Zöliakie: Effekte von Gluten auf die Darmschleimhaut

Zöliakie ist eine chronische Autoimmunerkrankung, von der etwa 1 % der Weltbevölkerung betroffen ist. Sie wird durch den Verzehr von Glutenproteinen aus Weizen, Gerste, Roggen und einigen Hafersorten ausgelöst. Eine glutenfreie Ernährung schützt Zöliakiepatient*innen vor schweren Darmschäden. Die Chemikerin Dr. Verónica Dodero von der Universität Bielefeld fand nun gemeinsam mit Kolleg*innen heraus, wie bestimmte Moleküle, die aus Gluten entstehen, bei Zöliakie das Leaky-Gut-Syndrom (durchlässiger Darm) auslösen [1].

Wird Weizen verzehrt, kann der menschliche Körper die Glutenproteine nicht vollständig abbauen. Dies kann zur Bildung großer Glutenfragmente (Peptide) im Darm führen. Forschende haben entdeckt, dass bei aktiver Zöliakie das Enzym Gewebetransglutaminase 2 (tTG2) ein bestimmtes Glutenpeptid verändert. Dies führt zur Bildung des deamidierten 33-mer-Gliadin-Peptid (33-mer- DGP) in der Bindegewebeschicht des Darms, die als Lamina propria bezeichnet wird. Neuere Studien konnten zeigen, dass dieser Prozess auch in der Darmschleimhaut stattfinden kann.
„Unser interdisziplinäres Team analysierte die Bildung von 33-mer-DGP-Oligomeren mit hochauflösender Mikroskopie und biophysikalischen Techniken. Wir stellten in einem Darmzellmodell eine erhöhte Durchlässigkeit fest, wenn sich DGP anreicherte“, berichtet Dr. Maria Georgina Herrera, die Erstautorin der Studie. Bei einem solchen Modell handelt es sich um gezüchtete Darmzellen, die im Labor wachsen. Die Forschenden entdeckten, dass eine solche Anhäufung von DGP-Oligomeren die zuvor verschlossene Darmschleimhaut öffnen und zum Leaky-Gut-Syndrom führen können. Das Leaky-Gut-Syndrom tritt auf, wenn die Darmschleimhaut durchlässig wird und schädliche Substanzen in den Blutkreislauf gelangen – das führt zu Entzündungsreaktionen und verschiedenen Krankheiten. Wissenschaftler*innen interessiert, was in frühen Phasen der erhöhten Durchlässigkeit passiert. Überwiegend gehen sie davon aus, dass chronische Entzündungen bei Zöliakie zu einem Leaky Gut führen. Möglich ist jedoch auch, dass die Auswirkungen von Gluten auf die Zellen der Darmschleimhaut die Hauptursache sind. Demnach schädigt Gluten direkt die Zellen der Darmschleimhaut, macht sie durchlässig und löst dadurch chronische Entzündungen aus, die möglicherweise bei genetisch veranlagten Menschen zu Zöliakie führen. Weil Gluten täglich konsumiert wird, stellt sich die Frage, welche molekularen Auslöser bei Zöliakiepatient*innen zur erhöhten Darmdurchlässigkeit führen. Wenn sich 33-mer-DGP-Oligomere bilden, können sie möglicherweise das Zellnetzwerk der Darmschleimhaut schädigen. Dadurch gelangen Glutenpeptide, Bakterien und andere Schadstoffe leichter in den Blutkreislauf, was zu Entzündungen und bei Zöliakie zur Autoimmunreaktion führen kann. „Unsere Ergebnisse unterstützen die medizinische Hypothese, dass eine durch Glutenpeptide verursachte Schwächung der Darmbarriere eine Ursache und nicht die Folge der Immunreaktion bei Zöliakiepatienten ist“, erklärt Dr. Dodero.

Literatur
1. Herrera MG, Amundarain MJ, Dörfler PW, Dodero VI: The celiac- disease superantigen oligomerizes and increases permeability in an enterocyte cell model. Angew Chem Int Ed Engl 2024; 63(21): e202317552.

Humane Leukozyten-Antigene (HLA) sind Proteine auf der Oberfläche von Körperzellen. Sie spielen eine wichtige Rolle im Immunsystem, indem sie zwischen eigenen Zellen und Fremdstoffen wie Bakterien oder Viren unterscheiden. Bei Zöliakie hängen zwei bestimmte HLA-Proteine, HLA-DQ2 und HLA-DQ8, stark mit der Erkrankung zusammen. Das 33-mer-DGP passt exakt zu HLA-DQ2 oder HLA-DQ8, verbindet sich damit und löst so eine Immunreaktion mit Entzündungen und Zottenrückbildung im Dünndarm aus. Diese starke Wechselwirkung macht das DGP zu einem sog. Superantigen. Für Betroffene ist eine lebenslange glutenfreie Ernährung die einzige Therapie.

Quelle: Universität Bielefeld, Pressemeldung vom 16.05.2024



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 7/2024 auf Seite M374.

Das könnte Sie interessieren
DFG veröffentlicht Positionspapier zum künftigen EU-Forschungsrahmenprogramm weiter
Semaglutid bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und chronischer Nierenerkrankung weiter
Thromboserisiko durch Erythrit? weiter
Xylit ist mit erhöhtem Risiko für Herzprobleme verbunden weiter
Milch-, Käse- und Butterverbrauch sinkt erneut weiter
Übergewicht in der Jugend erhöht Risiko weiter