Kau- und Schluckstörungen können dazu führen, dass die Betroffenen Angst vor dem Essen und Trinken haben. © ponsulak / iStock / Getty Images Plus
Kau- und Schluckstörungen können dazu führen, dass die Betroffenen Angst vor dem Essen und Trinken haben. © ponsulak / iStock / Getty Images Plus

Interview: „Senioren profitieren von innovativer, texturmodifizierter Kost"

Im Rahmen des Ernährungsforschungsclusters "enable" wurde untersucht, ob sich eine texturmodifizierte, angereicherte und in Form gebrachte Kost auf die Energie- und Proteinzufuhr und das Körpergewicht von Pflegeheimbewohnern auswirkt. Angela Ott, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Biomedizin des Alterns der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, erläutert im Online-Interview die Ergebnisse der neuen Studie und welche Ursachen und Folgen mit Kau- und Schluckstörungen verbunden sind.

Wie kam es zu der aktuellen Studie?

Angela Ott: Kau- und Schluckstörungen sind weit verbreitet. Betroffene Personen bekommen eine texturmodifizierte Kost, die häufig optisch unattraktiv und im Nährstoffgehalt defizitär ist und folglich mit einer unzureichenden Nahrungszufuhr verbunden ist. Da dies ein relevantes Thema ist, bei dem Forschungsbedarf besteht, kam es zu einer Kooperation des Instituts für Biomedizin des Alterns an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und dem Institut für Lebensmitteltechnologie an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, wo bereits an der Verbesserung pürierter Kost beziehungsweise den 3D-Druck-Möglichkeiten in diesem Bereich arbeitet wird.


Welche Ursachen liegen Kau- und Schluckstörungen zugrunde?

Ott: Vor allem im Alter sind neurologische Erkrankungen wie etwa ein Schlaganfall oder Demenz Gründe für derartige Beschwerden bei der Nahrungsaufnahme. Es gibt aber auch andere Krankheiten wie Krebs im Bereich von Mund, Rachen und Speiseröhre, die Kau- und Schluckstörungen auslösen. Außerdem können Medikamente die Speichelproduktion hemmen und Mundtrockenheit verursachen, was wiederum das Schlucken erschwert. Kaustörungen sind zudem oft auf einen schlechten Zahnstatus, schlechtsitzende Prothesen oder auch gar keinen Zahnersatz zurückzuführen. Zudem kommen Infektionen durch mangelhafte Mundhygiene nicht selten vor – Probleme, die vermehrt bei Senioren auftreten können.


Welche Nebenwirkungen ergeben sich daraus?

Ott: Die Beschwerden können dazu führen, dass die Betroffenen Angst vor dem Essen und Trinken haben, Angst vor dem Essen in der Gemeinschaft verspüren, weil man sich verschlucken könnte, vielleicht sogar Speisen wieder aus dem Mund fallen oder es einfach schmerzhaft ist. Die Betroffenen benötigen außerdem mehr Zeit für ihr Essen und letztendlich ist die Speisenaufnahme erschwert, eingeschränkt oder sogar unmöglich, was zu einer verminderten Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme führen kann. Die Problematik kann durch einen erhöhten Bedarf an Nährstoffen, zum Beispiel ausgelöst durch Krankheiten, Probleme, die mit dem Alter einhergehen wie kognitive Einschränkungen oder das Angebot von geschmacklich und optisch unattraktivem Essen verstärkt werden.

Wird denn nach wie vor in den meisten Pflegeheimen das Essen einfach püriert?

Ott: Ja, leider. Aber der Trend geht glücklicherweise in eine andere Richtung und wir hoffen natürlich auch mit unserer Studie noch einen zusätzlichen Anstoß zu liefern, diese Kostform zu überdenken und auch zu erkennen, dass zum Beispiel eine andere Optik viel bewirken kann.


Wie genau sieht das neue Konzept aus, das Sie und Ihre Kollegen für die Studie getestet haben?

Ott: Bei der herkömmlichen texturmodifizierten Kost, also den pürierten Speisen, ist die Nährstoffdichte sehr gering. Dies ist primär der Zubereitung geschuldet, da bei der Herstellung klassischer Pürees häufig noch Wasser zugegeben wird und sich der Speisebrei so verdünnt. Dadurch leidet nicht nur die Nährstoffdichte, sondern auch der Geschmack. In der Küche sollte also immer nochmal probiert und nachgewürzt werden. Zusätzlich leidet die Optik. Außerdem gibt es bereits Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Personen, die texturmodifizierte Kost essen, generell eine schlechte Nährstoffzufuhr haben.

Auf diesen Informationen basiert unser neues Konzept, bei dem der Lösungsansatz aus einer Triple-Adaption besteht. Diese beinhaltet eine Texturmodifikation, um weiterhin ein sicheres Schlucken zu ermöglichen, eine Anreicherung, um eine adäquate Nährstoffversorgung zu gewährleisten und als dritten Part die Organoleptik – also eine optische und geschmackliche Optimierung der Speisen.


Worauf lag der Schwerpunkt bei den Nährstoffen?

Ott: Wir haben uns auf Energie und Protein fokussiert – die größten Bausteine, an denen man im ersten Schritt arbeiten sollte.


Wo und wie wurde die Studie realisiert?

Ott: Die Studie wurde in zwei Nürnberger Pflegeheimen realisiert, den Seniorenwohnzentren '_max_ AM STADTPARK' und '_max_ AM RENNWEG'. Das Ganze lief so ab, dass die Originalspeisen der Pflegeheime verwendet wurden, damit die Studienteilnehmer die gleichen Gerichte essen konnten, wie ihre Tischnachbarn ohne Kau- und/oder Schluckbeschwerden. Diese Speisen wurden zunächst zerkleinert beziehungsweise püriert und anschließend mit Öl und Molkenproteinpulver angereichert. Wir haben zusätzlich auch eine Proteinsahne hergestellt, die mit Molkenprotein versetzt wurde. Für die Formgebung musste noch ein Geliermittel zugegeben werden und anschließend wurde der Speisebrei durch Silikonformen wieder in Form gebracht.

Für die Entwicklung der neuen Rezepturen war die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf zuständig. Die Umsetzung erfolgte vor Ort durch die Küchenmitarbeiter in den beiden Nürnberger Pflegeheimen.

Wird diese Methode nun langfristig in den Einrichtungen fortgeführt?

Ott: Ja, Sinn sollte es natürlich auch sein, dass die Mitarbeiter vor Ort eingebunden werden, damit die Optimierung nicht nur im Rahmen der Studie stattfindet, sondern nachhaltig weitergeführt wird. Die Teams wurden vor Ort durch Hauswirtschafterinnen und einer Ernährungswissenschaftlerin der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf angeleitet und geschult.


Hatten Sie denn noch zusätzliche Unterstützung bei der Entwicklung der Methode?

Ott: Tatsächlich haben wir dem in der Branche bekannten Koch Herbert Thill das Konzept im Vorfeld vorgestellt und der Experte für Seniorengastronomie hat uns vor Ort besucht beziehungsweise an einem Tag begleitet und uns mit seiner Erfahrung unterstützt.


Wurde denn die Nährstoffdichte der Gerichte nach allen Verarbeitungsschritten nochmals gemessen?

Ott: Wir haben den Nährstoffgehalt immer detailliert berechnet. Die Rezepte der neuen Kost wurden an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf primär auf Basis der Lebensmittel der Heime entwickelt. Dadurch konnten wir genau sagen, wie viel Energie und Protein pro 100 Gramm Lebensmittel enthalten waren.


Andere Nährstoffe wurden nicht überprüft?

Ott: Wir haben sie nicht überprüft, aber es ist anzunehmen, dass durch das Wegfallen der sonst üblichen Verdünnung hier auch eine leichte Optimierung stattgefunden hat.


Wie viele Personen haben an der Studie teilgenommen und wie haben Sie diese rekrutiert?

Ott: Wir haben 26 Personen als potenziell geeignet identifiziert. Allerdings sind durch Umstände wie fehlendes Einverständnis oder Todesfälle während der Studie letztlich von 16 Personen vollständige Daten erhoben worden. Die Studie selbst hat drei Monate gedauert und rekrutiert wurde mithilfe des Pflegepersonals. Die Probanden sollten eine Kau- und oder Schluckstörungen haben, sollten regelmäßig texturmodifizierte Kost zu sich nehmen und keine Sondennahrung erhalten, nicht akut krank sein, sich nicht in der terminalen Lebensphase befinden und noch eine vorhandene Sehfähigkeit besitzen. Dann wurden die Senioren beziehungsweise deren gesetzliche Vertreter informiert und ihr Einverständnis eingeholt.

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Wie gestaltete sich das Studienkonzept im Detail?

Ott: Die Studie war in zwei Phasen à sechs Wochen gegliedert. In der ersten Phase haben die Bewohner ihre übliche texturmodifizierte Kost weiterhin bekommen, da wurde erstmal nichts geändert. Danach wurde das Küchenteam geschult und in der zweiten Phase haben die Probanden dann die neue Kost basierend auf dem innovativen Konzept erhalten. In der Zeit war dann auch das Küchenteam aus Weihenstephan mit vor Ort. Die Nahrungszufuhr wurde mittels Wiegeprotokoll gemessen, das Körpergewicht wurde ebenso erfasst wie der allgemeine Ernährungs- und Gesundheitszustand. Diese Parameter wurden am Anfang und am Ende jeder Phase überprüft, um den Verlauf optimal dokumentieren zu können.


Was für Unterschiede konnten Sie im Vergleich der beiden Phasen feststellen?

Ott: Die Energie- und Proteinzufuhr der Teilnehmer konnten signifikant gesteigert werden und auch das Körpergewicht hat sich positiv entwickelt. So waren in der ersten Phase überwiegend Gewichtsverluste zu beobachten und in der zweiten Phase war ein Gewichtserhalt beziehungsweise sogar eine Gewichtszunahme der Studienteilnehmer zu verzeichnen.


Wie alt waren die Teilnehmer und welche Konstitution hatten sie?

Ott: Im Schnitt waren die Senioren 87 Jahre alt und hatten alle ein Risiko für Mangelernährung oder waren bereits mangelernährt. Außerdem waren die meisten sehr gebrechlich und somit pflegebedürftig sowie überwiegend dement.


Das heißt, sie konnten nicht selbst essen und Ihnen kein eigenes Feedback geben?

Ott: Bei den meisten Teilnehmern musste das Essen tatsächlich eingegeben werden. Von ihnen haben wir zwar kein verbales Feedback erhalten, aber die Körpersprache war positiv. Spannend war, dass die Personen, die noch selbständig essen konnten, einzelne Komponenten gezielt auswählten und so Präferenzen erkennbar waren. Zudem haben wir Rückmeldung vom Pflegepersonal und Angehörigen erhalten. Dieses war ebenso durchweg positiv.


War es kompliziert, Pflegeheime zu finden, die sich beteiligen wollen?

Ott: Durch ein früheres Projekt, den nutritionDay, entstand der Kontakt zu einem der Heimleiter, der es auch als extrem wichtig empfindet, Wissenschaft und Praxis zusammenzubringen. So hatten meine Kollegen und ich die Chance vor Ort mit jemandem zu arbeiten, der die Studie gerne begleiten wollte. Zudem waren sowohl das Küchenteam als auch das Pflegepersonal sehr motiviert, das neue Konzept umzusetzen.


Wenn die Mitarbeiter in den Einrichtungen stärker für dieses Thema sensibilisiert sind, hilft das künftig womöglich deutlich mehr Betroffenen.

Ott: Ja, denn wahrscheinlich ist die Dunkelziffer derjenigen, die eine texturmodifizierte Kost bräuchten, noch deutlich höher. Umso wichtiger ist es, diesen Menschen ihr Essen angemessen und schön zu gestalten und auch Menschen dafür zu sensibilisieren, die diese Aufgabe täglich übernehmen. Nicht zuletzt spielen die Mahlzeiten eine große Rolle im Seniorenheim – die Bewohner freuen sich im Allgemeinen sehr darauf. Es ist also physisch und seelisch gesehen sinnvoll, die Speisen zu optimieren.


Parallel zu Ihrer Studie wurde eine weitere Untersuchung angestoßen, die sich speziell mit der Kost aus dem 3D-Drucker beschäftigt hat. Wie schätzen Sie hier die Möglichkeiten ein?

Ott: Die Formgebung mit Hilfe von Silikonformen, die wir in der Studie realisiert haben, soll zukünftig durch 3D-Drucker realisiert werden. Parallel zu unserer Studie im Pflegeheim wurde an der Weiterentwicklung dieses 3D-Drucks an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf gearbeitet. Er ist auf jeden Fall eine gute Möglichkeit, die Speisen individualisierter für die einzelnen Bewohner anzureichern. Auch mit Blick auf die Portionsgrößen ist der 3D-Druck flexibler als Formen, da zum Beispiel die Optik bei kleineren Portionen beibehalten werden kann und kleine Portionen mit hoher Nährstoffdichte angeboten werden können. Anzunehmen ist auch, dass die Automatisierung langfristig den Arbeitsaufwand reduziert.

Das Interview führte Myrna Apel.


Zur Person: Angela Ott (M.Sc.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Biomedizin des Alterns der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seit ihrem Studienabschluss an der Technischen Universität München, wo sie den Master Nutrition and Biomedicine absolvierte, arbeitet sie an ihrer Promotion in der Forschungsgruppe von Frau Prof. Dr. rer. nat. Dorothee Volkert und Herrn Prof. Dr. med. Cornel C. Sieber. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Ernährung und Zufuhrerfassung von Senioren mit Kau- und/oder Schluckstörungen. Aktuell forscht sie im enable-Cluster an den Effekten einer innovativen texturmodifizierten Kost für Pflegeheimbewohner mit Kau- und/oder Schluckstörungen.

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