Unterschätzt
- 15.04.2025
- Print-News
- Udo Maid-Kohnert
„Danke, ich nehme nur ein Wasser“ – fast entschuldigend gebrauchen wir manchmal diesen Satz, wenn wir kein alkoholisches Getränk, keine Limonade oder keine Saftschorle trinken möchten. Und für Menschen in Ernährungsarmut ist es schambehaftet, wenn sie aus finanziellen Gründen „nur Wasser“ anbieten können.1
„Nur Wasser“ – dabei ist es das Lebensmittel ohne das gar nichts geht. In wärmeren Ländern steht es – als Zeichen der Gastfreundschaft – meist als erstes auf dem Tisch. Und sobald wir einmal richtig Durst haben, merken wir, wie gut nur Wasser „schmecken“ kann, ganz ohne Zusatz von Zucker, Sirup oder High-Tech-Geschmacksbeduftung.
Was denken (und wissen) Sie über Wasser? Diesem Fragenkomplex widmete sich unlängst eine Studie im Auftrag der Heinrich Böll Stiftung2 und konstatiert uns als Bevölkerung ein deutliches Ausmaß an „Wasserblindheit“ und ein – ich möchte fast sagen verbrauchertypisches – paradoxes Verhalten: Obwohl die Wertschätzung für das wichtige Gut Wasser hoch ist, gibt es „Grenzen auf der individuellen Handlungsebene: Relativ einfache, Geld sparende Wassermaßnahmen wie die Nutzung von Sparknöpfen bei Spül-/Waschmaschinen werden von fast der Hälfte nicht genutzt; auch hat nur ca. die Hälfte der Befragten besonders wassersparende Geräte gekauft.“ Auch die Themen Wasser-/Gewässerschutz und Klimawandel als Einflussfaktor auf die Verfügbarkeit von Trinkwasser werden gerne beiseitegeschoben.
Wasser kommt eben seit ca. 150 Jahren zumindest in größeren Gemeinden einfach immer aus dem Hahn, die deutsche Trinkwasserverordnung feierte im Januar dieses Jahres ihr 50. Jubiläum. „Läuft“ also alles in Sachen Wasser? Nicht unbedingt, wie der aktuelle Wasseratlas3 zeigt: Wasser(knappheit) ist Treiber und Druckmittel in internationalen Konflikten und in Deutschland und Europa bremsen Interessenkonflikte rund um die Wassernutzung Maßnahmen zum Gewässerschutz aus. In Deutschland sind mehr als die Hälfte der Oberflächengewässer in schlechtem oder sehr schlechtem Zustand. Wir können gespannt sein, ob die neue Bundesregierung hier aktiv wird und das Infrastruktur-Finanzpaket der neuen Bundesregierung auch zur Behebung dieser Missstände genutzt wird.
Unser Themenspecial nähert sich dem Lebensmittel Wasser aus zwei Richtungen: In einem warenkundlichen Beitrag von Inga Schneider ab Seite M255 und aus der politischen Perspektive im Beitrag von Uschi Eid ab Seite M248.
Nach der Lektüre werden Sie auf jeden Fall weniger „wasserblind“ sein und können Wasser mit noch mehr Wertschätzung genießen und – ob frisch gezapft, spritzig oder still – in der Beratung als ganz besonderes Getränk empfehlen.
Ihr Udo Maid-Kohnert
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1 Zitiert aus Interviews der MEGA_kids-Studie, Vortrag von Michael Teut auf der Tagung „Soziale Ungleichheit und Ernährung“, 17. + 18.03.2025 in Köln.
2 Zühlsdorf A, Jürkenbeck K, Schulze M, Spiller A: Wasserblindheit? So steht Deutschland zum Wasserschutz. Göttingen 2025. www.boell.de/sites/default/files/2025-02/studie_so-steht-deutschland-zum-wasserschutz.pdf
3 Heinrich Böll Stiftung und BUND: Wasseratlas 2025. Kostenlos als Download: www.boell.de/de/wasseratlas
Dieses Editorial finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 4/2025 auf Seite M201.