Bunte Palette aus Pulvern: Echte Superfoods oder Fälschungen? © JulyProkopiv / iStock / Thinkstock
Bunte Palette aus Pulvern: Echte Superfoods oder Fälschungen? © JulyProkopiv / iStock / Thinkstock

Pflanzliche Plagiate: Wissenschaftler entschlüsseln Superfood-Fälschungen per Barcode

Das Reich der Pflanzen ist groß und viele Arten gelten als besonders gesund. Das lässt sich gut vermarkten, wie der internationale Hype um Superfoods zeigt. Je exotischer aber das Produkt, desto schwieriger ist für Laien einschätzbar, ob es sich tatsächlich um Tulsi-Tee, Moringa-Pulver oder gemahlene Açaí-Beeren handelt. Peter Nick und Kollegen vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben aus diesem Grund genetische Barcodes für Superfoods entwickelt.

Kommen Lieferungen mit pflanzlichen Produkten aus dem Ausland zum Beispiel an deutschen Häfen oder Flughäfen an, wird in Einfuhrkontrollen untersucht, ob die Produkte den Lieferangaben entsprechen. „Handelt es sich um ganze Pflanzen oder erkennbare Teile, kann eine mikroskopische Untersuchung für die botanische Bestimmung ausreichen", sagt Peter Nick, Professor für Molekulare Zellbiologie am Botanischen Institut des KIT. „Allerdings ist es oft sogar für Experten schwierig, anhand des Aussehens eine Verwechslung der Pflanze auszuschließen." Von vielen Pflanzen existieren diverse Arten, die der beschriebenen stark ähneln. Bei pulverisierten Produkten hilft auch kein Mikroskop mehr.

Alternative Methoden wie das Auslesen von Gensequenzen, die auch bei Vaterschaftstests zum Einsatz kommen, können helfen, sind aber zeitaufwendig und teuer. Hier werden Abschnitte auf der DNA untersucht, die sich vielfach wiederholen ("Mikrosatelliten-DNA"). Diese Abschnitte unterscheiden sich von Individuum zu Individuum und liefern viel mehr Informationen als benötigt, was auch die Interpretation erschweren kann. „Ich möchte schließlich nur wissen, ob es sich um die auf der Packung beschriebenen Beeren handelt und nicht, ob es zufällig Beeren von einer Pflanze sind, die ich bereits eine Woche zuvor untersucht habe." Nick und sein Team haben daher ein Verfahren entwickelt, das lediglich kleine Unterschiede der Gensequenz nutzt, um an ganz bestimmten Stellen der DNA-Stränge gezielt mit Genscheren zu schneiden. 

Wie funktioniert das Verfahren genau?
Peter Nick. © Martin Lober
Peter Nick. © Martin Lober

Das am KIT angewendete Verfahren beruht dabei auf bestimmten Gensequenzen, die sich bei verschiedenen Pflanzen unterscheiden. Besonders an den hier untersuchten Sequenzen ist, dass sie mithilfe von spezifischen Oligonukleotid-Primern (Startpunkten für DNA-replizierende Enzyme) über eine Polymerase-Kettenreaktion (PCR) vermehrt werden können. „Es gibt konservative Bereiche, die bei allen Pflanzen gleich sind, weshalb diese Primer für alle Pflanzen eingesetzt werden können und dazwischen existieren variable Bereiche, genetische Barcodes, die bei jeder Pflanze anders sind", erklärt Nick.

Für das Verfahren isolieren die Wissenschaftler aus jeder Superfood-Probe die DNA. Anschließend wird eine PCR durchgeführt, es entsteht eine amplifizierte Bande. Die Wissenschaftler verwenden dann sogenannte Restruktionsenzyme – Genscheren, die DNA schneiden können. Diese Enzyme binden an bestimmten Erkennungsmotiven auf der DNA und schneiden genau an dieser Stelle. „Wenn wir nun beispielsweise eine Goji-Beere und gleichzeitig eine Verwechslungsart wie die Berberitze vor uns haben, mit denen Goji gerne gestreckt werden, dann können wir mit Hilfe der von uns entwickelten Barcodes erkennen, wo sich die Arten unterscheiden." 7000 solcher Barcodes hat Nick in seiner Datenbank bereits gesammelt. Meist unterscheiden sie sich nur in wenigen DNA-Buchstaben.

„Anschließend überprüfe ich, ob es eine Genschere gibt, die in einem Fall eine Schnitt macht und im anderen nicht. In vielen Fällen findet sich eine solche Schere und das vorliegende PCR-Produkt kann entsprechend geschnitten werden oder nicht", sagt Nick. „Die Schnittprodukte kann ich dann unmittelbar per Gelelektrophorese sichtbar machen, wie bei einen Fingerabdruck." Der Vorteil: Das Ergebnis liegt am selben Nachmittag vor.  

Belegpflanzen beweisen Echtheit
Ein blühender "Moringa oleifera" aus der Referenzsammlung im botanischen Garten des KIT. © Karlheinz Knoch
Ein blühender "Moringa oleifera" aus der Referenzsammlung im botanischen Garten des KIT. © Karlheinz Knoch

Die Speicherung der Barcodes hat allerdings ihre Tücken, weshalb die Wissenschaftler des KIT nicht nur die von ihnen bestimmten Gensequenzen sammeln, sondern auch im eigenen botanischen Garten eine Reihe von Belegpflanzen vorhalten.  

„Bei jeder öffentlich geförderten Forschung, bei der DNA-Sequenzen ermittelt werden, sind die Forscher dazu verpflichtet, die Sequenzen in einer öffentlichen Datenbank abzulegen." Diese sogenannte "GenBank" wird in den USA betreut, ist aber weltweit zugänglich. Auch das KIT hat hier viele Sequenzen abgelegt. „Das Problem ist, dass die Sequenzen in der Datenbank immer nur so gut sind wie ihre Referenzpflanze gesichert ist. Bei Superfoods haben wir die Situation, dass oft sehr schwer feststellbar ist, welche eigentlich die richtige Referenzpflanze ist. Es gibt im Handel viele Pflanzen mit ähnlichem Namen, aber auch Fälschungen und Streckungen etc." Werde nun ein Barcode in der Datenbank abgelegt, der aus einer Pflanze stamme, bei der nicht zu 100 Prozent gesichert sei, dass es sich um das Original handele, dann stimme die Sequenz in der Datenbank nicht und sei irreführend, so Nick.

„Die Belegpflanzen des KIT sind von uns genau untersucht und bestimmt worden, teils sogar mithilfe von botanischen Experten aus den jeweiligen Herkunftsländern. Wir sind uns hier also absolut sicher, ob es sich um echten Goji oder um echten Chia Salvia hispanica handelt und nicht etwa um eine Pflanze, die auch Chia heißt", sagt Nick. Dies erhöhe auch die Qualität der Barcodes ungemein. Eine Mitarbeiterin aus Nicks Team ist für das "Superfood-Scouting" verantwortlich. Sie geht in die Supermärkte und Reformhäuser und informiert sich über neue Trendlebensmittel und "Superpflanzen". Anschließend versuchen die Wissenschaftler, diese Pflanzen aufzutreiben, entwickeln die Referenzen dafür und setzten einen entsprechenden Test auf. „Steht der Test, zeigt sich auch der Kostenvorteil. Wenn eine große Zahl von Proben vorliegt und ein Test effizient durchgeführt werden kann, kostet der Superfoodnachweis weniger als einen Euro." 

Fälschungen können Gesundheit gefährden

Der Experte würde sich wünschen, dass Industrie und Großhändler, die mitunter sehr exotische Superfoods auf den Markt bringen, etwas genauer auf die Herkunft schauen und öfter Barcode-Tests durchführen lassen. „Das würde auch zu noch mehr Verbrauchersicherheit beitragen", so Nick. Den Behörden, die Lieferungen überprüfen, würden darüber hinaus die notwendigen Informationen fehlen, um im Einzelfall die Echtheit der Art bewerten zu können. „Monografien, also die genaue Beschreibung einer Pflanze wie es sie bei uns zu heimischen Pflanzen gibt, existieren in vielen Herkunftsländern gar nicht. Das macht es den Behörden besonders schwer."

Nick und sein Team machen daher immer wieder auf die Thematik und die damit verbundenen möglichen Gesundheitsgefahren aufmerksam. Beispielsweise gab es vor zwei Jahren den Trend Bambustee. Es gibt es 1400 Bambusarten, aber nur die Blätter von dreien eignen sich für die Zubereitung eines speziellen Gesundheitstees, der auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) als heilsam gilt. Bei Tests fiel den Wissenschaftlern auf, dass in den Produkten der einzigen beiden Hersteller gar kein Bambus enthalten war, sondern Nelkenblätter. „Zum Glück habe ich in meiner Arbeitsgruppe chinesische Mitarbeiter, die recherchiert haben, dass diese spezielle Nelke auch in der TCM verwendet wird und auf Chinesisch den Namen Steinbambus trägt."

Durch den Trend war der Markt offenbar schnell ausgeschöpft und die Importeure mussten nach anderen Handelsquellen suchen, da bot sich die Nelke als Namensvetter an. „Leider kann dieser Nelkentee wehenfördernd wirken, ist also ungeeignet für Schwangere", bemängelt Nick. So etwas dürfe nicht passieren und könne sehr gefährlich werden. „Ich muss mich als Konsument darauf verlassen können, dass ich den Angaben auf der Packung trauen kann. Gerade bei unbekannten Superfoods ist das Überwachungssystem aber noch löchrig und es fehlt an Problembewusstsein bei Anbietern und Behörden", sagt Nick.

"Thema wurde totgeschwiegen"

Gerade viele Firmen seien im Falle des Bambus nicht auf seine Schreiben und Hinweise eingegangen, andere zeigten sich betroffen, hätten aber letztlich auch nichts gegen den falschen Tee unternommen, so Nick. Bei einigen wurde er aus dem Programm gestrichen. „Wir haben uns auch an den Verband der Teehersteller gewandt und unsere Methode vorgestellt, um mehr für die Qualität solcher Sorten zu tun. Die Verantwortlichen waren erst sehr interessiert, aber als es um die weitere Entwicklung ging, wurde ein Rückzieher gemacht und das Thema einfach totgeschwiegen." Der Experte rät daher Verbrauchern, sich bei allen Superfoods und vor allem bei prozessierten Lebensmitteln wie Pulvern genau zu informieren, um was für ein Produkt es sich handelt.

mya

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