Diabetes-Distress: Diabetes mellitus: eine häufig unterschätzte psychische Belastung

Täglich erkranken etwa 1 600 Menschen in Deutschland neu an Diabetes mellitus. Die Diagnose verändert den Alltag der Betroffenen schlagartig: Sie müssen auf die Ernährung achten, regelmäßig den Blutglukosewert messen und sich mit Diabetes-Medikamenten oder Insulin versorgen.

PatientInnen müssen ihre Therapie selbst managen und tragen eine große Verantwortung, ob sie gelingt. „Dies stellt hohe psychische Anpassungsanforderungen an die Betroffenen“ [1], erklärt Dr. phil. Andrea Benecke, Expertin des Verbands der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD), Psychologische Psychotherapeutin und Psychodiabetologin aus Mainz.
Die Diagnose wird von vielen PatientInnen (44 %) als Einschränkung ihrer Lebensqualität empfunden. Dies entspricht etwa auch der Anzahl an Personen, die unter einem sog. „Diabetes-Distress“ leiden: Eine negative emotionale Erfahrung, die mit Gefühlen wie Schuld, Scham, Versagen, Selbstzweifel, Angst und Hoffnungslosigkeit verbunden ist. Laut Benecke ist Distress ein emotionaler Zustand als Reaktion auf alltägliche Herausforderungen, der in eine therapeutische Vermeidungshaltung münden kann. „Nicht erkannt und unbehandelt kann sich dieser Zustand allerdings chronifizieren und in eine manifeste Depression münden. Gleichzeitig droht die Gefahr, dass durch eine damit einhergehende Therapieverweigerung diabetische Folgeerkrankungen auftreten.“ Entscheidend sei, dass das Diabetesteam Betroffene frühzeitig identifiziert und gegenlenkt. Aber auch PatientInnen sollten auf erste Anzeichen bei sich achten.
Ein erstes Anzeichen für einen Diabetes-Distress kann ein unmotivierter Umgang mit der Diabetestherapie sein. „Der Patient wirkt ausgebrannt oder sogar wütend und tut weniger für seine Selbstfürsorge“, führt VDBD-Vorstandsmitglied und Diabetesberaterin Yvonne Häusler aus. Besonders gefährdet sind Menschen mit einem neu diagnostizierten Diabetes, sowie Jüngere, weibliches Geschlecht, Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit und mit einem erhöhten Body-Mass-Index (BMI). Kommen noch Diabeteskomplikationen hinzu oder erhält der/die Betroffene wenig Unterstützung aus dem sozialen Umfeld, erhöht dies noch einmal die Wahrscheinlichkeit für Diabetes-Distress. In Diabetes-Schwerpunktpraxen und Kliniken, die auf Diabetes spezialisiert sind, können Betroffene aufgefangen werden. Diese erfahrenen Teams aus Diabetesberaterinnen und -beratern helfen, diesen Teufelskreis aus Angst, Hilflosigkeit und Vermeidung zu durchbrechen. „Das Diabetesteam sollte nicht erst warten, bis der HbA1c-Wert erhöht ist, sondern bereits ab der Neudiagnose sensibel auf die Gefühle und Ängste der Betroffenen reagieren.“ Wichtig sei es, immer im Gespräch zu bleiben und über die Laborwerte hinaus, das persönliche Befinden der Patientinnen und Patienten im Blick zu behalten. Die Gesprächsführung sollte lösungs- und perspektiv-orientiert sein, Verständnis zeigen und Vertrauen aufbauen. „Sorgen und Ängste sollten in Hoffnung und Zuversicht umgewandelt werden“, ergänzt Benecke.

Literatur
1. Clever SN, Baulig S, Benecke A: Psychologische Herausforderungen bei Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes. Diabetologie und Stoffwechsel 2021; 16(5): 409–18m.

Quelle: Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD), Pressemeldung vom 10.11.2022



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 2/2023 auf Seite M71.

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