14. Ernährungsbericht der DGE: Übergewicht steigt nur noch in bestimmten Bevölkerungsgruppen, weiter Handlungsbedarf
- 26.11.2020
- News
- Dr. Sabine Schmidt
Im Vierjahresrhythmus erarbeitet die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) den Ernährungsbericht. In diesem werden Entwicklungen in der Ernährungssituation und im Lebensmittelverzehr der Deutschen und spezieller Bevölkerungsgruppen mit Bezug auf die Gesundheit wie auch aktuelle Herausforderungen und wissenschaftliche Fragestellungen in der Ernährung vorgestellt. Im Gegensatz zum jährlich vom BMEL herausgegebenen Ernährungs“report“, einer Telefonbefragung von 1000 Personen, liegen dem Ernährungsbericht langfristige Forschungsprojekte und wissenschaftliche Metaanalysen verschiedener deutscher Universitäten und Forschungsinstitutionen zugrunde.
Der aktuelle, nunmehr 14. Ernährungsbericht wurde am Dienstag, den 24.11.2020, vom Präsidenten der DGE, Prof. Jakob Linseisen, an Beate Kasch, Staatssekretärin im BMEL, übergeben. Die Übergabe erfolgte aufgrund der aktuellen Situation virtuell während der digital stattfindenden Pressekonferenz unter Anwesenheit von über 70 Journalistinnen und Journalisten.
Wichtige Ergebnisse des Berichts wurden im Anschluss an die Übergabe von federführenden WissenschaftlerInnen vorgestellt, darunter auch Prof. Helmut Heseker in seiner Funktion als Mitglied des DGE-Präsidiums und Chefredakteur des Berichts.
Prof. Heseker berichtete über die Entwicklungen zum Übergewicht in Deutschland, die durchaus differenziert zu sehen sind. Während die Rate an Übergewicht bei Schwangeren zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung in den letzten 10 Jahren leicht angestiegen ist, ist der Anteil von Säuglingen über 4000 g im gleichen Zeitraum gesunken. Kinder und Jugendliche sind aktuell zu ca. 15 % übergewichtig oder adipös, Tendenz gleichbleibend. Alte Menschen hingegen sind in den letzten Jahren häufiger übergewichtig geworden als bisher, was laut Prof. Heseker u. a. die Pflege vor größere Herausforderungen stellt.
Auch der Lebensmittelverzehr bietet unterschiedliche Nachrichten in Bezug auf die Gesundheitsförderung der Deutschen. Während der Alkoholkonsum sinkt, tut dies auch der Verzehr von Obst insgesamt. Bei Äpfeln, der Deutschen liebsten Obstsorte, summiert sich das in den letzten 10 Jahren auf fast ein Drittel weniger gegessene Äpfel pro Kopf. Andere Obstsorten wie Bananen und Beerenobst verzeichnen Zuwächse, der Gesamttrend ist jedoch negativ. Gestiegen ist hingegen der Verzehr von Gemüse, Mineralwasser und Kräuter- und Früchtetees – alles von der DGE empfohlene Lebensmittel. Der Fleischverzehr bleibt annähernd gleich. Prof. Gedrich von der TU München, der die Ergebnisse zum Lebensmittelverzehr zusammenfasste, resümierte: Das Ziel, pflanzenbetonter zu essen, sollte weiter verfolgt werden und v. a. bei tierischen Lebensmitteln sollte der Fokus von Quantität zu Qualität gelenkt werden.
Interessante Ergebnisse liefert der Ernährungsbericht auch zur rein pflanzlichen Ernährung von Kindern und Jugendlichen. Die VeChi-Youth-Studie untersuchte die Ernährungssituation vegan und vegetarisch ernährter Kinder im Vergleich zu Kindern, die eine übliche Mischkost essen. „Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl bei veganer und vegetarischer Ernährung als auch bei einer Mischkost mit Fleisch die Versorgung mit den Hauptnährstoffen sowie den meisten Vitaminen und Mineralstoffen bei der überwiegenden Anzahl der StudienteilnehmerInnen ausreichend ist“, referierten die StudienleiterInnen Dr. Ute Alexy, Universität Bonn, und Dr. Markus Keller, Institut für alternative und nachhaltige Ernährung (Ifane). Auch bei veganen Kindern war die Versorgung mit Vitamin B12 ausreichend, ein hoher Anteil nahm hierzu Supplemente ein. Die Ballaststoffzufuhr war bei veganen Kindern und Jugendlichen am höchsten, ebenso der Verzehr von Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Nüssen – wichtigen Nährstofflieferanten nicht nur bei rein pflanzlicher Ernährung. Kritisch bei allen Ernährungsformen war die Versorgung mit Vitamin B2, Jod und Kalzium. Bei letzterem waren die Mischkost-Kinder etwas besser, aber ebenfalls bei weitem nicht ausreichend versorgt. Hier sehen die StudienautorInnen Handlungsbedarf. Nach Messung der Blutwerte stellt auch Vitamin D ein kritisches Vitamin dar, bei allen Untersuchungsgruppen. Die AutorInnen schlussfolgern aus ihrer – allerdings nicht repräsentativen – Studie:
- Auch vegane Ernährung ermöglicht eine altersangemessene Nährstoffversorgung von Kindern und Jugendlichen,
- eine pflanzenbasierte Kost ist (auch) bei Kindern und Jugendlichen mit einem höheren Verzehr an bestimmten gesundheitsförderlichen Lebensmitteln verbunden und
- neben der Zufuhr von Vitamin B12 sollte bei vegan ernährten Kindern und Jugendlichen v. a. die Kalzium- und Jodzufuhr im Blick behalten werden,
- bestimmte Nährstoffe sind bei allen Kindern und Jugendlichen weiterhin kritisch.
Im Gegensatz zu den bisherigen Empfehlungen der DGE regen die StudienleiterInnen an, bezüglich Vitamin D bei Kindern und Jugendlichen über eine Empfehlung zur Supplementierung zumindest in den Wintermonaten nachzudenken.
Dem Vitamin D ist im aktuellen Ernährungsbericht ein ganzes Kapitel gewidmet, vorwiegend, um Erkenntnisse zu seinen viel diskutierten Wirkungen auf verschiedene Erkrankungen darzustellen. Hierzu stellte Prof. Jakob Linseisen, Präsident der DGE, die Ergebnisse eines Umbrella Reviews vor. Diesem zufolge sind die Zusammenhänge zwischen dem Vitamin-D-Status und einer Reihe von Krankheiten, bei denen Einflüsse vermutet wurden, in den meisten Fällen schwach oder noch von nicht ausreichender Evidenz. Dies trifft z. B. auf die Autoimmunerkrankungen Multiple Sklerose und Diabetes mellitus Typ 1 zu. Bei neurologischen Erkrankungen deutet sich ein möglicher Einfluss in der Prävention von Demenz und Depressionen an, keine Wirkungen zeigten sich jedoch in der Therapie dieser Krankheiten. Die Daten zu akuten Atemwegsinfektionen zeigten, dass bei einer unzureichenden Vitamin-D-Versorgung eine Supplementation mit Vitamin D einen positiven Einfluss auf die Prävention dieser haben könnte.
Daten zu Covid-19 sind hier noch nicht enthalten, da die Studie Anfang 2020 bereits abgeschlossen war. Die bisherige Studienlage zu Vitamin D und Covid-19 legt Prof. Linseisen zufolge aber nahe, dass es eher keine präventive Wirkung gibt, eine gute Vitamin-D-Versorgung jedoch die Tendenz zu einem schwereren Verlauf vermindern könnte.
Weitere Kapitel des 14. Ernährungsberichts liefern Daten zur Ernährung in Krankenhäusern und Pflegeheimen (Daten des nutritionDay-Projekts 2018 – die Ernährungs Umschau berichtete in Ausgabe 10/2019 ab Seite M59), zu Ernährungsfaktoren und ihren Einfluss auf ernährungsmitbedingte und neurodegenerative Erkrankungen, zum Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen (EsKiMo II-Studie, s. auch die Ernährungs Umschau Ausgaben 4/2019, 5/2019, 6/2019 sowie zum Stillverhalten (SuSe II-Studie), zu Cadmium und Blei in relevanten Lebensmitteln, zum „Underreporting“ in Verzehrstudien und zur Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Lebensmitteln.
Hintergrund zum Ernährungsbericht
Die seit 1969 alle vier Jahre erscheinenden DGE-Ernährungsberichte sollen dazu beitragen, die Ernährungssituation der deutschen Bevölkerung langfristig zu betrachten, Ergebnisse aus Forschungsvorhaben zu präsentieren, zu bewerten und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Der 14. DGE-Bericht präsentiert in eigenen Kapiteln zusätzlich die Ergebnisse von drei speziell dafür durchgeführten Forschungsvorhaben, die besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen im Fokus haben: die nutritionDay-Auswertung, die SuSe II-Studie und die VeChi-Youth-Studie. Durch die ausgewählten Themen spiegeln die Ernährungsberichte immer auch die jeweils aktuellen Herausforderungen in den Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften wieder.
Der 14. DGE-Ernährungsbericht inkl. CD-ROM ist unter der Artikel-Nr. 220300 zum Preis von 37,00 EUR zzgl. Versandkosten beim DGE-MedienService, Telefon: 0228 9092626, info@dge-medienservice.de erhältlich. Das Buch ist auch über den Buchhandel (ISBN: 978-3-88749-269-4) beziehbar.