Junge Forschung: Social Media und der Einfluss auf die Gesundheitskompetenz

  • 15.04.2024
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Alisia Schrieder, Hanna Schwendemann

Hintergrund
Gesundheitskompetenz (GK) umfasst die Fähigkeit, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, zu verstehen, sie zu bewerten und auf die eigene Gesundheit anzuwenden [1]. Inadäquate GK hat z. B. negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand und das -verhalten [2]. Über 50–65 % der deutschen Erwachsenen weisen eine „problematische“ oder gar „inadäquate“ GK auf, auch die Ernährungskompetenz liegt auf niedrigem Niveau [2, 3]. Negativen Einfluss auf die GK haben u. a. niedriger sozioökonomischer Status, das Alter (Personen zwischen 18–29 und ab 65 Jahren) oder ein Migrationshintergrund [2]. GK resultiert, laut Nutbeam, aus Gesundheitsbildung und -kommunikation [4]. Eine wichtige Aufgabe von Gesundheitspolitik und Ernährungsfachkräften ist, angemessene Wege zu finden, um Gesundheitsinformationen an Bedarfsgruppen heranzutragen und ihnen damit zu einer höheren GK durch Bildung und Kommunikation zu verhelfen.
Das Internet stellt die meistgenutzte Quelle zur Suche nach gesundheitsbezogenen Informationen dar [5]. 2021 nutzten über 57 Mio. Deutsche Soziale Medien [6]. Das Potenzial Sozialer Medien liegt v. a. darin, gesundheitsrelevante Informationen niederschwellig an große Teile der Bevölkerung heranzutragen [7]. Angesichts der teilweise niedrigen Gesundheitskompetenz in Deutschland besteht dringend Handlungsbedarf. Soziale Medien könnten hierbei ein Transportmedium sein, um dem entgegenzuwirken. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit Soziale Medien zur Kompetenzförderung der Bürger*innen eingesetzt werden können.

Methodik
Zur Beantwortung der Fragestellung wurde im Zeitraum von April bis Mai 2022 eine Account- Analyse auf Instagram, Facebook und YouTube mithilfe einer Bewertungsskala durchgeführt (MARS-G, ein Tool zur systematischen und objektiven Qualitätsbewertung von mobilen Gesundheitsapps [8]). MARS-G dient der Evaluation von Gesundheitsapps und misst u. a. Informationsqualität, Engagement und Ästhetik. Eine Modifikation der Skala diente der Anwendbarkeit auf Accounts innerhalb der Apps, z. B. Instagram. Hierzu wurden u. a. einzelne Items auf die Rahmenbedingungen angepasst und in der Wortwahl der Skala geändert (z. B. „Account“ statt „App“) und Items zur Bewertung der Aktivität ergänzt. Die Adaption, inklusive Testlauf, ermöglichte so die Analyse einzelner zufällig ausgewählter Accounts. Mittels Schlagwortsuche (z. B. Gesundheit, Ernährung) auf den genannten Plattformen und dem Wegweiser der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sowie vorab definierter Ein- und Ausschlusskriterien wurden zu analysierende Accounts gefunden. Insgesamt erfolgte eine Bewertung von insgesamt 19 institutionellen sowie Influencer*innen-Accounts. Die analysierten institutionellen Accounts waren neben staatlichen wie das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) auch öffentliche sowie gemeinnützige Organisationen wie der Krebsinformationsdienst, die Deutsche Herzstiftung, aber auch diverse Krankenkassen (AOK, Barmer, DAK Gesundheit). Bewertet wurden 6 Sektionen mit je 3 bis 5 Items mittels einer 5-Punkte- Skala: A (Engagement), B (Aktivität), C (Ästhetik), D (Information), E (subjektive Qualität) und F (zusätzliche Angaben). Pro Item konnten max. 5 Punkte vergeben werden (• Tabelle 1). Ergänzend diente eine Online-Umfrage unter Social-Media-Nutzenden im Alter von 13–65 Jahren (n = 103) der Ermittlung subjektiver Einschätzungen zu GK im Internet und Sozialen Medien. Die Datenanalyse erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse, die quantitativen Daten wurden mittels PSPP (Version 1.6.2) ausgewertet.

Ergebnisse
Alle bewerteten Accounts fokussieren die Bereitstellung von gesundheitsrelevanten Informationen, Tipps und Ratschlägen. Die Verbesserung des Wohlbefindens, die Unterstützung bei Verhaltensänderungen sowie die Förderung gesunder Ernährung und Bewegung werden adressiert. Hierbei unterscheiden sich die Accounts von Influencer*innen und Institutionen deutlich. In der Bewertung durch die MARS-G-Skala erzielen die Influencer*innen-Accounts in vielen Sektionen höhere Punktzahlen (• Tabelle 1). Sie zeichnen sich durch hohe Reichweiten, eine hohe Social-Media- Aktivität (13 von 19 Accounts) und visuell ansprechende Inhalte (13 Accounts) aus. Ihre Schwäche liegt in der fraglichen oder gänzlich fehlenden wissenschaftlichen Fundierung der verbreiteten Inhalte (3 Accounts). Die Stärke der Institutionen wiederum war, dass deren Inhalte mit Quellenangaben belegt wurden (10 Accounts). Zu beobachten war v. a. eine geringere Aktivität (5 Accounts) und Interaktion der Institutionen im Vergleich zu Influencer*innen-Accounts (13 Accounts). Insbesondere bezüglich der Auswirkungen auf Wissen, Einstellungen und Verhaltensänderung hatten Influencer*innen höhere Scores (zusätzl. Angaben = 15 Accounts).
Die Auswertung der Online-Umfrage ergab, dass die Plattformen viele Möglichkeiten zur aktiven Suche und Auseinandersetzung mit gesundheitsbezogenen Themen bieten, es jedoch Fähigkeiten der kritischen Bewertung der Inhalte seitens der befragten Nutzenden bedarf. Ein kritischer Umgang mit gesundheitsbezogenen Inhalten findet seitens der meisten Befragten (85,5 %) bereits statt, jedoch wünschen sie sich weitere Förderung, um zuverlässige von fragwürdigen Informationen unterscheiden zu können.

Tab. 1: Anzahl der Accounts mit höchsten Wertungen (4 Punkte und mehr), n = 19
Tab. 1: Anzahl der Accounts mit höchsten Wertungen (4 Punkte und mehr), n = 19

Diskussion
Die Ergebnisse dieser ersten orientierenden Bewertung zeigen, dass Influencer*innen v. a. durch Nahbarkeit, starke Präsenz und leichte Sprache Bürger*innen ansprechen. Ihre Informationsvermittlung ist jedoch stark emotional und meinungsbetont – hier spiegelt sich auch ein Gewinnstreben wider. Kommunikation und Inhalte der Institutionen sind dahingehend weitgehend neutral, objektiver und mit seriösen Quellen belegt, jedoch ist die Verständlichkeit erschwert. Grundsätzlich sind Institutionen und Fachkräfte auf den untersuchten Plattformen eher unterrepräsentiert. Aus der oftmals niedrigen Reichweite der Institutionen resultiert, dass deren Inhalte meist nicht genügend wahrgenommen werden und Soziale Medien in weiten Bereichen von Influencer*innen „beherrscht“ werden. Fehlende Qualifikationen und anekdotische „Evidenz“ bergen das Risiko für Falschinformationen [9, 10]. Die GK kann sich dadurch nicht adäquat ausbilden, Ernährungsverhalten wird durch Werbestrategien und affektive Aussagen beeinflusst [10, 11]. Daraus können beträchtliche Gefahren entstehen: falsche Körperideale, ungesunde Ernährungsweisen bis hin zu Depressionen und Essstörungen werden damit in Zusammenhang gebracht [12–14] – ein negativer Einfluss auch auf die Ernährungskompetenz. Ein Lösungsansatz wäre, die konstruktive Zusammenarbeit von Influencer*innenn und Institutionen, um hohe Reichweite, Nahbarkeit, Evidenzbasierung und Gesundheitskompetenzsteigerung zu vereinen. Vereinzelte funktionierende Beispiele existieren bereits u. a. mit der AOK und Doc Felix oder der Techniker Krankenkasse und dem Influencer Dr. Johannes Wimmer. Durch diese Kooperationen könnten die Stärken beider Anbieter genutzt [15] und eine sinnvolle Förderung der GK in der Bevölkerung angestrebt werden. Bei den Ergebnissen ist limitierend zu beachten, dass sie sich lediglich auf eine kleine Auswahl deutschsprachiger Accounts beziehen. Anzudenken wäre eine umfassendere repräsentative Analyse tragender Social-Media-Accounts im Bereich der GK, die jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreitet. Bei der Bewertung der Social-Media-Accounts mittels MARS-G kann trotz objektiver Vorgehensweise ein subjektiver Einfluss in der Bewertung durch die Autorinnen nicht ausgeschlossen werden.

Schlussfolgerung
Vor dem Hintergrund einer alarmierend niedrigen GK in der Bevölkerung, die nachweislich negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand hat, besteht dringender Handlungsbedarf, die GK und damit einhergehend die Ernährungskompetenz in der deutschen Bevölkerung zu stärken [2, 16]. Soziale Medien eröffnen neue Distributionswege für gesundheitsbezogene Informationen und Kommunikation. Durch sie kann zielgruppengerechte Gesundheitskommunikation stattfinden, die sich an den Bedürfnissen der Nutzer*innen orientiert [17]. Die untersuchten Plattformen können eine hilfreiche Rolle übernehmen, um zur aktiven Suche und Auseinandersetzung mit gesundheitsbezogenen Themen anzuregen. Als ergänzende Maßnahme zu weiteren Interventionen stellen sie ein niederschwelliges, effektives und kostengünstiges Medium dar [18, 19]. Es muss jedoch ein adäquater Umgang mit Fehlinformationen seitens viel verbreiteter Influencer*innen-Accounts gefunden werden. Die Kooperation zwischen institutionellen und professionellen Akteuren ist eine Strategie zur Schaffung einer adäquaten Basis zur positiven Entwicklung und Steigerung der Gesundheits- und Ernährungskompetenz.



Angaben zu Interessenkonflikten und zum Einsatz von KI
Die Autorinnen erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht und bei der Erstellung des Manuskripts keine KI-Anwendungen eingesetzt wurden.


 



M.A. Alisia Schrieder1
Prof. Dr. Hanna Schwendemann2
Prof. Dr. Sandra Pahr-Hosbach2

1 B.Sc. Ernährungsmanagement & Diätetik, M.A. Gesundheitsmanagement,
IU Fernhochschule Erfurt, Campus Bad Honnef
2 IU Fernhochschule Erfurt, Campus Bad Honnef


 

 

Literatur
  1. Sørensen K: Definitionen und Konzepte von Health Literacy – Überblick und Einordnung. In: Bollweg TM, Bröder J, Pinheiro P (eds.): Health Literacy im Kindes- und Jugendalter: Ein- und Ausblicke. Wiesbaden, Heidelberg: Springer VS 2020; 39–53.
  2. Jordan S, Hoebel J: Gesundheitskompetenz von Erwachsenen in Deutschland Ergebnisse der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA). Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2015; 58(9): 942–50.
  3. Schaeffer D, Berens E-M, Gille S, et al.: Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland vor und während der Corona Pandemie: Ergebnisse des HLS-GER 2. Universität Bielefeld, Interdisziplinäres Zentrum für Gesundheitskompetenzforschung 2021.
  4. Nutbeam D: Health literacy as a public health goal: a challenge for contemporary health education and communication strategies into the 21st century. Health Promot Int 2000; 15(3): 259–67.
  5. Horch K: Suche von Gesundheitsinformationen im Internet – Ergebnisse der KomPaS-Studie: Robert Koch-Institut 2021.
  6. Statista: Social network users in leading markets 2026. Statista. www.statista.com/statistics/278341/number-of-social-network-users-in-selected-countries/  (last accessed on 11 May 2022).
  7. Lindacher V, Loss J: Die Bedeutung sozialer Online-Netzwerke für die Gesundheitskommunikation. In: Rossmann C, Hastall MR (eds.): Handbuch der Gesundheitskommunikation: Kommunikationswissenschaftliche Perspektiven. Springer VS 2019; 185–96.
  8. Messner E-M, Terhorst Y, Barke A, et al.: The German version of the Mobile App Rating Scale (MARS-G): Development and Validation Study. JMIR Mhealth Uhealth 2020; 8(3): e14479.
  9. Rogers A, Wilkinson S, Downie O, Truby H: Communication of nutrition information by influencers on social media: a scoping review. Health Promot J Austr. 2022;33(3):657–76.
  10. Binder A, Matthes J: Ernährungsbotschaften in den Medien: Persuasive Strategien und deren Wirkungen auf Kinder. In: Godemann J, Bartelmeß T (eds.): Ernährungskommunikation: Interdisziplinäre Perspektiven – Theorien – Methoden. Springer VS 2021; 381–97.
  11. Coates AE, Hardman CA, Halford JCG, Christiansen P, Boyland EJ: Social Media influencer marketing and children‘s food intake: a randomized trial. Pediatrics 2019; 143(4): e20182554.
  12. Alonzo R, Hussain J, Stranges S, Anderson KK: Interplay between social media use, sleep quality, and mental health in youth: a systematic review. Sleep Med Rev 2021; 56: 101414.
  13. Deighton-Smith N, Bell BT: Objectifying fitness: a content and thematic analysis of #fitspiration images on social media. Psychol Pop Media Cult 2018; 7(4): 467–83.
  14. BLE: Ernährung im Fokus: Ernährungskommunikation. Bonn 2021.
  15. Bozzola E, et al.: Social media use to improve communication on children and adolescent‘s health: the role of the Italian Paediatric Society influencers. Ital J Pediatr 2021; 47(1): 171.
  16. Schaeffer D, Hurrelmann K, Bauer U, Kolpatzik K: Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz. Die Gesundheitskompetenz in Deutschland stärken. Berlin 2018.
  17. Shan LC, et al.: Interactive communication with the public: qualitative exploration of the use of social media by food and health organizations. J Nutr Educ Behav 2015; 47(1): 104–8.
  18. Al-Fayez W, Alanzi T: Social media use for health reasons among health information management and technology graduates from Imam Abdulrahman bin Faisal University. In: 2020 19th Distributed Computing and Applications for Business Engineering and Science: DCABES 2020, Xuzhou, Jiangsu, China, 16–19 October 2020 proceedings. Piscataway, NJ: IEEE 2020; 312–17.
  19. O‘Reilly M, Dogra N, Hughes J, Reilly P, George R, Whiteman N: Potential of social media in promoting mental health in adolescents. Health Promot Int 2019; 34(5): 981–91.


Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 4/2024 auf Seite M196 bis M197.

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