3. BZFE-Forum im Rahmen der Bonner Ernährungstage: Mehr oder weniger?!

(umk) Das BZfE-Forum (in Fortführung der 19 aid-Foren) ist längst eine gesetzte Größe für Fortbildung und Austausch von Fachkräften aus vielen Bereichen des Ernährungsspektrums. Knapp 500 TeilnehmerInnen belegen das. Und mit der Einbettung in die Bonner Ernährungstage (BERTA) hat das Forum einen optimalen Rahmen gefunden. Mit dem Motto „Mehr oder weniger?! Lebensstiländerung als gesellschaftliche Herausforderung“ packte man in diesem Jahr ein kontrovers diskutiertes Feld der Gesundheits- und Ernährungspolitik an.

Das große von Susanne Ferrari mitgezeichnete Plakat zeigte anschaulich die Inhalte der Referate auf dem BZfE-Forum. © Susanne Ferrari, BLE
Das große von Susanne Ferrari mitgezeichnete Plakat zeigte anschaulich die Inhalte der Referate auf dem BZfE-Forum. © Susanne Ferrari, BLE

Zucker, Fette und Salz – Wie essen wir morgen?

Mit einem kurzen Abriss zur Rolle der Ernährung im Verlauf der Menschheitsgeschichte bis hin zu aktuellen Entwicklungen begann die Food-Trendforscherin Mag. Hanni Rützler, Wien, den Reigen der Referate. Aktuell bestimmen neben wissenschaftlichen zunehmend ethisch/weltanschauliche, aber auch ökonomische Überlegungen die Debatte um „die richtige“ Ernährungsweise. Rützler macht unter den über 30 aktuellen Food-Trends als wichtige Gruppen („Cluster“) die Themen Alltagstauglichkeit, Qualität, Nachhaltigkeit, Genuss, Gesundheit, Beyond Food (Ersatz bisher gewohnter Lebensmittel) aus. Vorteil: Über diese Cluster seien einzelne Zielgruppen der Bevölkerung für Ernährungsbotschaften gut adressierbar.

Essen XXL: Isst sich Deutschland krank?

Den provokativ-plakativen Titel seines Vortrags nutzte Prof. Stefan Lorkowski, Uni Jena, zu einem kurzen Exkurs zu Mechanismen und Auswüchsen medialer Berichterstattung über Ernährung. Dennoch bleibt das Faktum, dass 20 % der weltweiten verfrühten Todesfälle durch Fehlernährung bedingt sind. Hunger und extreme Adipositas sind dabei als Todesursache nicht mit eingerechnet. Hauptursachen dieser Bilanz sind eine zu hohe Energie- und Kochsalzzufuhr und eine zu geringe Ballaststoffzufuhr. Verbessern ließe sich diese Situation durch einen höheren Verzehr von Gemüse und Obst. Lorkowski unterstrich die Notwendigkeit der Verhältnisprävention. Helfen könnten dabei durchaus Kennzeichnungssysteme wie der NutriScore. Aber auch Verbote, lenkende Steuern bzw. Subventionierung gesunder Lebensmittel könnten nicht länger ein Tabuthema sein. Regulatorische Maßnahmen seien wirksamer als freiwillige. Sein Fazit: Die gesunde Wahl muss auch preiswerter sein!

Reduktionsstrategie für Lebensmittel: Chancen, Möglichkeiten und Grenzen

Der Präsident des Max Rubner- Instituts Karlsruhe (MRI), Prof. Pablo Steinberg, stellte zunächst die Grundzüge der „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie: Weniger Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten (NRI)“ vor. Die Initiative mit ihren zahlreichen Einzelmaßnahmen und Projekten sei jedoch nur ein Teil einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe auf dem Weg zu einer gesundheitsförderlichen Lebens- und Ernährungsweise. Steinberg warnte davor, von Kennzeichnungssystemen wie dem NutriScore zu viele Präventionseffekte zu erwarten, er stellte Beispiele für Reformulierungen vor und erläuterte lebensmitteltechnologische Limitationen, aber auch Grenzen der Marktakzeptanz.

Lebensstiländerung aus Sicht der Public Health Nutrition

Anhand der Nuffield intervention ladder mit den Stufen
– Informieren
– Wahl ermöglichen
– Wahl lenken durch Anreiz
– Wahl lenken durch Abschreckung
– Wahl einschränken
– Wahl ausschließen (Verbot)

beleuchtete Prof´in Anette Buyken, Uni Paderborn, die Wirksamkeit von Public Health Nutrition Maßnahmen zur Reduktion des Zuckerkonsums und brach die einzelnen Stufen jeweils auf konkrete Maßnahmen herunter. Dabei betonte sie den Doppelnutzen von Kennzeichnungssystemen wie dem NutriScore: Zum einen unterstütze er die VerbraucherInnen bei ihren Kaufentscheidungen, zum anderen motiviere er Hersteller zur Reformulierung, um im Anbietervergleich besser dazustehen.

Die Rolle von Nudges

Dr. Kai P. Purnhagen, Uni Wageningen, NL, stellte europäische Ansätze des Nudgings zur Lebensstiländerung vor. Er unterstrich dabei die Bedeutung begleitender Forschung, um Evidenzbasierung solcher Präventionsmaßnahmen zu erreichen. Er startete mit einer Begriffsklärung: Während nudging über kleine, meist auch einfach zu verwirklichende Maßnahmen den Entscheidungskontext (die in Griffhöhe präsentierte Mineralwasserflasche oder die unten und hinten einsortierte Limonade) der Menschen verändere, erreiche ein Boost durch eine Vielzahl, teils kostenintensiver und aufwändiger Einflüsse (Bildung, Kampagnen) eine Veränderung der internen Kompetenzen und damit eine Konditionierung. Die Wirkung von Nudges setzt damit ein Beibehalten der veränderten Rahmenbedingungen voraus, während die Konditionierung durch Boost zwar schwerer zu erzielen ist, meist aber länger nachwirkt.

Betriebliche Gesundheitsförderung

Ein großes Potenzial, sehr viele Menschen im Sinne einer Lebensstiländerung zu erreichen, hat die betriebliche Gesundheitsförderung. Dies machte Prof´in Annegret Flothow, HAW Hamburg, deutlich. In Deutschland können so rund 45 Mio. Erwerbstätige aus fast allen sozialen gesellschaftlichen Gruppen erreicht werden. Flothow stellte die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen sowie erfolgreiche Beispiele vor. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sind interessante Angebote der Gesundheitsförderung wichtige Faktoren der Mitarbeitermotivation und -bindung; diese oder sie müssen, um wirksam zu werden, jedoch in ein Gesamtkonzept des betrieblichen Gesundheitsmanagements eingebunden und Teil der Unternehmenskultur sein. Für Ernährungsfachkräfte ist dieser Bereich ein Betätigungsfeld mit zunehmender Bedeutung.

Ausführlicher Bericht sowie der Kommentar zum BZfE-Forum 2019 -> www.ernaehrungsumschau.de/online-plus/10-09-2019-mehr-oder-weniger-3-bzfe-forum-in-rahmen-der-bonner-ernaehrungstage/ 



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 10/2019 auf Seite M577.

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