Migration: Tagung „Appetit auf Zukunft“

Noch eine Tagung zu „Food-Trends“-Szenarien? Nein, der Untertitel der am 30. September 2016 vom Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zusammen mit der Hochschule Fulda veranstalteten Tagung machte das sehr konkrete Thema deutlich: Interkulturell essen in Hessen. Im Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen standen dabei Aspekte der Migration, nicht nur heute, unter dem Eindruck der aktuellen Flüchtlingssituation, sondern auch rückblickend auf frühere Wellen der Ein- und Auswanderung. Denn „Migration ist eine kulturelle Konstante“ (HIRSCHFELDER, 2016), das wird allzu oft vergessen.

Politische Situation

In ihrem Eingangsvortrag ging die hessische Verbraucherschutzministerin Priska HINZ auf die besonderen Herausforderungen im Bereich des Verbraucherschutzes ein, die die große Zahl der Neuankömmlinge in Deutschland mit sich bringt. Durch Verbraucherschutz-Guides, die Flüchtlinge in ihren Unterkünften und Wohnungen aufsuchen, will das Ministerium Migranten über Verbraucherrechte informieren, aber auch vorhandene Haushaltskompetenzen mit Blick auf Besonderheiten der Einkaufswelt in Deutschland stärken. Essen ist hier die universelle Schnittstelle der kulturellen Begegnung. In dieser Einschätzung waren sich Ministerin HINZ und Dagmar VON CRAMM einig, die die Tagung moderierte.

Stefan SYDOW vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration schilderte in seinem Vortrag die Flüchtlingslage in Hessen 2016, nicht ohne auf die z. T. turbulenten Erfahrungen aus dem Jahr 2015 einzugehen. Auch wenn viele Probleme noch nicht gelöst sind und auch die Ursachen für Flucht weltweit eher zunehmen, machte er deutlich, dass unter schwierigen Bedingungen, nicht zuletzt durch die große Zahl ehrenamtlicher Helfer, bereits viel erreicht wurde. Als wichtige Faktoren unterstrich er neben dem nötigen Mut zur Improvisation die Vernetzung der Zusammenarbeit auf kommunaler, Kreis-, Landes- und Bundesebene.

Integrationspraxis

Erfolgreiche Integration als „Ankommen und Dazugehören“ beschrieb die aus Somalia stammende Nuha SCHARIF-ALI (Universität Kassel), die seit 20 Jahren in Deutschland lebt. In ihrem emotionalen und zugleich Mut machenden Erfahrungsbericht wurden neben dem Spracherwerb als Schlüssel zur Integration immer wieder auch Essenssituationen als wichtige biografische Momente greifbar: Nicht nur die Auswahl der Speisen, auch traditionelle Essrituale sind einerseits Facetten der eigenen Identität und zugleich potenziell abgrenzende Faktoren, wenn gemeinsam mit Menschen des Gastgeberlandes gegessen werden soll.

Kulturelle Vielfalt wird oft mittels Bildern von Speisen fremder Nationen transportiert. Doch diese Bilder bergen die Gefahr von Klischees. Genauso wenig, wie es „die“ typisch deutsche Ernährung gibt, gibt es die typische Ernährung in anderen Nationen. Prof. Matthias KLEMM und Dr. Agnieszka SATOLA vom Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der HS Fulda schilderten an diesem Beispiel, dass es zwar leicht sei „mehr Integration“ zu fordern, es aber durchaus nicht einfach sei, zu definieren, wie und in welchen Lebensbereichen dies geschehen kann. In einer pluralistischen Gesellschaft bedeute Integration oft nur das (zeitweise) Einfügen in ein (Teil-)System von Regeln, z. B. im Bildungssystem, in der Arbeitswelt, im Verein, nicht aber das völlige Annehmen einer z. B. „typisch deutschen“ Lebensweise, die es per se nicht gibt.

Prof. Jana RÜCKERT-JOHN griff diesen Gedanken in ihrem Vortrag auf. Nach kurzen Hinweisen auf historische Migrationsbewegungen – aus Deutschland hinaus und nach Deutschland hinein – stellte sie Projekte vor, die Integration und das inspirierende Miteinander von Kulturen im Kontext von Essen und Trinken zum Ziel haben. Einige Beispiele:
Welcome Dinner (in mehreren Städten)
Über den Tellerrand (Communities und Kochkurse: https://ueberdentellerrandkochen.de)
Refugee Canteen (ermöglicht geflüchteten Menschen durch eine kulturelle und handwerkliche Qualifizierung den Einstieg in die Gastronomie: www.refugee-canteen.com)
Besser essen verbindet (integriert geflüchtete Frauen in ein Arbeitsteam, das frisches Schulessen aus Bio-Produkten herstellt: mehrere Websites zu Einzelprojekten)
ReFOODgee City ist ein neues Projekt unter Beteiligung der HS Fulda, das in Berlin, Erlangen, Frankfurt und Leipzig an den Start geht.

Nach der Mittagspause griff das Fast Forward Theatre aus Marburg mit einer Improvisation einzelne Aspekte und Stichworte des Vormittags auf und schuf so das Aufmerksamkeits-Level für die anschließende Fish-Bowl-Diskussion, in die sich neben verschieden Gästen aus typischen Settings interkulturellen Essens auch die Tagungsteilnehmer einbrachten.



Diesen Artikel finden Sie auch in Ernährungs Umschau 11/16 auf Seite M628.

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