Ernährungsforschung: Zukunftsperspektiven für Nahrung aus dem Meer

Christopher Costello, Professor für Umwelt- und Ressourcenökonomie an der Universität von Kalifornien, Santa Barbara, vertritt die Meinung, dass eine Produktionssteigerung von Lebensmitteln marinen Ursprungs wünschenswert wäre, da der Lebensmittelproduktion an Land zunehmend Grenzen gesetzt werden. In der Zeitschrift Nature schlussfolgerten Costello und Mitarbeitende, dass die marine Lebensmittelproduktion bis 2050 um 36 bis 74 % gesteigert werden könnte [1].

Der aktuelle Zustandsbericht The State of World Fisheries and Aquaculture 2020 der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zeigt allerdings, dass seit dem letzten Report vor zwei Jahren die Fischbestände weltweit weiter zurück gegangen sind. Der globale Konsum von Fisch und Meeresfrüchten hat sich von 20,1 auf 20,5 kg pro Kopf erhöht. Gleichzeitig stieg der Anteil der überfischten Bestände von 33,1 auf 34,2 %, fast 60 % werden bis an ihre biologischen Grenzen befischt. Nur noch 6,2 % der Fischbestände werden nicht bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten genutzt.

Da Meeresfrüchte ernährungsphysiologisch wertvoll sind und viele Umweltbelastungen der terrestrischen Lebensmittelproduktion vermeiden oder verringern, seien sie in der Lage, sowohl zur Lebensmittelversorgung als auch zur künftigen globalen Lebensmittel- und Ernährungssicherheit beizutragen. Ob diese Produktionspotenziale nachhaltig ausgeschöpft werden können, hänge laut AutorInnenteam von vier Faktoren ab:

1. verbessertes Fischereimanagement
2. politische Reformen der Meereszucht
3. verbesserte Fütterungstechnologien
4. veränderte Nachfrage

Literatur
1. Costello C, Cao L, Gelcich S, et al.: The future of food from the sea. Nature 2020; 588: 95–100.

Kritische Würdigung
Nach der Auffassung von Prof. Harry Palm und Dr. Adrian Bischoff-Lang (Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock) sind viele der Grundannahmen des Beitrags [1] realistisch und gut erläutert. Einige wesentliche Aspekte würden jedoch zu stark vereinfacht dargestellt bzw. übergangen.
Dennoch sei eine Steigerung der marinen Lebensmittelproduktion grundsätzlich realistisch, allerdings nicht unter den aktuellen Kulturbedingungen. So sei z. B. ein verbessertes Fischereimanagement aus verschiedenen Gründen kaum realisierbar: Die sog. artisanale (= handwerkliche) Fischerei kann aufgrund der Bootsgröße und Bootsanzahl nur wenig kontrolliert werden. Eine weltweite Kontrolle der illegalen Fischerei, die z. T. ohne GPS-Tracking unterwegs ist bzw. das GPS-Tracking zeitweise abschaltet, ist ebenfalls kaum möglich.
Chancen sehen Palm und Bischoff-Lang in der verstärkten Implementierung integrierter Produktionsverfahren in Kreislauftechnologie, bspw. Aquaponik. Diese verbindet die Aufzucht von Fischen in Aquakultur und die Kultivierung von Nutzpflanzen mittels Hydrokultur. Gegenwärtig steht die kommerzielle Nutzung von Aquaponik-Produkten noch am Anfang, wie das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) ausführt.

Quelle: Bundeszentrum für Ernährung (BZfE), Pressemeldung vom 19.05.2021


Entwicklung umweltfreundlicher Aquakulturmethoden
Das Züchten von Meeresfischen in geschlossenen Aquakultur-Kreislaufanlagen an Land soll die Überfischung abbremsen. Diese Systeme entlasten nach Ansicht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit die Nord- und Ostsee, da sie keine zusätzlichen Nährstoffe eintragen und die Fischbestände im Meer schonen.
Ein entscheidendes Problem sind die oft hohen Nitratgehalte in solchen Anlagen, weshalb das Wasser kontinuierlich gereinigt werden muss. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) fördert die Entwicklung einer solchen Technik fachlich und finanziell mit rund 395 000 €.
Das Unternehmen Aqua-Schwarz aus Göttingen hat zusammen mit KooperationspartnerInnen ein Verfahren entwickelt, das helfen soll, Nitrat biologisch zu entfernen. Mittels einer Membran werden dann die Bakterien, Parasiten und andere Mikropartikel beseitigt. Eine Möglichkeit dazu seien Aquakulturen mit großen Becken in geschlossenen Kreislaufsystemen an Land. Bisher können allerdings nur Süßwasserfische, Algen und Krebstiere auf diese Weise gehalten werden. Ziel des Vorhabens ist es, die Reinigungsmethode auch für Meeresfische nutzbar zu machen.

Quelle: Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), Pressemeldung vom 01.06.2021

Knapp 9 % weniger Aquakulturbetriebe 2020
2020 erzeugten die knapp 2 300 Aquakulturbetriebe in Deutschland rund 18 600 Tonnen (t) Fisch, gut 200 (8,7 %) Betriebe weniger als 2019. Die Fischerzeugung blieb mit einem leichten Zuwachs von knapp 49 t (+ 0,3 %) nahezu unverändert.

Quelle: Statistisches Bundesamt (DESTATIS), Pressemeldung vom 08.06.2021



Diese Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 9/2021 auf Seite M515.

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