018: Befragte möchten sich gesund ernähren. Verbraucherzentrale Niedersachsen, 04.01.2018
- Ernährungsreport 2018. Die Maulhelden. Spiegel Online 03.01.2018
- BMEL-Ernährungsreport 2018. Landwirtschaftsminister Schmidt entzieht sich mit belanglosen Zahlen der politischen Verantwortung. Deutsche Diabetes Gesellschaft, Pressemeldung vom 16.01.2018
- Presse-Statement: foodwatch zum Ernährungsreport von Bundesagrarminister Christian Schmidt. foodwatch, 03.01.18. URL: www.foodwatch.org/de/presse/pressemitteilungen/presse-statement-foodwatch-zum-ernaehrungsreport-von-bundesagrarminister-christian-schmidt/ Zugriff 25.01.18
- Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW): Zahlen, Daten, Fakten. Die Biobranche 2017. URL: www.boelw.de/fileadmin/pics/Bio_Fach_2017/ZDF_2017_Web.pdf
Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 2/2018 auf Seite M66-M67.