Autoimmunerkrankung: Ernährung als Risikofaktor für Multiple Sklerose

Multiple Sklerose (MS) ist eine autoimmune, chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Das Immunsystem greift gesunde Nervenzellen an, sodass diese fortlaufend absterben. Die häufigsten Frühsymptome sind vorübergehende Empfindungsstörungen, Sehstörungen und Muskellähmungen. Von MS sind weltweit rund 2,8 Mio. Menschen betroffen, davon mehr als 250 000 in Deutschland. Die Prävalenz nimmt deutlich zu, v. a. bei jungen Erwachsenen und Frauen. Neben genetischen Faktoren können auch Umweltfaktoren wie die Ernährung den Verlauf der chronisch-entzündlichen Erkrankung beeinflussen.

Laut Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Schuppan, Direktor des Instituts für Translationale Immunologie der Universitätsmedizin Mainz und Professor an der Harvard Medical School, ist bekannt, dass bestimmte Weizenproteine entzündliche Reaktionen hervorrufen können, wie es z. B. bei der Zöliakie der Fall ist.
Nun konnte ein Forschungsteam der Universitätsmedizin Mainz im Tiermodell [1] und der anschließenden klinischen Pilotstudie [2] zeigen, dass eine weizenhaltige Ernährung die Schwere einer Multiple-Sklerose-Erkrankung (MS) fördern und Erkrankungen des ZNS beeinflussen kann. Verantwortlich dafür sind jedoch nicht Glutenproteine, sondern sog. Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI), natürliche Proteine, die in Getreiden wie Weizen, Gerste und Roggen vorkommen.
Die initiale Untersuchung des Forschungsteams im Tiermodell ergab, dass sich bei einer Ernährung, die 25 % Weizen enthält, die Symptome der MS stark verschlechtert haben im Vergleich zur gleichen, aber weizenfreien Ernährung. Diese Ergebnisse ließen sich auch mit einer minimalen Menge ATI-Proteine (0,15 % des Futtergewichts), nicht aber mit einer großen Menge an Glutenproteinen (5 % des Futtergewichts) reproduzieren.
Die Ergebnisse konnte das Forschungsteam in einer klinischen Pilotstudie bestätigen, an der Patient*innen mit mittelgradig schwerer und gering aktiver MS teilnahmen. Eine Studiengruppe hielt sich drei Monate lang an eine weizenreduzierte Diät, während die andere Gruppe ihre weizenhaltige Ernährung weiterführte. Nach den drei Monaten wechselten die Gruppen für weitere drei Monate zur jeweils anderen Diät. Die MS-Betroffenen berichteten während der weizenfreien Diät von signifikant weniger Schmerzen. Ebenso konnten weniger entzündliche Immunzellen in ihrem Blut gemessen werden. Dabei spielen sog. ATI-Proteine eine große Rolle. ATI-Proteine werden kaum verdaut und verursachen leichte Entzündungsreaktionen im Darm. Durch ATI aktivierte Entzündungszellen und Botenstoffe können aus dem Darm über den Blutkreislauf in andere Teile des Körpers transportiert werden und damit bestehende Entzündungsprozesse in Organen wie der Leber oder der Lunge und sogar im ZNS fördern. Dadurch können die ATI-Proteine die Erkrankungssymptome bei einer MS verstärken.
„Unsere Studien belegen, wie wichtig die Ernährung, ihre Wechselwirkungen mit dem Darmmikrobiom und dem Darmimmunsystem für die Gesundheit ist. Eine weizenfreie Ernährung kann die Schwere einer MS, wie auch anderer entzündlicher Erkrankungen mildern. […]“, betont Prof. Schuppan.

Literatur
1. Zevallos VF, Yogev N, Hauptmann J, Nikolaev A, Pickert G, Heib V: Dietary wheat amylase trypsin inhibitors exacerbate CNS inflammation in experimental multiple sclerosis. Gut 2023; 73(1): 92–104.
2. Engel S, Klotz L, Wirth T, Fleck AK, Pickert G, Eschborn M: Attenuation of immune activation in patients with multiple sclerosis on a wheat-reduced diet: a pilot crossover trial. Ther Adv Neurol Disord 2023;16: 17562864231170928.

Quelle: Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Pressemeldung vom 18.01.2024



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 4/2024 auf Seite M188.

Das könnte Sie interessieren
Medienumschau 12/2024 weiter
Gesundheitliche und soziale Folgen hängen vom Wohnort ab weiter
„Was isst Bayern?“ weiter
Anhand der Gene vorhersagen, ob eine Ernährungsumstellung helfen kann weiter
Neuer Test verbessert Diagnose von Allergien weiter
Pflanzenbasierte Ernährung – Mehr als nur ein Trend? weiter