Calcium- beziehungsweise magnesiumreiches Mineralwasser eignet sich sehr gut, um einen Großteil des Bedarfs an beiden Mineralstoffen zu decken. ©  fizkes / iStock / Getty Images Plus
Calcium- beziehungsweise magnesiumreiches Mineralwasser eignet sich sehr gut, um einen Großteil des Bedarfs an beiden Mineralstoffen zu decken. © fizkes / iStock / Getty Images Plus

Interview: Forschungsschwerpunkt Mineral- und Heilwasser stärken

Vor knapp einem Jahr wurde an der Leibniz Universität Hannover das Kompetenzzentrum Mineral- und Heilwasser (KMH) gegründet. Die ERNÄHRUNGS USCHAU Online hat mit dem wissenschaftlichen Gesamtleiter, Prof. Dr. Andreas Hahn, unter anderem über aktuelle Forschungsprojekte gesprochen.

Wie und warum kam es zur Gründung des neuen Kompetenzzentrums Mineral- und Heilwasser?

Prof. Dr. Andreas Hahn: Im Institut für Lebensmittelwissenschaft und Humanernährung der Leibniz Universität Hannover haben wir uns bereits seit einigen Jahren mit dem Thema Mineral- und Heilwasser beschäftigt und auch erste Humanstudien in diesem Bereich durchgeführt. Dabei zeigte sich auch, dass das Thema insgesamt in Deutschland wissenschaftlich nur wenig beachtet wird. Vor diesem Hintergrund wurde zum 01.10.2017 das Kompetenzzentrum Mineral- und Heilwasser (KMH) gegründet und an das Institut für Lebensmittelwissenschaft und Humanernährung angeschlossen. Ich habe die wissenschaftliche Gesamtleitung inne, Projektleiterin ist Frau Dr. Inga Schneider. Daneben arbeiten momentan noch eine Doktorandin und zwei wissenschaftliche Hilfskräfte für das KMH.


Worin unterscheiden sich Mineral- und Heilwasser?

Hahn: Mineral- und Heilwasser entspringen unterirdischen und vor Verunreinigung geschützten Wasservorkommen. Es sind jeweils Naturprodukte, das heißt ihre Bestandteile dürfen nicht verändert werden. Die Mineralisierung hängt von der Geologie der jeweiligen Quelle ab. Mineralwasser ist ein amtlich anerkanntes Lebensmittel, dessen Anforderungen in der Mineral- und Tafelwasserverordnung geregelt sind. Heilwasser dagegen ist ein Arzneimittel, dessen Zulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolgt. Aufgrund der jeweiligen spezifischen Zusammensetzung an Mengen- und Spurenelementen, muss Heilwasser eine wissenschaftlich nachgewiesene vorbeugende, lindernde oder heilende Wirkung bei einer Erkrankung aufweisen und kann erst nach dem erfolgten Nachweis als Heilwasser amtlich zugelassen werden.

Die Mindestmineralstoffgehalte für Heilwasser setzen sich wie folgt zusammen:

  • Magnesium: ≥100 mg/L
  • Calcium: ≥ 250 mg/L
  • Fluorid: ≥ 1 mg/L
  • Hydrogencarbonat: ≥ 1.300 mg/L
  • Sulfat: ≥ 1.200 mg/L
  • Kohlensäure: ≥ 1.000 - 2.000 mg/L (je nach Anwendung)

 

Wie wollen Sie die gesundheitlichen Wirkungen der Wässer sowie deren Inhaltsstoffen erforschen?

Hahn: In der Vergangenheit wurden am Institut bereits eine Vielzahl von Interventions-, Querschnitts- und Bioverfügbarkeitsstudien durchgeführt, auch mit Mineralwasser, sowie verschiedene physiologische Fragestellungen zu Mineralstoffen bearbeitet. Jüngere Projekte zu Mineralwasser umfassten dabei unter anderem Studien zur Bioverfügbarkeit von Calcium beziehungsweise Magnesium aus Mineralwasser im Vergleich zu anderen Lebensmitteln beziehungsweise Nahrungsergänzungsmitteln. Dabei wurde auch der Frage nachgegangen, ob die unterschiedliche Mineralisierung von Mineralwässern Einfluss auf die Bioverfügbarkeit ausübt. Beide Studien zeigten, dass die Aufnahme von Calcium beziehungsweise Magnesium aus Mineralwasser vergleichbar ist mit der aus sonst als calcium- beziehungsweise magnesiumreich empfohlenen Lebensmitteln sowie aus Nahrungsergänzungsmitteln.

Calcium- beziehungsweise magnesiumreiches Mineralwasser eignet sich daher sehr gut, um einen Großteil des Bedarfs an beiden Mineralstoffen zu decken. Zudem enthält Mineralwasser im Gegensatz zu den üblicherweise zur Erhöhung des Magnesium- beziehungsweise Calciumgehalts in der Nahrung empfohlenen Lebensmitteln – bei Calcium insbesondere Milch und Milchprodukte – keine Energie. Zusätzlich trägt es wesentlich zur Deckung der Flüssigkeitszufuhr bei.


An welchen Studien arbeiten Sie aktuell und was ist künftig geplant?

Hahn: Aktuell werten wir Ergebnisse einer Studie zum Einfluss hydrogencarbonatreicher Mineralwässer auf den Säure-Basen-Status und Parameter des Knochenumsatzes aus. Es wird erwartet, dass die renale Nettosäureausscheidung durch die Zufuhr von Hydrogencarbonat abnimmt. Darüber hinaus werden Effekte auf den Knochenstoffwechsel wie die Knochenresorption untersucht. Weitere Studien sind in Planung.


Welchen Einfluss haben hydrogencarbonatreiche Mineralwässer auf den Säure-Basen-Status und Parameter des Knochenumsatzes?

Hahn: Der Säure-Basen-Haushalt des menschlichen Körpers dient der Konstanterhaltung des pH-Wertes in Intra- und Extrazellulärräumen und stellt damit eine Grundvoraussetzung für alle Lebensvorgänge dar. Eine zentrale Bedeutung kommt dabei dem Kohlensäure-Bicarbonat-Puffersystem des Blutes zu, das als offenes Puffersystem über besondere Regulationsmöglichkeiten verfügt. Es trägt wesentlich dazu bei, den pH-Wert des Blutes konstant zu halten und eine Azidose oder Alkalose zu verhindern. Eine zunehmende Bedeutung wird inzwischen auch der „latenten Azidose“ beigemessen, sie ist durch eine erhöhte Säurelast charakterisiert, welche insbesondere den Knochenstoffwechsel negativ beeinflusst. Die erhöhte Säurelast führt einerseits zu erhöhten Verlusten von Calcium mit dem Urin und stellt einen starken Stimulus für die Aktivierung von Osteoklasten dar, deren Hauptaufgabe die Resorption, das heißt der Abbau von Knochensubstanz ist.

Im Gegenzug ist bei einem ausgeglichenen Säure-Basen-Haushalt die Osteoklastenaktivität vermindert. Eine erhöhte Aufnahme von Basenäquivalenten, wie sie sich einer pflanzenbetonten Kost ergibt, kann einer Azidose potenziell ebenso entgegenwirken wie die zusätzliche Zufuhr von Bicarbonat. Im Rahmen einer monozentrischen, randomisierten, kontrollierten, vergleichenden Interventionsstudie wurde der Einfluss bicarbonatreicher Mineralwässer auf den Säure-Basen-Status bei Beibehaltung der üblichen Ernährungsweise sowie auf Parameter des Knochenstoffwechsels untersucht. Dazu erhielten 120 gesunde Männer und Frauen im Alter von 18 bis 65 Jahren eines von vier verschiedenen Mineralwässern. In dem vierwöchigen Interventionszeitraum wurden die Studienteilnehmer angewiesen, mindestens 1500 Milliliter und maximal 2000 Milliliter des jeweiligen Mineralwassers zu trinken.

Erste Ergebnisse zeigen eine signifikante Senkung der renalen Nettosäureausscheidung und lassen somit darauf schließen, dass die erhöhte Zufuhr bicarbonatreicher Mineralwässer einer nahrungsinduzierten Säurebelastung entgegenwirken kann. Ebenso zeigten sich positive Effekte der sowohl bicarbonathaltigen als auch calciumreichen Mineralwässer hinsichtlich der Erhaltung der Knochengesundheit. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass insbesondere calciumreiche Mineralwässer die Calciumversorgung verbessern und somit ebenfalls einen Beitrag für die Knochengesundheit leisten können.


Wird die Arbeit des Kompetenzzentrums künftig auch in die Lehre integriert und wenn ja, wie?

Hahn: Verschiedene Aspekte und aktuelle Erkenntnisse zu den untersuchten Mineralstoffen finden Eingang in Vorlesungen und Seminare. Zudem sind Studierende in Studienprojekte eingebunden und fertigen themenbezogene Abschlussarbeiten vor allem in den Fächern Lebensmittelwissenschaft, Ökotrophologie, Biochemie oder Life Science an.


Das KMH erhält derzeit eine finanzielle Teilförderung durch den Verband Deutscher Mineralbrunnen (VDM). Wie garantieren Sie inhaltlich unabhängige Arbeit?

Hahn: Die wissenschaftliche Unabhängigkeit war eine zentrale Voraussetzung für die Gründung des KMH. Zwar erhält das KMH eine institutionelle Anschubfinanzierung durch den Verband Deutscher Mineralbrunnen (VDM). Diese ist aber vertraglich so gestaltet, dass das KMH unabhängig arbeitet und ausschließlich der guten wissenschaftlichen Praxis verpflichtet ist. Dies betrifft alle Aktivitäten und insbesondere auch die Auswahl der Forschungsfelder. Wir sind zudem dabei, die Aktivitäten auch durch Einwerbung weiterer Mittel auszubauen.

Das Interview führte Myrna Apel.


Zur Person
Bild: Leibniz Universität Hannover
Bild: Leibniz Universität Hannover

Prof. Dr. Andreas Hahn, geboren 1962 in Grünberg / Hessen, ist Geschäftsführender Leiter des Instituts für Lebensmittelwissenschaft und Humanernährung der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover sowie Leiter der dortigen Abteilung Ernährungsphysiologie und Humanernährung. Nach dem Studium der Ernährungswissenschaft an der Universität Gießen mit lebensmittel-chemischer Diplomarbeit promovierte er 1990 in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt zur Resorption wasserlöslicher Vitamine. Danach war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Biochemie der Ernährung des Instituts für Ernährungswissenschaft in Gießen. Während dieser Zeit nahm er verschiedene Lehraufträge an den Universitäten Gießen, Marburg, Düsseldorf und Hannover wahr.

1993 wurde er zum Hochschuldozenten für Ernährungsphysiologie und Humanernährung an der Universität Hannover ernannt und baute diese neu eingerichtete Abteilung auf. 2001 erfolgte zusätzlich die Habilitation im Fach Lebensmittelwissenschaft und die Ernennung zum Privatdozenten, 2003 die Ernennung zum apl. Professor. In der Lehre für verschiedene Studiengänge (Lebensmittelwissenschaft. Life Science, Chemie, Biochemie) ist er unter anderem in den Bereichen Physiologie und Biochemie der Ernährung, Humanernährung sowie Toxikologie tätig.

(Quelle: Leibniz Universität Hannover)



Literatur:
Greupner T, Schneider I, Hahn A (2017): Calcium Bioavailability from Mineral Waters with different Mineralization in Comparison to Milk and a Supplement, J Am Coll Nutr, DOI: 10.1080/07315724.2017.1299651
  
Hahn A, Ströhle A, Wolters M (2016): Ernährung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart, 3. Auflage

Schneider I, Greupner T, Hahn A (2017): Magnesium bioavailability from mineral waters with different mineralization levels in comparison to bread and a supplement, Food & Nutrition Research, 61:1, 1384686

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