Ernährungsmedizin: Amyotrophe Lateralsklerose: Energiereiche Zusatznahrung von Vorteil bei normaler bis rascher Progredienz

Es gibt bisher keine Therapie, um die Progression der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS; => Kasten) effektiv aufzuhalten. Aufgefallen war in der Vergangenheit, dass sich eine Gewichtsabnahme ungünstig auf den Krankheitsverlauf auswirkt. ForscherInnen des Deutschen Netzwerks für Motoneuronerkrankungen (ALS/MND-NET) fanden nun kürzlich in einer Studie an 200 ALS-PatientInnen [1] heraus, dass eine hyperkalorische Kost die Überlebenswahrscheinlichkeit bei PatientInnen mit normal und schnell fortschreitender Erkrankung erhöhen kann.

Bei ALS degenerieren Nervenzellen im Gehirn oder Rückenmark, die für die Muskelbewegung verantwortlich sind. © alex-mit/iStock/Getty Images Plus
Bei ALS degenerieren Nervenzellen im Gehirn oder Rückenmark, die für die Muskelbewegung verantwortlich sind. © alex-mit/iStock/Getty Images Plus

Die im Februar publizierte LIPCAL-ALS-Studie des ALS/ MND-NET [1] untersuchte doppelblind placebokontrolliert, ob eine hochkalorische Ernährung die Prognose bzw. das Überleben von ALS-PatientInnen verbessern kann. An zwölf deutschen Zentren wurden 121 weibliche und 80 männliche PatientInnen zu gleichen Teilen (1:1) in zwei Gruppen randomisiert. Das mittlere Alter lag bei 62 Jahren. Die PatientInnen wurden medikamentös mit Riluzol (100 mg/d) behandelt und erhielten zusätzlich zu ihrer gewohnten Ernährung entweder 3 × 30 mL einer hochkalorischen Fett-Diät („HCFD“: 100 % Fett, täglich 405 kcal) oder 3 × 30 mL Placebo. Primärer Endpunkt war die Überlebenszeit; Kontrolluntersuchungen erfolgten alle drei Monate. Insgesamt waren Verträglichkeit und Sicherheit der Fett-Diät gut, dennoch gab es mit 26 % eine höhere Studienabbruchrate als bei anderen ALS-Studien mit Medikamenten. Als Grund wurde vor allem der mit der Studienteilnahme verbundene Aufwand angegeben.

In der Gesamtpopulation der Studie war am Studienende die Überlebenswahrscheinlichkeit in der HCFD-Gruppe 0,37 und in der Placebogruppe 0,39. Der Unterschied war statistisch nicht signifikant (p = 0,44). In einer Posthoc-Analyse zeigte sich aber ein signifikanter Überlebensvorteil für die Subgruppe von PatientInnen mit einem normal bis rasch progredienten ALS-Verlauf (0,62 vs. 0,38; p = 0,02). Es profierten insbesondere die PatientInnen, die ihr Gewicht halten konnten.

„Auch wenn nach diesen Daten eine Fett-Diät bei ALS-Patienten nicht generell empfohlen werden kann, so liefert die Studie wertvolle Hinweise, welche Patienten dennoch von einer Fett- bzw. Kaloriensupplementierung tatsächlich profitieren könnten, und zwar die mit tendenziell schnelleren Verläufen“, erklärt Prof. Dr. med. Albert C. Ludolph, Ärztlicher Direktor Klinik für Neurologie der Universität Ulm. Er fügt einschränkend hinzu, dass Ergebnisse von Posthoc-Analysen immer in eigenen, präspezifizierten Studien bestätigt bzw. überprüft werden sollten, auch um weitere Fragen zu klären. So sei u. a. bislang unklar, ob der Nutzen allein auf die Energiemenge oder auf die Art der Nährstoffe zurückzuführen war. Es wäre daher bspw. die Frage zu klären, ob Energie aus Fett oder Protein effektiver wirkt. „Wir konzipieren deshalb eine solche Studie und raten unseren Patienten in der Zwischenzeit ihr Gewicht zu halten“, ergänzt Ludolph.

Hintergrund
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine fortschreitende Erkrankung des motorischen Nervensystems, die im Verlauf weniger Jahre zu einer schweren Behinderung und letztendlich zum Tod führt. Die Häufigkeit der ALS liegt in Deutschland bei 3/100 000 Personen [2]. Der Erkrankungsverlauf ist sehr variabel, die durchschnittliche Überlebenszeit liegt bei 2–4 Jahren. Daher ist die Prävalenz der Erkrankung mit einem Schätzwert von 6 000–8 000 PatientInnen in Deutschland relativ niedrig. Selten gibt es auch Verläufe über 10–20 Jahre (ca. 5–10 % der PatientInnen).
Die Erkrankung beginnt in der Regel nach dem 50. Lebensjahr, Männer sind etwas häufiger betroffen (1,5:1). Es kommt zu Muskelschwund, Muskelschwäche und im Verlauf zu Lähmungen. Durch eine Miteinbeziehung der Muskulatur im Kopf-Halsbereich können Probleme beim Kauen, Schlucken und Sprechen entstehen. Wenn die Atemmuskulatur schwächer wird, drohen Lungenentzündungen und eine chronische Sauerstoffunterversorgung des Körpers. Eine kurative Therapie gibt es bislang nicht. Mit dem Medikament Riluzol wird im Sinne einer „krankheitsmodifizierenden Therapie“ versucht, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. In erster Linie ist die Behandlung aber symptomatisch, um Beschwerden (z. B. Muskelkrämpfe) zu lindern und Komplikationen vorzubeugen. So wurde auch gezeigt, dass Gewichtsverlust ein ungünstiger Prognoseprädiktor ist.

Literatur
1. Ludolph AC, Dorst J, Dreyhaupt J, et al., LIPCAL-ALS Study Group: Effect of high-caloric nutrition on survival in Amyotrophic Lateral Sclerosis. Ann Neurol 2020; 87(2): 206–16.
2. Amyotrophe Lateralsklerose (Motoneuronerkrankungen). Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. (Leitlinie abgelaufen, Update geplant 31.12.2020). www.dgn.org/leitlinien/3012-ll-18-ll-amyotrphe-lateralsklerose-motoneuronekrankungen  (last accessed on 24 August 2020).

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Pressemitteilung vom 26.06.2020



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 9/2020 auf Seite M514.

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