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Lecker Brei: Die Abkehr von den kulturellen Errungenschaften Gabel und Messer setzt sich im Erwachsenenalter nahtlos fort. © George Doyle / Stockbyte / Thinkstock

Glosse: Die Verbreiung der Welt

  • 16.01.2017
  • News
  • Prof. Dr. Helmut Heseker

Unser Kauapparat ist zum Kauen da. Wirklich? Helmut Heseker, Herausgeber der ERNÄHRUNGS UMSCHAU, bezweifelt in seiner aktuellen Glosse, dass kulturelle Errungenschaften wie Gabel und Messer ihre Bedeutung behalten.

Zur Zerkleinerung naturbelassener, fester und manchmal auch harter Nahrung hat der Mensch in der langen Evolution mit dem Kauapparat ein kraftvolles, effektives Zerkleinerungswerkzeug entwickelt. In der zahnlosen frühen Säuglingsphase mit unreifem Verdauungstrakt sind zunächst nur Flüssignahrung in Form von (Mutter-)Milch und später feinpürierte Breinahrung angesagt. Allmählich darf die Nahrung dann zur Stärkung der Kaumuskulatur stückiger und fester werden. Vom Kleinkind- über das Schulkind- und Erwachsenenalter bis ins hohe Alter wird seit Urzeiten abgebissen und -gerissen, gekaut und gemahlen.

Inzwischen müssen wir – dank ausgefeilter lebensmitteltechnologischer Errungenschaften und küchentechnischer Aufrüstung mit Hochleistungsturbomixern – den Kauapparat nicht mehr derartig strapazieren. Heute knabbert auch der Nachwuchs immer weniger an Äpfeln, Birnen und Möhren, sondern nuckelt püriertes Bio-Obst und -Gemüse in der cremig-samtigen Variante aus Quetschies genannten Quetschbeuteln. Dem Windel- und Kindergartenalter entwachsen wandern dann in Pascalisationsanlagen unter Hochdruck schonend keimarm gemachte Smoothies statt klassisches Schulobst in die Schultaschen unseres kaufaul gewordenen Nachwuchses.

Breibars liefern geräuschfreie und zeitsparende Nahrung

Die Abkehr von den kulturellen Errungenschaften Gabel und Messer setzt sich im Erwachsenenalter nahtlos fort: Gern greifen Mütter (auch erste Väter sollen schon mit grasgrünen Rohkostgetränken gesichtet worden sein) zu von angesagten Celebrities angepriesenen Frühstücksbreien, natürlich aus Urweizen, Zwerghirse, Amaranth oder Quinoa, getoppt mit Açai-Beeren, Cranberries und Chia-Samen, gern auch als tibetanische Chufli-Variante mit Erdmandeln. In der Mittagspause bieten dann – zumindest in den Großstädten – angesagte Breibars alles an, was mus- beziehungsweise pürierbar und angeblich gesund ist. Dort werden nicht nur in der orangegelben Variante Bananen, Ananas, Papayas, Avocados mit Limetten, sondern als grüne Variante Kiwis, Feldsalat und Spinat mit allerlei Grünzeug sowie als rote Variante Granatapfel, Cherrytomaten, Erd- und Johannisbeeren für eine widerstandslose, geräuschfreie, zeitsparende Nahrungsaufnahme gemixt. Verständlich, dass zahlreiche Start-ups saftige Gewinne wittern.

Offenbar sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Besonders hippe Kreationen wie der Weizengras-Spirulina-Smoothie werden euphorisch mit Detox-Eigenschaften und anderen Heilsversprechen versehen. Der hoch gepriesene thermogemixte Gemüsedrink aus rohem Grün- und Rosenkohl soll allerdings auch nach Verfeinerung mit jungem Giersch und zartem Löwenzahn kaum genießbar sein. Der neueste Ernährungstrend geht laut New York Times jetzt vom Juicing zum Souping – also zur Detox-Suppendiät.

Die allgemeine Verbreiung wirft die interessante Frage auf, ob der Verzehr maximal konvenienter Säfte, Smoothies und Pürees eher als Verlängerung der infantilen Phase oder als frühzeitige Vorbereitung auf ein zahnloses Greisenalter zu interpretieren ist. Getreu der Devise „Alle Organe müssen das Gefühl haben, dass sie gebraucht werden um voll funktionsfähig zu bleiben“ beiße ich dann doch lieber weiterhin mit Genuss in einen preisgünstigen knackigen Apfel.

Ihr Helmut Heseker

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